280 Tage in IS-Haft

"Mehr Terroristen in Europa, als wir ahnen"

Ausland
19.08.2017 06:29

Er wurde gefoltert und durchlebte Scheinexekutionen. Er musste mit ansehen, wie Mitgefangene geköpft oder bei lebendigem Leib verbrannt wurden. 280 Tage war Masoud Aqil (heute 24) in den Fängen islamistischer Gotteskrieger, und er lernte jene Verbrecher kennen, die auf Anschläge wie den in Barcelona unheimlich stolz sind. Mit Conny Bischofberger sprach der kurdische Journalist über die Fratze des IS, über Hoffnung, Todesangst und seine Befreiung.

Das stylishe "Motel One" vis-a-vis der Wiener Staatsoper. Masoud Aqil checkt ein, er kommt direkt vom Flughafen. Mit im Gepäck hat er sein neues Buch. "Mitten unter uns", steht in dicken, roten Lettern auf schwarzem Untergrund. Und: "Wie ich der Folter des IS entkam und er mich in Deutschland einholte".

Dem Management ist das Thema zu heikel, wir dürfen in der Lobby weder fotografieren noch filmen. Also rüber ins "Café Museum", wo wir im Hinterzimmer, das wie eine Bibliothek eingerichtet ist, unsere heilige Ruhe haben.

"Hatte nicht einmal die Kraft, aus dem Zugfenster zu schauen"
Masoud schwärmt von Wien, und das in richtig gutem Deutsch - die Sprachprüfung B1 hat er schon geschafft. "Als ich 2015 auf meinem Weg von Syrien nach Deutschland Österreich durchquert habe, war ich zutiefst depressiv. Ich stand unter Schock, hatte nicht einmal die Kraft, aus dem Zugfenster zu schauen." An diesem Nachmittag, in der Gemütlichkeit des traditionsreichen Kaffeehauses, scheint die Zeit der Gefangenschaft weit weg zu sein. "Du hast plötzlich Augen für die Schönheit der Stadt."

Der 24-Jährige sieht aufgeräumt aus: schwarze Hose, schwarzes Hemd, schwarz gerahmte Brille, frischer Haarschnitt, akkurat geschorener Bart. Die Grausamkeiten, die er erlebt hat, spiegeln sich in seinem Gesicht nicht wider. Da drängt nichts Dunkles, Unbewusstes an die Oberfläche. Seine Augen strahlen Wärme aus, und er hat Humor.

"Krone": Mitten in unser Interview platzt die Nachricht vom Terroranschlag in Barcelona. Sie warnen in Ihrem Buch genau davor: Dass sogenannte Schläfer Europa in Schrecken versetzen werden. Heißt Ihr Buch deshalb "Mitten unter uns"?
Masoud Aqil: Richtig. Und ich kann Ihnen versichern, dass mehr islamistische Terroristen in Europa sind, als wir ahnen. Für jemanden wie mich, der in einem IS-Gefängnis gesessen ist, war immer klar, dass 2015 Hunderte von gefährlichen Radikalen und Terroristen als Flüchtlinge getarnt nach Europa geschleust werden. Ich habe gehört, wie diese Leute reden, wie sie Europa bedrohen. Die Türkei hat die Grenzen damals nicht aus humanitären Gründen geöffnet, sondern vor allem, um eine Krise in Europa auszulösen. Als ich dann nach Europa gekommen bin, musste ich feststellen, dass diese Bastarde, denen ich entkommen bin, bereits hier waren. Der jüngste Terroranschlag bestätigt das leider erneut.

Spazieren auch da draußen auf der Operngasse IS-Kämpfer herum?
Ich will niemandem Angst machen und ich hoffe, ich habe Unrecht. Aber diese Menschen haben sich eben nicht Bulgarien, Kroatien oder Ungarn ausgesucht, sondern schöne, sichere Länder wie Deutschland, Österreich, Schweden, England, Frankreich und jetzt eben Spanien. Dort können sie am meisten Schaden anrichten. Sie warten nur auf eine Gelegenheit. Sobald diese da ist, werden sie sie nutzen. Und zerstören damit den Ruf Zigtausender Flüchtlinge, die genau vor Menschen wie ihnen geflohen sind.

Was wollen Sie mit Ihrem Buch bewirken?
Ich habe keine großen Ambitionen. Ich wäre schon dankbar, wenn jene, die es lesen, ein Bild vom IS bekommen. Wobei der Name "Islamischer Staat" ein Hohn ist. Der IS ist weder ein Staat, noch ist er islamisch. Er missbraucht im Gegenteil die Religion für seine Gräueltaten.

Sie helfen heute den Sicherheitsbehörden in Deutschland, diese Terroristen aufzuspüren. Würden Sie auch mit den österreichischen Behörden zusammenarbeiten?
Ich nenne das nur ungern Arbeit, das ist mehr ein Informationsaustausch. Sobald ich Informationen hätte, die Österreich betreffen, würde ich natürlich sofort mit den zuständigen Stellen in Kontakt treten. Würde ich das nicht tun, wäre ich ein Feigling, und das bin ich nicht. Ich bin Kurde, und wir Kurden haben keine Angst vor dem IS.

Bei allem, was Sie erlebt haben, klingt das seltsam ...
Ja ... Aber wissen Sie, das ist genau das, was sie wollen. Einmal zeigten sie uns stolz ein Video, das CNN online gestellt hatte. Es war das Video einer Drohung. "Die machen für uns Propaganda", erklärten sie, "mehr Propaganda, als wir selbst je machen könnten." Wir sollten dem IS also gar nicht so viel Aufmerksamkeit schenken. Gerade das tun die westlichen Medien aber permanent.

Sie mit Ihrem Buch ja auch.
Ich möchte zeigen, wie schwach diese Leute eigentlich sind, was für unorganisierte Idioten! Sie haben ja in letzter Zeit fast ihr ganzes Territorium verloren. Das ist die gute Nachricht. Und ein Beweis dafür, dass diese Art von Organisationen innerhalb weniger Monate besiegt werden könnten, wenn es die mächtigen Länder nur wollten. Aber die Wahrheit ist: Das syrische Regime steht genauso hinter dem IS wie die Regierung in Bagdad und der Iran. All die Diktatoren im Nahen Osten profitieren vom IS, selbst Katar und auch Saudi-Arabien. All diese Länder profitieren, deshalb hat die Türkei den IS offen unterstützt. Während meiner Inhaftierung sahen wir Hunderte Toyota Hilux, Pick-up-Trucks, brandneu! Woher die wohl kommen?

In welchem Moment haben Sie die Schwäche der Terroristen bemerkt?
Sie tun gern stark mit ihren Masken und in ihren Videos, aber ich habe sie durch ein kleines Loch in der Gefängsnistür oft ohne Maske gesehen. Das waren junge, feige Bubis. Wenn sie merken, dass du keine Angst vor ihnen hast, beginnen sie sich selbst zu fürchten.

Ist es schmerzvoll, sich an die Zeit zurückzuerinnern, in der Sie verschleppt und gefangen genommen wurden?
Es ist sehr schmerzvoll, auch heute noch. Aber ich bin Journalist. Soll ich zu Hause sitzen und weinen? Nein. Ich musste alles dokumentieren, damit die nächste Generation Bescheid weiß.

Was war das Widerlichste, das Sie erlebt haben?
Es war alles widerlich. Der widerlichste Moment war, wenn sie nach dem Freitagsgebet gekommen sind und einen meiner Zellengenossen mitgenommen haben. Wir wussten, dass sie ihn töten würden, und er wusste es auch.

Wie viele Morde haben Sie erlebt?
Dutzende. Enthauptungen, Erschießungen,Verbrennungen. Es wurde auch angedroht, Gefangene bei lebendigem Leib zu begraben. Manchmal steckten diese Monster ihren Opfern Dynamit in den Mund und sprengten sie in die Luft.

Sind das noch Menschen?
Nein, das sind gefühllose Monster. Sie geben sich strenggläubig, sehen sich als Statthalter Gottes auf Erden und folgen unter dem Schutz ihrer Masken hemmungslos ihren Trieben. Sie handeln nicht wie Menschen, sondern wie der Teufel. Durch ihre Verbrechen fühlen sie sich stark, und sie akzeptieren absolut niemanden außer sich selbst.

Können Sie etwas über Frauen sagen? Wie werden sie vom IS behandelt?
Frauen sind für den IS reine Sexobjekte. Ich sah einen Wächter, der eine Frau in schwarzem Niqab in eine Einzelzelle führte. Dann durfte ein Mann zu ihr, um das zu tun, was er tun wollte. Es war ekelhaft. Und dann steigen solche Leute in Lastwagen und sprengen andere und sich selbst in die Luft, um danach im Paradies mit 72 Jungfrauen Sex zu haben.

Was ist Ihnen persönlich passiert?
Mir haben sie immer gesagt, ich würde jetzt sterben. Sie steckten mich wie alle anderen Kurden, die hingerichtet wurden, in einen orangen Overall und wünschten mir einen schönen, blutigen Tod. Aber dann passierte nichts. Manchmal kamen sie in die Zelle und spritzen mir etwas in den Bauch. Wieder passierte nichts. Ich dachte so oft, dass ich jetzt sterben muss, und wissen Sie was? Es war seltsamerweise gar nicht schlimm.

Aber Sie haben überlebt.
Das ist ein Wunder. Warum haben sie mich nicht umgebracht? Manchmal tötet ein Tornado Tausende, aber einer überlebt. Das bin ich gewesen.

Wie haben Sie trotz allem eine Form von Hoffnung aufrechterhalten?
Ich habe irgendwann aufgehört, zurückzublicken auf das, was mein Leben ruiniert. Ich sagte mir: Das ist Krieg, das ist normal. Schau nicht zurück, schau nach vorne. Du bist 22! Und du willst noch ein Vielfaches von 22 Jahren leben.

Etwas unklar bleibt in Ihrem Buch die Befreiung.
Es ist kompliziert. Der Gefangenenaustausch war für mich ein Schock, ich konnte es einfach nicht glauben. Im Gefängnis hatte ich immer davon geträumt, aber als dann der Moment gekommen war, war ich sehr niedergeschlagen. Es hätte eigentlich ein schöner Moment sein müssen, aber wie hätte ich mich freuen können, wenn meine Kollegen nicht auch mit mir befreit wurden? Wie konnte ich ihren Familien in die Augen schauen, wenn ich frei war und sie bis heute in Gefangenschaft sind oder schon tot?

Haben die 280 Tage Sie zu einem anderen Menschen gemacht?
Ich hätte mir nie vorstellen können, dass der IS mein Leben bestimmen würde. Er bestimmt es auf eine gewisse Weise bis heute. Aber ich habe trotzdem meinen Sinn für Humor nicht verloren. Als ich meinen Freunden nach der Befreiung in die Arme gefallen bin, habe ich einen kurdischen Witz gerissen. Sie atmeten tief durch und sagten: "Allah sei Dank! Du bist trotz allem der Alte geblieben."

Sein Martyrium, seine Mission: Geboren am 2.6.1993 in Qamischlo, Nordsyrien. 2014 wird der Journalist eines kurdischen TV-Senders vom IS verschleppt und neun Monate eingekerkert. Bei einem Gefangenenaustausch kommt er überraschend frei und kann über Österreich nach Deutschland flüchten. Heute hilft Masoud Aqil den deutschen Sicherheitsbehörden, islamistische Terroristen in Europa aufzuspüren.

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

Sein Buch "Mitten unter uns. Wie ich der Folter des IS entkam und er mich in Deutschland einholte" erscheint am 28. August im Europa Verlag (256 Seiten, € 19,50).

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