Filzmaier & Thalhammer

Wo stehen wir am Ende des Lockdowns?

Politik
12.12.2021 12:24

Wie heißt es bei Asterix im Kampf gegen die Römer? Wir befinden uns im Jahr 2021. Ganz Österreich beendet seinen Lockdown … Ganz Österreich? Nein! Je nach Bundesland wird seitens der Politik dem Coronavirus als Eindringling auf sehr unterschiedliche Art Widerstand geleistet. Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier fragt den Top-Infektiologen Florian Thalhammer, wo wir bei der Pandemiebekämpfung stehen.

Peter Filzmaier: Ich brauche Ihre Hilfe.
Florian Thalhammer: Warum das denn?

Weil ich die Corona-Kommunikation nicht verstehe!
Oje. Aber wie kann ich Ihnen da helfen? Sie sind doch der Kommunikationsexperte von uns beiden

Ja eh. Doch um die Entscheidungsprozesse und politische Kommunikation zur Bekämpfung der Pandemie zu analysieren, muss ich ja zuerst die medizinische Logik dahinter kapieren.
Gut. Wo fangen wir an?

Ab heute sind wir nicht mehr im Lockdown. Die Zahl der Neuansteckungen ist um mehr als die Hälfte niedriger als am Beginn der Ausgangsbeschränkungen. Aber noch gibt es kaum weniger Patienten auf den Intensivstationen. Sind da aus Ihrer Sicht als Epidemiearzt die Öffnungen medizinisch schon vertretbar?
Es schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich will ja auch gerne wieder mit Freunden essen gehen. Aber aus medizinischer Sicht – Stichwort Spitalsbelastung – halte ich es für richtig, dass es eine vorsichtige stufenweise Öffnung gibt und ich als Wiener hier und auch im benachbarten Niederösterreich erst in einer Woche in ein Restaurant darf. Leider.

Seitens der Politiker in der Bundesregierung und aus den Ländern hieß es im November: „Der Fleckerlteppich muss weg!“ Nun gibt es neuerlich in jedem Bundesland andere Regelungen. Zudem öffnet Vorarlberg mit den höchsten Ansteckungszahlen am schnellsten. In Wien ist das Virus aufgrund der besten Reaktion auf die vierte Welle am wenigsten verbreitet, trotzdem wird mit der Öffnung von Gastronomie und Hotels gewartet. Was soll ich davon halten?
Das ist Föderalismus in seiner weniger guten Ausprägung. Hier haben wir in den letzten knapp zwei Jahren nichts dazugelernt. Es braucht eine Person, die bundesweit das epidemiologische Sagen hat, und alle müssen im Gleichschritt marschieren. Interessant ist, dass in manchen Staaten dafür ein hochrangiger Militärangehöriger bestellt wurde. Man braucht Mut und Stehvermögen, auch unangenehme Entscheidungen zu treffen und umzusetzen.

Ich bin medizinischer Laie, aber ich kann zählen und rechnen. In Südafrika wurde die neue Virusvariante Omikron entdeckt, welche viel ansteckender ist. Selbst wenn es prozentuell weniger schwere Fälle gibt, wären das ja in absoluten Zahlen so viele Schwerkranke, dass die Krankenhäuser spätestens im Februar oder März noch mehr überlastet sind. Wie gefährlich ist Omikron wirklich?
Omikron wird wahrscheinlich dominierend werden. Wie viel „gefährlicher“ es ist, wissen wir noch nicht. Tatsache ist, jeder von uns braucht eine abgeschlossene Grundimmunisierung, das heißt drei Impfungen. Den dritten Stich spätestens sechs Monate nach dem zweiten. Das ist unsere stärkste und standfesteste Mauer in der Pandemiebewältigung. Ist die Impfquote zu niedrig, stehen uns als nächster und viel schwächerer Schutzwall Tabletten als Frühtherapien zur Verfügung. Danach bleiben vor dem Weg ins Krankenhaus nur noch Infusionen mit monoklonalen Antikörpern.

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Tatsache ist, jeder von uns braucht eine abgeschlossene Grundimmunisierung, das heißt drei Impfungen. Den dritten Stich spätestens sechs Monate nach dem zweiten. Das ist unsere stärkste und standfesteste Mauer in der Pandemiebewältigung.

Infektiologe Florian Thalhammer im Gespräch mit Peter Filzmaier

Dagmar Belakowitsch, eine Nationalratsabgeordnete der FPÖ, hat Medizin studiert und behauptet, die Krankenhäuser seien nicht mit Corona-Kranken gefüllt. Sondern mit Impfgeschädigten. Damit unterstellt sie letztlich, dass alle Spitalsärzte uns ständig etwas vorlügen. Oder lügt Frau Belakowitsch?
Wenn sie unwissentlich diese Unwahrheit sagt, ist sie keine Lügnerin, hat aber politisch und medizinisch offenbar keine Ahnung. Wenn sie wissentlich solche Falschbehauptungen macht, dann lügt sie. Denn in den Wiener Krankenhäusern liegt zum Zeitpunkt unseres Gesprächs auf den Intensivstationen ein einziger geimpfter Patient, sonst sind es nur Ungeimpfte!

Es gibt Ungeimpfte, die auf den sogenannten Totimpfstoff von Valneva statt der aktuellen mRNA-Impfstoffe warten wollen. Macht das Sinn?
Erstens sind alle derzeit verfügbaren Impfstoffe keine Lebendimpfstoffe, sondern Totimpfstoffe mit unterschiedlicher Wirkungsweise. Zweitens würde ich nicht warten. Denn das Risiko, selber tot zu sein, das ist größer, als rechtzeitig einen zugelassenen Totimpfstoff zu bekommen. Haben Sie schon drei Stiche bekommen? Alles überlebt?

Mir geht es nach drei Impfungen bestens. Wenn jedoch die Wirkung gegen Omikron bei allen Impfstoffen abnimmt, ist da eine Impfpflicht ab 1. Februar richtig, oder würde diese rein medizinisch nicht mit den angepassten Impfstoffen im Frühjahr besser sein?
Ja, die Impfpflicht ab Februar ist richtig. Weil auch bei Omikron drei Impfungen besser sind als zwei. Weil Omikron nicht von heute auf morgen dominant sein wird. Weil wir am 1. Februar nicht alle mit einem gegen Omikron angepassten Impfstoff – falls es diesen da überhaupt schon geben sollte, was sehr unwahrscheinlich ist – impfen können.

Für alle, die sich doch infizieren: eine Tablette, die ich im Fall einer Corona-Erkrankung schlucken kann – das klingt natürlich noch besser als eine Infusion. Wie ist da der Stand der Entwicklung, und in welchen Fällen hilft sie?
Ach ja, die berühmten Tabletten. Molnupiravir hat eine relative Risikoreduktion von 30 Prozent. Nur fünf von 100 Patienten scheiden am dritten Therapietag noch ansteckendes Virus aus. Für – es tut mir leid, das ist jetzt medizinisches Fachchinesisch – PF-07321322-Ritonavir gibt es bisher nur eine Presseaussendung über eine noch höhere Wirksamkeit. Doch muss auf Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten geachtet werden. Beide Mittel ersetzen die Impfung nicht, weil sie nur kurz wirksam sind – während der Einnahme, danach nicht mehr. Die Impfung wirkt mit drei Stichen, abhängig von der vorherrschenden Mutation, mindestens zwölf Monate.

Ich frage nochmals nach: Haben wir genug Antikörperinfusionen und Medikamente? Denn bei der Bestellung der Impfstoffe war das ja anfangs so eine Sache ...
Stimmt. Jein, da der globale Bedarf riesig ist und nirgendwo alle Wünsche erfüllt werden können. Aber wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Das gilt auch für den Weltmarkt für Medikamente. Sagen wir so: Wir aus Österreich waren da nicht gerade bei den Ersten. Doch vor allem geht es ums Impfen, niemand soll damit bitte bis zur Impfpflicht warten!

Zur Person Florian Thalhammer

Florian Thalhammer ist Infektiologe an der Medizinischen Universität Wien, Stellvertretender Ärztlicher Direktor und Epidemiearzt am Universitätsklinikum Allgemeines Krankenhaus (AKH) sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (ÖGIT).

Zur Person Peter Filzmaier

Peter Filzmaier ist Professor für Politikwissenschaft an der Donau-Universität Krems und der Karl-Franzens-Universität Graz sowie Leiter des Instituts für Strategieanalysen (ISA) in Wien.

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