Im Prozess um die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung und Nötigung einer Zwölfjährigen wurden vergangene Woche im Wiener Landesgericht zehn Jugendliche und junge Männer freigesprochen. Die Empörung im Land bringt enorme Dynamik in die politische Debatte um eine Gesetzesverschärfung.
Der „Fall Anna“ samt Freisprüchen für zehn junge Männer erschüttert das Land. Und sorgt für bemerkenswerte Einigkeit. Härtere Gangart. Anna (Name geändert) war zur Zeit der sexuellen Vorgänge erst zwölf. Sie habe jedoch vorgegeben, älter zu sein. Die „Krone“ befragte Justizvertreter der Parteien.
Wie war Ihre erste Reaktion nach den Freisprüchen?
„Auch ich habe einmal ordentlich geschluckt“, sagt Justizsprecherin und Ex-Ministerin Alma Zadić von den Grünen. „Es geht hier auch um die Frage: Schützt unser Strafrecht Kinder, Jugendliche und Frauen ausreichend?“ FPÖ-Justizsprecher Harald Stefan: „Ich war schockiert und betroffen.“
Im Regierungsprogramm steht die Verschärfung des Sexualstrafrechts, wo sehen Sie die Schwerpunkte?
SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim meint, „dass es oft zu einer Opfer-Täter-Umkehr kommt“. In diese Kerbe schlägt auch NEOS-Frauensprecherin Henrike Brandstötter: „Es ist ein System, das Betroffene im Stich lässt. Die Kluft zwischen Anzeigen und Verurteilungen ist erschütternd.“ Für sie reicht eine Gesetzesverschärfung alleine nicht: „Es braucht umfassenden Opferschutz, spezialisierte Ermittler und Schulungen für Justiz und Polizei.“
Wie Zadić und SPÖ-Justizministerin Anna Sporrer sieht Yildirim im „Nur Ja heißt Ja“-Prinzip den Kern der Novelle. „Alle Beteiligten müssen unmissverständlich zustimmen. Das gibt es bereits in vielen Ländern der EU“, so Zadić. Für Stefan ist das Zustimmungsprinzip nicht die Lösung: „Es handelt sich um ein Ablenkungsmanöver vom Versagen in der Asylpolitik.“ Auch ÖVP-Justizsprecher Klaus Fürlinger ist skeptisch: „Das Zustimmungsprinzip würde das tatsächliche Problem nicht lösen.“
Ganz egal, ob sie Handlungen zustimmt oder nicht, Sex mit einer Zwölfjährigen ist in jedem Fall strafbar.
Harald Stefan, FPÖ
Bild: APA/GEORG HOCHMUTH
Wenn einer über den Sachverhalt irrt, ist es schwierig, ihm Vorsatz zu unterstellen.
Klaus Fürlinger, ÖVP
Bild: ÖVP
Der Fall macht deutlich, dass wir ein Problem mit patriarchalen Strukturen haben.
Selma Yildirim, SPÖ
Bild: Johanna Birbaumer
Es ist ein System, das Betroffene im Stich lässt. Die Kluft zwischen Anzeigen und Verurteilungen ist erschütternd.
Henrike Brandstötter, NEOS
Bild: APA/MAX SLOVENCIK
Alle Beteiligten müssen unmissverständlich zustimmen. Das gibt es bereits in vielen Ländern der EU.
Alma Zadić, GRÜNE
Bild: APA/HANS KLAUS TECHT
Reicht es wirklich, wenn Burschen denken, dass das Mädchen 14 sei?
Fürlinger will die Urteile nicht kommentieren. Aber: „Wenn einer über den Sachverhalt irrt, ist es schwierig, ihm Vorsatz zu unterstellen.“ Yildirim indes sagt: „Unser Rechtssystem ist darauf ausgelegt, dass Unwissenheit vor Strafe nicht schützt.“
Zu dem Vorfall im Hotelzimmer, wo mehr als zehn Burschen hintereinander Sex mit dem Kind hatten, sagt Stefan: „Ein zwölfjähriges Mädchen ist eine unmündige Person. Ganz egal, ob sie Handlungen zustimmt oder nicht. Sex mit einer Zwölfjährigen ist in jedem Fall strafbar.“ Für Yildirim macht der Vorfall deutlich, „dass wir ein Problem mit patriarchalen Strukturen haben“.
Neben SPÖ-Ministerin Sporrer ist auch Familien- und Integrationsministerin Claudia Plakolm für eine Verschärfung: „Das Urteil ist für mich nicht nachvollziehbar und verunsichert. Wenn es Lücken im Sexualstrafrecht gibt, dann müssen diese geschlossen werden. Da reicht Kinderschutz nicht aus, da braucht es klare Konsequenzen.“
Zehn Burschen mieten ein Hotelzimmer, locken eine Zwölfjährige dorthin. Einer nach dem anderen vollzieht Geschlechtsverkehr mit dem Kind. Stundenlang.
Auch ein Stiegenhaus, ein Parkhaus, ein Kinderzimmer und ein Hobbyraum werden zu Tatorten. Monatelang.
Vor Gericht geht die Burschenbande aus dem Antonspark in Favoriten frei. Und was passiert? Die Medien werden für ihre ausführliche Berichterstattung über den schockierenden Fall kritisiert. Es hätte sich dadurch enormer Druck aufgebaut ...
Die Reaktion von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, hat die Politik in Schwung gebracht.
Und das ist auch gut so! Denn die skrupellose Sexualisierung und das Ausnützen einer Kinderseele darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Ganz egal, ob sich das Mädchen als älter ausgab.
Die Reaktion von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, hat die Politik in Schwung gebracht. Selten, dass sich alle Parteien derart einig sind, dass die derzeitige Gesetzeslage im Sexualstrafrecht solch erschütternden, zutiefst frauenverachtenden Entwicklungen nicht standhält.
Gut, dass das Justizministerium von seinem Weisungsrecht Gebrauch gemacht hat und die Staatsanwaltschaft Wien anwies, Nichtigkeitsbeschwerde zu allen Angeklagten anzumelden – die teilweise auch in einem zweiten Fall, wieder mit zwölfjährigem Opfer, beschuldigt sind.
Wichtig, dass es dieses Instrument, das bei Einführung einer Bundesstaatsanwaltschaft wohl wegfallen würde, noch gibt.
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.