Kogler/Maurer:

„Nur Drittel der Asylwerber bleibt in Österreich“

Politik
28.12.2022 06:00

Vizekanzler Werner Kogler und Nationalratsabgeordnete Sigrid Maurer ziehen im „Krone“-Interview Bilanz. Sie sind die grünen Garanten, dass die Koalition hält, auch wenn der ÖVP-Asylkurs für beide unverständlich ist.

„Krone“: Glückspielnovelle, Arbeitsmarktreform, Umweltverträglichkeitsprüfungen  - einiges ist gescheitert, manches liegt auf Eis. Auch ÖVP-intern sagen viele, die die Koalition hänge am seidenen Faden, weil es für Sie, Frau Maurer, immer schwieriger wird, die Grünen auf Linie zu halten. Steht es Spitz auf Knopf?

Sigrid Maurer: Es gab viele Vorhaben in der Regierung, wo es geheißen hat, sie bringen es nicht zusammen, sie bringen es nicht auf den Boden. Jedes einzelne davon ist auf den Boden gekommen. Ich nenne als Beispiel das Klimaticket, das in den letzten 15 Jahren in Regierungsprogrammen gestanden ist. Es ist ein unglaublicher Erfolg. Wir haben in diesem Jahr außerdem die kalte Progression abgeschafft und die automatische Anpassung der Sozialleistungen an die Teuerung beschlossen. Das sind riesige Projekte, die im Übrigen nicht einmal im Regierungsprogramm gestanden sind. 

Werner Kogler: Bei der automatischen Anpassung der Familien- und Sozialleistungen an die Teuerung ist etwa auffällig, dass die meisten Leistungen in der Ära Kreisky eingeführt wurden, die Valorisierung zwar seit Jahren diskutiert, aber nie umgesetzt wurde. Das klingt so technisch, heißt aber, dass die Familien und Sozialleistungen eben jährlich automatisch entsprechend der jeweils aktuellen Teuerung angepasst werden - ohne dass es dafür eine neue politische Einigung braucht. Gerade die Leute, die es am meisten brauchen, können sich jetzt endlich darauf verlassen, dass die Familien- und Sozialleistungen stabil bleiben und nicht durch die Teuerung an Wert verlieren. Da haben wir jetzt Dinge saniert, die seit Jahrzehnten einer Entscheidung harren. Trotz dieser großen Krisen. Das zeigt von einer besonderen Handlungsfähigkeit.

Wenn das alles so rosig ist, warum herrscht dann die große Unzufriedenheit in der Bevölkerung?
Kogler: Wir sehen den Trend in vielen Ländern. Es ist wegen der vielen, sich stapelnden Krisen und der damit verbundenen Unsicherheit auch nachvollziehbar, dass dieser Vertrauensverlust viele Institutionen betrifft. Es ist aber eine wichtige Aufgabe, den Trend umzukehren. Dazu gehört für mich, dass wir in der Politik, aber auch in anderen wichtigen Institutionen, Medien, Wirtschaft, Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, und das Verbindende vor das Trennende stellen und so daran arbeiten, dass das Vertrauen nicht weiter sinkt, sondern steigt.

Gewählt werden von den Institutionen aber nur die Parteien, wie will die Regierung Zufriedenheit steigern?
Maurer: Es ist unbestritten, dass diese viele Krisen, mit denen die Menschen in Österreich in den letzten drei Jahren konfrontiert waren, sehr anstrengend und belastend waren. Ich verstehe sehr gut, dass die Menschen Sorgen haben, was die Teuerung betrifft. Die größte Krise, mit der wir trotz allem immer noch konfrontiert sind, ist die Klimakrise, wo wir jetzt handeln müssen. Wir sind die erste Generation, die die Auswirkungen spürt und die letzte, die noch etwas dagegen tun kann. Das ist ein zentraler Pfeiler, wo man Zuversicht geben muss. Ich darf daran erinnern, im Frühjahr hat die Situation auch wieder ganz anders ausgeschaut, was die Sicherheit, die Einspeicherstände, die Abhängigkeit von Gas und Putin betrifft, da hat Leonore Gewessler geliefert. 

Ihr Koalitionspartner steht im Verdacht, wieder die Wahlkampfkosten überschritten zu haben. Es gibt fast im Monatsrhythmus einen neuen Skandal. Ist das der Regierungspartner, den sich die Grünen verdient haben?
Kogler:
Damit so etwas wie Wahlkampfkostenüberschreitungen in Zukunft ganz generell der Riegel vorgeschoben wird, gibt es das neue Parteientransparenzgesetz. Und das ist eines der strengsten in Europa überhaupt. Jetzt kann der Rechnungshof kommen und die Parteikassen umdrehen. Das findet man wohl kaum sonst wo. Das hat auch die ÖVP mitbeschließen wollen, sollen, müssen. Insofern geht in den großen Transparenz-Punkten sehr wohl etwas weiter - auch, wenn natürlich noch viel zu tun ist. Wichtig ist, dass jetzt so viele Dinge aufgeklärt werden wie nie zuvor. Das ist auch deshalb, weil es die Grünen in der Regierung gibt und mit Alma Zadic (Justizministerin, Anm.) die Unabhängigkeit der Justiz täglich geschützt und gestärkt wird. Es tauchen immer wieder Skandale auf, und ich verstehe jeden, den das aufregt, wenn schon wieder ein neuer Chat in der Zeitung steht. Die Dinge, die jetzt auftauchen, die sind in der Zeit vor der Grünen Regierungsbeteiligung passiert. Und damals wurden sie nicht aufgeklärt. Also wenn die Grünen nicht in der Regierung sind, passiert mehr und es wird nichts aufgeklärt oder wenig. Wenn die Grünen regieren, passiert weniger und wird mehr aufgeklärt. Die Aufklärung gelingt dank Justiz, Rechnungshof, Untersuchungsausschuss, und wir verschärfen laufend die Gesetze. Da tut die ÖVP mit. Gut so.

Hätten Sie nicht gerne mal eine Verschnaufpause? Frau Maurer, Sie haben gesagt, Sie „können sich nicht alle fünf Minuten um die ÖVP kümmern“.
Maurer: Da war ich vielleicht ein bisserl grantig. Fakt ist, wir sind verantwortlich für die Grünen, die ÖVP ist schon für sich selber verantwortlich.

Der Asylkurs der ÖVP verschärft sich. Warum schlucken Sie das einfach so?
Kogler: Die Frage darf hier nicht sein, welcher Spruch produziert eine Schlagzeile, sondern was sind tatsächlich Lösungen. In der Asylfrage Ordnung und Humanität. Im Regierungsprogramm ist klar verankert, welche Regeln zu gelten haben und das ist die europäische Menschenrechtskonvention. Die Situation ist eine andere als 2015, es sind zwar große Registrierungszahlen um die 100.000, aber nur etwa ein Drittel davon sind Schutzsuchende, die tatsächlich in österreichischen Grundversorgung sind. Die anderen ziehen weiter.

Mit dem Vorschlag, Zäune oder Mauern rund um Europa zu errichten, haben Sie auch kein Problem?
Kogler: Erstens hat sich die Frau Klubobfrau schon klar dazu geäußert. Zweitens ist das ein Nebenast der Schengen-Debatte. Es ist ein Debattenbeitrag der ÖVP, wobei das, was Schallenberg formuliert, auch legitim ist: Es ist ein Aufzeigen von Problematiken. Wichtig ist aber noch, dass wir an Lösungen arbeiten. Die Diskussion um Zäune und Mauern halte ich für einen überschaubaren Lösungsbeitrag.

Zitat Icon

Was das Durchwinken betrifft, das die ÖVP kritisiert, wird sich herausstellen, dass das Hauptproblem Ungarn ist.

Werner Kogler über den Asylkurs der ÖVP

Werden Sie darauf drängen, dass Österreich bei der nächsten Gelegenheit für den Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien stimmt? 
Kogler: Wir haben klar gesagt, dass wir als Grüne für die Erweiterung sind. Bei Kroatien ist das gelungen, bei Rumänien und Bulgarien sind noch Gespräche zu führen. Auf europäischer Ebene mit den Niederländern auf der einen Seite, mit Bulgarien, Rumänien, der Ratspräsidentschaft und der Kommission auf der anderen. Was das Durchwinken und die fehlenden Registrierungen betrifft, die die ÖVP kritisiert, wird sich ohnehin herausstellen, dass das Hauptproblem Ungarn ist. Mit der Herangehensweise, dass eine ordentlich gemachte Registrierung das Kriterium ist, um im Schengen-Raum dabei zu sein, müsste man Ungarn aus diesem ausschließen. Das habe ich nun auch nicht gehört. Am Schluss wird es so ausgehen, wie es in Europa immer ist: Es wird ein vernünftiger Lösungsansatz herauskommen.

Ihr Fazit: Lassen wir die ÖVP herumschreien, auf europäischer Ebene kommt es eh so nicht. Sind Sie deshalb so gelassen?
Kogler: Außenminister Schallenberg hat das am besten getroffen, dass auf ein Problem aufmerksam gemacht wurde. Jetzt müssen wir daran arbeiten, dass das gelöst wird, und Rumänien und Bulgarien so schnell wie eben möglich in den Schengen-Raum aufgenommen werden.

Und dass Karl Nehammer mit Orban (Ministerpräsident Ungarns, Anm.) freundschaftlich auf Fotos posiert, stört Sie dann auch nicht …
Kogler: Karl Nehammers Argument, ist, dass man mit allen im Austausch bleiben muss. Zu Orban haben wir da einen unterschiedlichen Zugang, das muss man so sagen. Das ist ja öfter so und ändert ja nichts daran, dass wir in den meisten Fällen gemeinsam große Ergebnisse liefern.

Wird das Klimaschutzgesetz noch irgendwann in Begutachtung kommen. Die ÖVP, Herr Schmuckenschlager meinte, er braucht es nicht …
Maurer: Wir hatten vorher eine lange Liste an Themen, die dicke Bretter zum Bohren waren und wir haben sie auf den Boden gebracht. So wird es mit dem Klimaschutzgesetz letztendlich auch sein. Es ist eben ein besonders dickes Brett. Da haben sich auf der anderen Seite ein paar Leute etwas einzementiert, wir werden sie ausgraben müssen. Früher ist man mit der grünen Mission ein bisschen belächelt worden. Erneuerbare Energien, geht sich das überhaupt aus? Inzwischen ist allen klar, was früher grüne Mission war, ist jetzt Staatsräson.

Zitat Icon

Die Causa rund um die Wahlkampfkosten liegt aktuell beim Unabhängigen Parteien-Transparenz-Senat und wird dort bearbeitet.

Sigrid Maurer über das Klimaschutzgesetz

Kogler: Energiewende ist der Schlüssel für vieles, unter anderem auch für die Unabhängigkeit und Sicherheit. Es ist ein halbes Jahr her, dass man davon ausgehen musste, dass wir im Winter zu wenig Gas haben werden. Jetzt sind die Speicher voll, die Energieversorgung ist bis zum nächsten Sommer garantiert. In anderen europäischen Ländern müssen sie schauen, wie es im März sein wird. 


Herbert Kickl ist derzeit in Pole Position bei den Umfragen. Läuft nicht einiges schief im Land, wenn die Freiheitlichen die Nummer eins sind?
Maurer: Ich glaube, es ist klar, es gibt vier Parteien, die versuchen im Wesentlichen, konstruktive Lösungen für das Land zustande zu bringen. Und es gibt eine Partei, die dagegen krakeelt und Angst schürt, das ist die Freiheitliche Partei. Sie ist damit leider oft erfolgreich. Das Gegenrezept kann aber nur sein, seriöse und gute Politik zu machen, die die Menschen unterstützt, die ihnen das Geld auf die Konten bringt, die sie entlastet, die ihnen Zuversicht gibt für eine positive Zukunft für die Kinder und Enkel.

Aber Koalitionspartner setzt auf Thema, das Kickl in die Hände spielt.
Kogler: Wer weiß das so genau, was da alles den Ausschlag gibt. Es mag sein, dass mit dem künstlichen Herumgeplärre der FPÖ Unsicherheit geschürt wird und sie davon profitiert, wenn andere drauf einsteigen. Das wäre schon ein gemeinsamer Auftrag von den übrigen vier vernünftigen Parlamentsparteien, das zu enttarnen.

Wann machen Sie sich Gedanken, ob Sie die Parteispitze übergeben oder selbst noch einmal als Spitzenkandidat in den Wahlkampf gehen? 
Kogler: Das ist noch eine Zeit hin, weil wir gehen einmal davon aus, dass die Legislaturperiode hält. Jetzt bin ich am letzten Bundeskongress für drei Jahre wiedergewählt worden. Ein Motto hat sich da schon öfter bewährt: Wir reiten in die Stadt und der Rest ergibt sich dann.
Maurer: Werner Kogler hat die letzten drei Jahre bewiesen, beim Comeback der Grünen, wie gut er die Grünen anführt, das wird wohl weiter so sein.

Was haben Sie in den drei Regierungsjahren gelernt? 
Kogler: Locker bleiben.
Maurer: Verhandeln.

War der Kanzlerwechsel ein Segen?
Maurer: Es war schlichtweg eine Notwendigkeit. Sie erinnern sich, Kanzler Kurz war nicht mehr amtsfähig, die Zusammenarbeit mit Karl Nehammer ist gut und mit meinem Gegenüber habe ich auf einer sehr professionellen Ebene eine sehr gute Zusammenarbeit. Manchmal ist es leichter, manchmal weniger leicht. Aber die Bürger haben es sich verdient, jemanden als Kanzler zu haben, der nicht unter Korruptionsverdacht steht.

Trotz der Wahlkostenüberschreitung, die Karl Nehammer verantworten müsste?
Maurer: Die Causa rund um die Wahlkampfkosten liegt aktuell beim Unabhängigen Parteien-Transparenz-Senat und wird dort bearbeitet. 

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