Ohne Job und Schule

EU-Studie: Im Stich gelassene Jugend als tickende Bombe

Ausland
22.10.2012 12:29
Die Nicht-Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und unterlassene Bildungsinitiativen seit Beginn der Krise kommen die EU-Staaten jetzt teuer zu stehen. Bis zu zu 3,5 Prozent des BIP entgehen Ländern wie Spanien, Griechenland oder Italien durch eine steigende Zahl junger Menschen, die weder Arbeit oder eine Lehrstelle findet noch zur Schule gehen kann. Experten vergleichen die derzeitige Entwicklung gar mit der Situation in den Ländern des Arabischen Frühlings, wo die Benachteiligung einer jungen Generation in soziale Unruhen mündete.

Die "Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen" hat sich in einer 171 Seiten starken Studie ausführlich mit der Situation der sogenannten "NEETs" in Europa beschäftigt. Gemeint sind mit diesem Akronym junge Menschen zwischen 15 und 29, die sich aktuell weder an einem Arbeits- oder Ausbildungsplatz noch in einer Schule befinden ("Not in Employment, Education or Training").

Sie machen nicht zwingend die komplette Jugendarbeitslosigkeit eines Landes aus, sondern sind die Härtefälle aus Arbeits- und Bildungswelt, denen der Zutritt zu beiden dauerhaft verwehrt zu sein scheint. Ihre Zahl beziffert die Studie mit 14 Millionen Menschen europaweit - 7,5 Millionen bei den 15- bis 24-Jährigen und 6,5 Millionen in der Altersklasse von 25 bis 29. Die Gesamtzahl dieser Bevölkerungsgruppen beträgt 94 Millionen.

Europa entgehen 153 Milliarden Euro pro Jahr durch NEETs
Der europäischen Volkswirtschaft entsteht durch die fehlende Beteiligung einer ganzen Generation ein jährlicher Schaden von 153 Milliarden Euro, also rund 1,2 Prozent des gesamteuropäischen BIP, heißt es in der Studie. In Ländern wie Spanien, Griechenland und Italien mit einer Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 50 Prozent macht der Entgang bis zu 3,5 Prozent des BIP aus. An unmittelbaren Kosten für Sozialversicherung, Notstandshilfe etc. fallen insgesamt rund elf Milliarden in den Mitgliedsländern an. Diese Zahlen seien dabei noch "sehr konservativ" geschätzt, da beispielsweise ein NEET-Anteil an der Kriminalitätsrate nicht mit einberechnet wurde.

Österreich steht im Vergleich geradezu ausgezeichnet da, "verzichtet" pro Jahr aber immer noch auf rund drei Milliarden Euro oder 1,06 Prozent seines Bruttoinlandprodukts. Unmittelbar kosten die NEETs dem Staat 226 Millionen Euro jährlich an Transferleistungen. Mit einem NEET-Anteil von etwa acht Prozent an den 15- bis 29-Jährigen befindet man sich auf Platz fünf hinter den Niederlanden, Luxemburg, Dänemark und Schweden und weit unter dem EU-Schnitt von 15,4 Prozent. Österreich gehört auch zu der Handvoll EU-Länder, die beim Übergang von der Wirtschafts- zur Euro-Krise keinen Anstieg an NEETs zu verzeichnen hatten.

Aus Sicht der Studienautoren sollten gute Werte für einzelne Länder trotzdem kein Argument sein, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Es lohne sich nämlich, in die vermeintliche "Lost Generation" zu investieren, auch wenn man nie alle aus dem NEET-Status bekommen wird, zumal ein kleiner Teil freiwillig "nichts tut" und bei einigen NEETs aufgrund physischer, psychischer oder familärer Gründe weder für Bildung noch für einen Job die Möglichkeit besteht. "Wenn wir aber nur zehn Prozent herausholen, nur 1,4 Millionen junge Menschen, haben wir 15 Milliarden Euro davon", erklärt Studienleiter Massimiliano Mascherini im "Guardian".

Vergleich mit arabischer Jugend
Steigende NEET-Raten stellen sich zunächst als scheinbar nationales Problem eines Landes dar, ein Risiko für die gesamte EU besteht laut den Studienautoren aber darin, dass sich jene Generation, auf deren Schultern eigentlich die Zukunft der Union lastet, mit der Zeit immer mehr vom System in Stich gelassen fühlt und sich aus dem demokratischen Prozess zurückzieht bzw. sich ihm sogar entgegenstellt.

Der OECD-Analyst Stefani Scarpetta zieht im "Guardian" Parallelen zu der Situation der Jugendlichen in den Ländern des Arabischen Frühlings. Dort sahen sich Hunderttausende trotz Investitionen in Bildung und wirtschaftlichen Aufschwungs in ihren Ländern mit Arbeitslosigkeit konfrontiert. "Das war ein bedeutender Mitauslöser für die Proteste, die sozialen Unruhen, die sich in diesen Ländern entfaltet haben", so Scarpetta.

Er glaube zwar nicht, dass man in Europa bereits an diesem Punkt angelagt sei, aber Staaten wie Griechenland und Italien, wo zwischen 20 und 30 Prozent der Jungen in die NEET-Kategorie fallen, bewege man sich nah an der Schwelle. Die Studie empfiehlt ein Umdenken im Kampf gegen NEETs von kurzfristigen zu langfristigen Maßnahmen, die nicht nur von Regierung, sondern auch von Arbeitgebern getragen werden müssten. Mit dem Gießkannenprinzip werde man den NEETs nicht beikommen, stattdessen müsse Jugendbetreuung individualisiert werden. Das Wichtigste sei aber, die aus der Gesellschaft ausgeklinkten bzw. ausgegrenzten NEETs wieder zu motivieren, Anstrengungen zu unternehmen.

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