"Blut muss fließen"

Sex-Attacken: Kritik an laxen Ermittlungen

Österreich
13.07.2016 12:04

Werden die Ermittlungen nach Sexualdelikten zu lax geführt? Wenn es nach den Betreuerinnen von Opfern sexueller Gewalt geht, besteht bei den Strafverfolgungsbehörden jedenfalls großes Verbesserungspotenzial. "Für Frauen, die sich bei uns melden, ist eine Hauptverhandlung gegen den Täter die Ausnahme. Im Regelfall kommt nach einer Anzeige nichts heraus", sagt Ursula Kussyk vom Verein Notruf, der seit 1982 von sexueller Gewalt betroffene Frauen und Mädchen berät.

Die Ursache dafür sehen Kussyk und die auf juristische Prozessbegleitung spezialisierte Wiener Rechtsanwältin Barbara Steiner vor allem bei den Staatsanwaltschaften. Während die Polizei durchaus engagiert vorgehe, sei bei den Anklagebehörden, die seit der Reform der Strafprozessordnung 2008 das Ermittlungsverfahren leiten, oft eine gewisse "Unwilligkeit" feststellbar, beklagt Steiner.

Ist bei Anzeigen gegen die sexuelle Integrität keine glasklare Beweislage gegeben, wird die Glaubwürdigkeit der Opfer grundsätzlich infrage gestellt. Dann sei die Justiz oftmals nicht bereit, "indirekte Zeugen zu befragen, im Umfeld zu ermitteln und so die Puzzleteile zusammenzutragen, die für eine Gesamtbeurteilung der Glaubwürdigkeit wesentlich sind, wenn Aussage gegen Aussage steht. Es ist oft kein Interesse da, sich eingehender damit auseinanderzusetzen."

"Es muss Blut fließen"
Die Chancen, dass eine angezeigte Vergewaltigung oder geschlechtliche Nötigung zu einer Anklage führt und damit bei Gericht landet, stehen gut, wenn sichtbare Verletzungen zurückbleiben. "Es muss Blut fließen. Blaue Flecken reichen nicht. Es muss mehr sein", weiß Notruf-Mitarbeiterin Kussyk. Wenn ein Verdächtiger aufgrund einer jeweils identen Vorgangsweise oder sichergestellter DNA-Spuren für mehrere Übergriffe infrage kommt, bekommen die Ermittlungen zusätzlichen Schwung. Das ist allerdings auch nicht immer der Fall. "DNA-Spuren werden manchmal gar nicht ausgewertet", berichtet Anwältin Steiner.

Opfer fühlt sich übergangen
Ein Beispiel: Im Fall eines 23-Jährigen, der sich in der kommenden Woche im Wiener Landesgericht verantworten muss, weil er laut Anklage zehn Frauen vergewaltigen wollte und sieben weitere belästigt haben soll, wurde von der Staatsanwaltschaft das Schicksal einer jungen Frau nicht berücksichtigt. Dass dieses Faktum mit der Begründung nicht in die Anklageschrift miteinbezogen wurde, der Täter habe bei der Vielzahl der bereits angezeigten Fakten mit keiner höheren Strafe mehr zu rechnen, "ist für das Opfer schrecklich", so Steiner. Die junge Frau fühle sich mit dem, was sie erlebt hat, übergangen bzw. nicht wahrgenommen.

Bei von sexueller Gewalt betroffenen Frauen handelt es sich regelmäßig um Personen, die bis dahin noch keinen Kontakt mit Polizei und Gerichten hatten. Umso wichtiger ist für sie, dass sie korrekt behandelt werden, gibt die juristische Prozessbegleiterin Iris Dullnig zu bedenken: "Wenn am Ende das Verfahren eingestellt wird, ist das okay, sofern ein ordentliches Ermittlungsverfahren geführt worden ist."

Kritik an vorformulierten Begründungen
Eine weitere Praxis bei den Anklagebehörden stößt den Expertinnen ebenfalls sauer auf: Obwohl die Beweissituation bei Sexualdelikten schwierig sei, würden Verfahren immer wieder mit kurzen, formelhaften Sätzen und ohne ausführliche Begründung eingestellt, ohne dass der Verdächtige mit den gesamten Beweisergebnissen konfrontiert wird. "Für jemanden, der sexuelle Gewalt erlebt und angezeigt hat, ist es essenziell, zumindest eine ordentliche Begründung zu bekommen, wenn die Anzeige zurückgelegt wird", so Steiner.

Im Vorjahr hat es österreichweit 986 Verurteilungen wegen Vergehen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung gegeben. Neben 963 Männern wurden von den heimischen Gerichten 23 Frauen schuldig erkannt. Der Großteil der Sextäter - nämlich 79,3 Prozent - waren österreichische Staatsbürger.

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