Album „Holy Moly!“

Blues Pills: Der wilde Sturm nach der sanften Ruhe

Musik
26.08.2020 06:00

Seit dem letzten Album der Blues Pills sind vier Jahre, unzählige Konzerte, ein prägnanter Besetzungswechsel und eine längst nötige Ruhezeit ins Land gezogen. Auf „Holy Moly!“ gehen die Schweden einen Schritt zurück, um zwei nach vorne zu machen - und erleiden dabei keinen Schiffbruch.

(Bild: kmm)

Dass die Reißleine dringend gezogen werden musste, war längst klar. Kaum eine Band hatte sich europaweit derart verausgabt wie die Blues Pills, die zwischen 2012 und 2017 zwei Studioalben, zwei Livealben und drei EPs veröffentlichten, daneben Hunderte Konzerte spielten und Dauergäste auf unterschiedlichsten Festivals waren. Eine gewisse Müdigkeit war dem international besetzten, aber in Schweden wohnhaften Quartett nicht mehr abzustreiten. Mit dem selbstbetitelten Debütalbum schlugen Frontfrau Elin Larsson und Co. im Sommer 2014 wie ein Komet ein, mit dem fast exakt zwei Jahre später veröffentlichten Gesellenstück „Lady In Gold“ erreichte man nicht nur Platz eins der deutschen Albumcharts, sondern bewies auch, dass man sich vom Gros des im Retrowahn befindlichen Genres mit Versatilität hervorheben könnte. Weniger Blues, mehr Psychedelik und eine professionellere Herangehensweise. Auch wenn die naive Spontanität des famosen Debüts verlustig ging, die Blues Pills hatten sich ihren Platz an der Genrespitze wortwörtlich redlich erarbeitet.

Trennung mit Folgen
Nachdem auch dieses Album bestmöglich betourt wurde, man die Bühne mit den Black Star Riders und Europe teilte, war die Luft draußen. Im November 2018 wurde die Trennung von Gitarrist Dorian Sorriaux bekanntgegeben. Ein Schock für die Fans der Band, denn der jugendliche Lockenkopf hat beim Debüt schon im minderjährigen Alter gezeigt, welch intrinsisches Gefühl für den Blues der alten Machart in ihm steckt. Songpreziosen wie „High Class Woman“, „Black Smoke“, „Little Boy Preacher“ oder das intensive „I Felt A Change“ wäre ohne seine herausragenden Fertigkeiten gar nicht möglich gewesen. Sorriaux betonte in ersten Interviews, er wäre müde gewesen, die immergleichen Rockriffs zu spielen. Seine vor geringem Publikum absolvierten Soloauftritte in den letzten Jahren haben sich im Kern aber nicht so stark von der Arbeit in seiner alten Band geändert und lassen die Vermutung mitschwingen, dass es aus anderen Gründen zur Trennung gekommen ist.

Für den Rest der Blues Pills entstand mehr oder weniger die Möglichkeit, die rasante Achterbahnfahrt der letzten Jahre zu stoppen, sich mit dem Status Quo der Band in der Gegenwart auseinanderzusetzen und eine erste Bilanz zu ziehen. Schnell wurde den Beteiligten klar, dass man Sorriauxs Fertigkeiten nicht so einfach ersetzen konnte, also wurde der langjährige US-Bassist Zack Anderson geschwind zum neuen Lead-Gitarristen umgemodelt, den Viersaiter bedient seit etwas mehr als einem Jahr der junge Kristoffer Schander, ein Intimus aus dem erweiterten Bandkreis. 2019 spielten die Blues Pills nach Jahren der Rastlosigkeit kein einziges Konzert, versuchten in der veränderten Neubesetzung einen neuen Vibe zu finden, ohne die Stärken der bisherigen Karriere zu vernachlässigen und gingen die Arbeiten am Songwriting mit größtmöglicher Entspannung an. Mit der bereits latenten Gefahr im Rücken, allzu schnell auszubrennen, war die temporär gezogene Notbremse die mit Abstand beste Möglichkeit, einen vorschnellen Karriere-Auffahrunfall zu verhindern.

Mediokre Aufmachung
Vier Jahre nach dem Chartstürmer „Lady In Gold“ überraschen die Blues Pills nun mit dem durch Corona leicht verzögerten Release des Drittwerks „Holy Moly!“. Der Titel ist nicht nur der Aussage von Captain Marvel entlehnt, sondern soll wohl schon früh die wundersame Reise der Band in möglichst akkurater Art und Weise beschreiben. Vermischt mit dem eher dürftigen Cover-Artwork ist zumindest zu diskutieren, ob sich die Schweden an der Eingangspforte zu ihrem neuen Werk damit einen Gefallen getan haben. Musikalisch hat den Blues Pills die lange Pause jedenfalls sehr gutgetan. Tatsächlich vermisst man die flirrenden Gitarrenläufe von Sorriaux weniger oft als gedacht, in Songs wie dem späten Album-Highlight „Song From A Mourning Dove“ soliert sich Anderson inbrünstig in paralysierende Trance und zeigt eindrucksvoll, wie sehr er auf den letzten Alben unter den Scheffel gestellt wurde.

Die im Pressetext viel zitierte Ursprünglichkeit, die man mit „Holy Moly!“ einfangen wollte, gelingt den Blues Pills tatsächlich erstaunlich gut. Einen großen Anteil daran haben die Aufnahmen in den Lindbacka Sounds Studios im ländlichen Närke, das sie mit massenhaft analogem Equipment einrichteten und in dem sie versucht haben, die Erlebnisse und Erfahrungen in einen autobiografischen Kontext zu gießen. So pocht die stimmlich einmal mehr herausragende Larsson schon im Opener „Proud Woman“ auf Gleichberechtigung, die mit einem historischen Sample zu Beginn wenig Zweideutigkeit zulässt. Die intensive, bluesrockige Ausrichtung des Openers transferiert man mühelos auf das wild rockende „Low Road“ - erst im vierten Song „California“ nehmen die Schweden erstmals den Fuß vom Gaspedal und glänzen mit einer Festival-Sonnenuntergangsromantik, wie sie uns heuer nicht vergönnt ist. Die häufig gezogenen Vergleiche von Larsson mit Janis Joplin treffen hier mehr zu als in den meisten anderen Tracks.

Feine Rückkehr
Die nostalgische Kraft des Rock’n’Roll ist dem Album zu jeder Zeit gegeben und tatsächlich entfernt sich die Band wohl bewusst von der eher psychedelischen Ausrichtung des Vorgängers, um sich auf dem Drittwerk als kompakte, deutlich in die Offensive gehende Klangmaschinerie zu inszenieren. Larsson ist hörbar bemüht, sich von den ewigen Joplin-Vergleichen zu emanzipieren und inszeniert sich partiell auch als Joan Jett, Steve Nicks oder Suzi Quatro - selbstverständlich, ohne zu einer bloßen Kopie zu verkommen. „Kiss My Past Goodbye“ geht dabei sogar in Richtung Aerosmith, weiß auf Langstrecke aber nicht sonderlich zu überzeugen. Insgesamt ist die Rückkehr der Blues Pills bunt, spannend, aber stellenweise auch etwas zu glatt und kantenlos vonstattengegangen. Den Gospel hätte man etwas erweitern, die stimmlich doch sehr offensiven Parts von Larsson das eine oder andere Mal etwas in geordnete Bahnen lenken können, aber „Holy Moly!“ ist trotz dämlichen Albumtitels und mediokrem Artwork eine weitere Perle im Katalog der Schweden. Freuen wir uns wieder auf die Live-Shows mit dem neuen Material.

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