Justizministerin Anna Sporrer (SPÖ) will das Sexualstrafrecht reformieren und das Zustimmungsprinzip „Nur Ja heißt Ja“ gesetzlich verankern. Ideen zur Umsetzung holte sie sich am Montag am Rande des Ministerrats in Luxemburg bei schwedischen Amtskolleginnen und -kollegen. Heimische Justizexpertinnen und -experten sind uneins über den Vorstoß der Ministerin.
Nach den nicht rechtskräftigen Freisprüchen von zehn Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren, die sexuelle Kontakte mit der zwölfjährigen „Anna“ (Name geändert) hatten, nimmt Justizministerin Sporrer den Fall zum Anlass, das Sexualstrafrecht zu reformieren. Kürzlich schlug sie vor, das Zustimmungsprinzip „Nur Ja heißt Ja“ gesetzlich zu verankern, um Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen.
Schweden als Vorbild für Reform in Österreich
Beim Ministerrat am Montag in Luxemburg tauschte sich Sporrer mit ihren Amtskolleginnen und Amtskollegen aus Deutschland, Rumänien und Schweden aus. Für die Ministerin gilt Schweden als Vorbild in der Stärkung der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen, berichtet das Ö1-„Morgenjournal“. Dort wurde das Zustimmungsprinzip bereits 2018 im Sexualstrafrecht verankert. Sporrer will ein ähnliches Vorhaben nun auch in Österreich umsetzen.
In Schweden sei laut dem „Morgenjournal“-Bericht nach der Einführung die Verurteilung von Vergewaltigungen um 75 Prozent gestiegen. Nicht alle seien zwar auf den neuen Paragrafen zurückzuführen, jedoch wäre „ein gestiegenes Bewusstsein in der Gesellschaft“ bemerkbar gewesen. Genau das sei ein Ziel des Paradigmenwechsels. Laut Sporrer gehe es darum, die Opfer in jenen Verfahren zu stärken und das würden sie mit jener Einführung des Paragrafen tun. Der Fokus in den Beweisverfahren würde sich in der Folge „vom Opfer zum Täter“ richten. Dies sei wesentlich, um die Frauen zu stärken, wenn diese überzeugt sind, Opfer von sexueller Gewalt geworden zu sein, so Sporrer.
Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte müssen mitgenommen werden, um das neue Konzept zu verstehen und in der Praxis umzusetzen.
Justizministerin Anna Sporrer (SPÖ)
Nicht nur das Gesetz müsse reformiert werden, auch der gesellschaftliche Wandel brauche eine gute Begleitung – darin seien sich die schwedischen Kollegen Sporrers einig. Der gesamte Justizapparat solle geschult werden, lautet eine ihrer zentralen Erkenntnisse. „Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte müssen mitgenommen werden, um das neue Konzept zu verstehen und in der Praxis umzusetzen“, sieht auch Sporrer die heimische Justiz in der Pflicht. In Schweden geschehe das laufend. Die Umsetzung werde dort von einer eigenen, dafür zuständigen Agentur überwacht.
Konsensprinzip für Minderjährige auf EU-Ebene geplant
Die Ministerin hält sich bei der zeitlichen Umsetzung in Österreich noch bedeckt. Im Gewaltschutzaktionsplan, der Ende des Jahres präsentiert werden soll, ist das Konsensprinzip jedoch als Vorhaben vorgesehen. Sporrer rechnet im kommenden Jahr mit weiteren Impulsen auf Ebene der Europäischen Union. Geplant sei dort, das „Konsensprinzip auch für Minderjährige zwischen 14 und 18 Jahren“ einzuführen. Zudem soll die EU-Richtlinie zum Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch neu aufgelegt werden. Dadurch wäre es laut Sporrer auch leichter, die Reform später auf Erwachsene auszuweiten.
Im Rahmen einer prominent besetzten Diskussionsveranstaltung am Montagabend im Wiener Juridicum sind sich Justizexperten noch uneins, was die Verankerung des Zustimmungsprinzips im Sexualstrafrecht anbelangt und warnten vor einer Anlassgesetzgebung durch die Politik.
Strafrechtsprofessorin Ingeborg Zerbes spricht sich – ähnlich wie Sporrer – dafür aus, gesetzlich klar festzuschreiben, dass Sex nur mit Einverständnis erlaubt ist. Sie kann sich Änderungen beim Paragrafen 205a des Strafgesetzbuchs vorstellen, der die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung unter Strafe stellt. Derzeit drohen dafür bis zu zwei Jahre Haft, wenn jemand gegen den Willen einer Person Sex hat. Eine Reform würde laut Zerbes „zu einer Klarstellung der Norm“ führen. „Ein Tatverdächtiger kann dann nicht mehr sagen: ,Warum hast du nicht Nein gesagt?‘“, erklärt sie.
Auch der Sektionschef für Strafrecht im Justizministerium, Fritz Zeder, stimmte dem zu: „Aus fachlicher Sicht kann ich sagen: Sexualkontakte nur mit Zustimmung. Wir als Justizministerium haben das schon vor zehn Jahren vorgeschlagen“, so Zeder. Die Politik habe das seinerzeit nicht umgesetzt.
Strafverteidiger sehen Herausforderungen bei Beweismitteln
Ein „klares Nein zur Verschärfung des Sexualstrafrechts“ kommt von Philipp Wolm, Präsident der Vereinigung der Österreichischen Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger. Ein „Nur ein Ja ist ein Ja“ würde den Tatbestand ändern – Bedarf dafür sehe er nicht. Die Gerichte seien schon jetzt bei der Beweiswürdigung stark gefordert. Sexuelle Kontakte fänden meist nonverbal statt, fragt Wolm: „Reicht ein Nicken? Und was, wenn beide beeinträchtigt sind – kann man dann zustimmen?“ Statt neuer Gesetze brauche es seiner Ansicht nach mehr Prävention und ein stärkeres Bewusstsein für sexuelle Selbstbestimmung.
Wenn man etwas nicht beweisen kann, muss man ein Ermittlungsverfahren zwingend einstellen bzw. in einer Hauptverhandlung freisprechen. Das ist kein Scheitern der Justiz oder unserer Rechtsordnung. Das ist Teil des Rechtsstaats.
Anna-Maria Wukovits, Vizepräsidentin der Vereinigung Österreichischer Staatsanwält:innen
Auch Anna-Maria Wukovits, Vizepräsidentin der Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, warnte vor Schnellschüssen. „Die Praxis kommt mit dem geltenden Recht gut aus. Ich sehe keine Regelungslücke“, sagte sie. Oft fehlen ausreichende Beweise, sodass Staatsanwaltschaften und Gerichte die Glaubwürdigkeit prüfen müssen. „Wenn man etwas nicht beweisen kann, muss man ein Ermittlungsverfahren zwingend einstellen bzw. in einer Hauptverhandlung freisprechen. Das ist kein Scheitern der Justiz oder unserer Rechtsordnung. Das ist Teil des Rechtsstaats“, betonte die auf Sexualstrafsachen spezialisierte Staatsanwältin aus Wien.
Ziel einer Reform dürfe es laut Wukovits daher nicht sein, die Verurteilungsquote zu erhöhen, sondern bessere Möglichkeiten zur Beweissicherung zu schaffen – etwa durch den Ausbau von Gewaltambulanzen.
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