Vor Deutschland-Votum

Entscheidet ein Lacher die Wahl, Herr Botschafter?

Ausland
19.09.2021 11:10

Am kommenden Sonntag geht in Deutschland eine Ära zu Ende. Im „Krone“-Interview spricht der deutsche Botschafter in Österreich, Ralf Beste, über Angela Merkel, die drei Kanzlerkandidaten und warum bei dieser Wahl alles anders ist.

Wien-Hietzing, eine Industriellen-Villa aus der Jahrhundertwende. Der Botschafter höchstpersönlich öffnet die Tür zur Residenz. Alles ist im Biedermeier-Stil eingerichtet, „ungefähr so, wie sich die Deutschen Österreich vorstellen“, lacht Ralf Beste (55) und führt durch die Räumlichkeiten. „Möchten Sie Kaffee?“ Die Betonung auf der zweiten Silbe verrät, dass sich der Deutsche schon ein wenig an Österreich angepasst hat. Den Espresso bereitet er selbst in der Küche zu. Beim Interview sitzt der Botschafter vor einem Gemälde, das Kaiserin Maria Theresia zeigt. „Wir wissen noch nicht, was aus Maria Theresia wird“, erklärt er, „einiges wird demnächst neugestaltet und eingerichtet. Moderne Bilder, hellere Farben, Bauhaus-Möbel.“ Der 1,91 Meter große Diplomat trägt einen grauen Slim-fit-Anzug und eine dunkelrote Grenadine-Krawatte.

„Krone“: Eine Woche vor der Wahl liegt die SPD in praktisch allen Umfragen vor der Union und für die Grünen scheint das Rennen gelaufen zu sein. Kann Armin Laschet Ihrer Meinung nach noch Kanzler werden?
Ralf Beste: Ich glaube, das Rennen ist sehr offen. Wir haben das an den Umfragen über die letzten Wochen und Monate gesehen, das war eine wahre Achterbahnfahrt. Insofern ist es zu früh für eine Prognose. Auch wenn es nur noch eine Woche bis zur Wahl ist.

Was ist durch Ihren Kopf gegangen, als Sie das Video gesehen haben, auf dem der deutsche Bundespräsident mit ernster Miene zu den Opfern der Flutkatastrophe spricht, und im Hintergrund kichert Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet?
Ich war ehrlich gesagt auf den Bundespräsidenten fokussiert. Die Bilder von Laschet im Hintergrund habe ich erst nachher gesehen, als sie in den sozialen Medien thematisiert wurden. Ich habe also wie die meisten erstmal auf den Ball geguckt und nicht auf das Spielfeld. Dann dachte ich mir, was sich wahrscheinlich auch Armin Laschet gedacht hat: Das wäre wohl besser nicht passiert. Das sind die gefährlichen Momente in dieser neuen Welt, aus der laufend bewegte Bilder rausgehen.

Könnte es sein, dass dieser Lacher die Wahl entscheidet?
Ein Lacher alleine wird sicher nicht entscheidend sein, das wäre ja gelacht! Ich glaube, diese Diskussion wird medial übersteigert, weil sie Eindrücke schafft, die so einfach sind, dass man sie leichter wiederholen kann als komplizierte programmatische oder inhaltliche Aussagen. Das gilt auch für die beiden anderen Kandidaten.

Aber könnte es nicht am Schluss das Zünglein an der Waage sein?
Abgerechnet wird am Schluss. Das Rennen ist viel zu knapp, als dass man ernsthaft sagen könnte, was den Ausschlag in welche Richtung gegeben hat. Das macht diese Wahl ja so enorm spannend. So spannend habe ich es noch nie erlebt, und ich erinnere mich mit meinen 55 Jahren an mehrere Wahlen, die ebenfalls knapp waren.

Was ist diesmal so speziell?
Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik gibt es keinen Amtsinhaber, der sich um die Kanzlerschaft bewirbt. Insofern werden auch alle sehr stark auf ihre Persönlichkeit getestet. Da alle drei unerprobt im Kanzleramt sind, schaut man als Wähler noch viel mehr darauf, wem man das Land anvertrauen möchte. Das hat großen Einfluss auf die Wahlentscheidung und auf die Dynamik. Deshalb würde ich keinen der drei Kandidaten jetzt schon zu den Akten legen.

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Das Rennen ist viel zu knapp. Abgerechnet wird am Schluss. Deshalb würde ich keinen der drei Kandidaten jetzt schon zu den Akten legen.

Botschafter Ralf Beste über die kommende Deutschland-Wahl

Auch nicht die grüne Kandidatin Annalena Baerbock?
Ich sehe überall noch Bewegung. Frau Baerbocks Grüne waren schon bei 30 Prozent. Wenn wir dieses Interview vor zwei Monaten geführt hätten, hätten Sie vielleicht dasselbe zu Olaf Scholz gefragt, der aber im Moment vorne liegt.

Wie haben Sie den Wahlkampf und die TV-Diskussionen erlebt?
Alle Kandidaten waren sattelfest in ihren Inhalten, aber es gibt auch markante Unterschiede. Ich empfand die „Trielle“ - im Unterschied zu den Duellen - fast besser als die Formate bei den vorherigen Wahlen, wo zwei Kandidaten vier Moderatoren gegenübergestanden sind.

Wird der Ausgang dieser Wahl eine Auswirkung auf Österreich haben?
Natürlich ist es durch die enge Verflechtung wichtig für Österreich, was Deutschland macht. Das hängt aber nicht nur von der Person des Kanzlers ab, sondern auch davon, welche Koalition mit welchem Auftrag dahintersteht. Es wird wahrscheinlich eine Dreier- oder Viererkoalition sein. Auch das war bei früheren Wahlen anders. Und macht die Koalitionsverhandlungen möglicherweise nochmal spannender als den Wahlkampf.

Trauen Sie sich eine Prognose zu?
Na klar, aber ich werde sie nicht an die große Glocke hängen. - Lacht.

Die Wahl wird das Ende der Ära Merkel sein. Hat sie es verabsäumt, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin aufzubauen?
Das wird ihr oft vorgeworfen. Aber ist es nicht der zentrale Unterschied zwischen einer Demokratie und einer Dynastie, dass man in einer Demokratie seinen Nachfolger nicht selbst bestimmt? Ich glaube, Frau Merkel war immer klug genug zu wissen, dass nicht sie, sondern das Volk das entscheidet. Und jeder Demokrat ist gut beraten, diese Demut vor dem Volk zu haben. Frau Merkel hätte auch während der Legislaturperiode das Amt nicht so einfach übergeben können, wie manche dachten. Der Kanzler, die Kanzlerin wird vom Bundestag gewählt und nicht vom Vorgänger.

Es gibt heute in Deutschland die „Generation Merkel“, die nur eine Frau als Regierungschefin kennt. Zählen auch Ihre Kinder dazu?
Ja. Sie waren sehr klein, als Gerhard Schröder die Kanzlerschaft abgab, nämlich vier und sechs Jahre alt, kennen also nur eine Kanzlerin Merkel. Sie steht für das Unaufgeregte, für einen Politikstil, der an Problemlösung und weniger an ideologischen Kontroversen ausgerichtet ist. Das ist ein Ausdruck unserer Zeit und Frau Merkel hat diese Zeit geprägt.

Was ist ihr größter Verdienst?
Dass sie Europa zusammengehalten hat in mehreren großen Krisen. Sie hat die Kanzlerschaft 2005 übernommen, kurz nachdem das historische Projekt einer europäischen Verfassung an Referenden in den Niederlanden und Frankreich gescheitert war. Sie hat dann die Auffanglösung, den Lissabon-Vertrag, mitkonzipiert und durchgesetzt. Und sie hat dabei den Zusammenhalt über vieles andere gestellt. Das haben viele als visionslos oder als mangelnde klare Kante kritisiert. Aber es ist ihr gelungen, Europa in der Eurokrise, in der Migrationskrise und jetzt auch in der Corona-Krise zusammenzuhalten.

Hat uns Angela Merkel mit ihrem legendären Ausspruch „Wir schaffen das!“ nicht auch die Flüchtlingskrise eingebrockt?
Natürlich gibt es diese Kritik. Auf der anderen Seite halten viele gerade das für ihr zentrales Verdienst. Unter der Chiffre 2015 versteht jeder etwas Anderes. Ist es die großzügige Aufnahme von Menschen in Not oder der Kontrollverlust über Grenzen? Jeder zieht seine eigenen Lehren daraus, was möglich sein soll oder was sich nicht wiederholen darf. Ich glaube, das ist Gegenstand der politischen Auseinandersetzung.

War es Ihrer Meinung nach richtig zu sagen: „Wir schaffen das“?
Das will ich nicht beurteilen. Generell meine ich, dass es keine schlechte Sache ist, wenn eine Regierungschefin oder ein Regierungschef in einer schwierigen Zeit versucht, den Menschen Zuversicht zu vermitteln und nicht Defätismus. Genauso, wie Frau Merkel in der Eurokrise den Menschen versicherte, dass ihre Spareinlagen sicher sind, hat sie 2015 vermittelt: „Diese Krise ist lösbar.“

Der „Spiegel“, für den Sie 13 Jahre gearbeitet haben, titelte: „Fast eine große Kanzlerin“. Was sagen Sie dazu?
Ich würde das „fast“ weglassen.

Wie haben Sie selbst Angela Merkel erlebt?
Ich war als junger Journalist mit ihr am Amazonas, sie war damals deutsche Umweltministerin. Ich habe sie auch später als Kanzlerin immer als sehr witzig, sehr schnell und sehr forsch erlebt. Das ist natürlich auch eine Rolle, die sie nach außen spielt, die das Amt von ihr erfordert.

Werden Sie Angela Merkel vermissen?
Ich glaube, wir werden sie alle vermissen.

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Als junger Journalist war ich mit Angela Merkel am Amazonas. Ich habe sie auch als Kanzlerin als sehr witzig, sehr schnell und sehr forsch erlebt.

Beste über die scheidende Kanzlerin

Sie haben jetzt als Diplomat geantwortet. Müssen Sie sich eigentlich manchmal auf die Zunge beißen, weil der Journalist etwas anderes denkt?
Schon, aber das ist eine Frage der Professionalität. Man braucht für beide Berufe einen klaren analytischen Blick. Der Unterschied ist vielleicht der: Wenn ein Journalist einen Konflikt sieht, steuert er gerade darauf zu, während der Diplomat versucht, den Konflikt zu entschärfen. Und der Diplomat prüft im Gegensatz zum Journalisten stets, was er öffentlich machen kann und was nicht. Ich sage immer: Nachdenken hilft!

Gibt es am Anfang eine Art Einführungskurs in die Diplomatie?
Ich bin ja nicht direkt vom „Spiegel“ Botschafter geworden, sondern habe länger im Auswärtigen Amt gearbeitet und mich zuletzt als Leiter des Planungsstabs mit internationalen Grundsatzfragen beschäftigt. Insofern hatte ich eine Akklimatisationszeit. Aber klar, als Botschafter zu wirken, Interviews zu geben und nicht zu führen, das ist eine große Umstellung. Darauf kann einen eigentlich niemand vorbereiten. Das muss man lernen, während man es einfach tut.

Es gibt dieses schöne Zitat, das Karl Kraus zugeschrieben wird: „Was Österreich und Deutschland trennt, ist die gemeinsame Sprache.“ Wo wird das Ihrer Meinung nach besonders deutlich?
Vor allen Dingen in jenen Momenten, in denen wir dieselben Worte benutzen, aber unterschiedliche Dinge damit meinen. Zwei Beispiele. „Ausrasten“ bedeutet im Österreichischen, sich zu entspannen. Im Deutschen heißt es das genaue Gegenteil, nämlich ausflippen. Oder das „Deutsche Eck“. In Österreich ist es eine kurze Straßenverbindung, in Deutschland die Mündung der Mosel in den Rhein.

Nicht zu vergessen das Wörtchen „eh“ ...
Das heißt bei uns relativ wenig und in Österreich so viel, dass man es schwer ermessen kann. Ich liebe Karl Kraus auch für den Satz über die gemeinsame Sprache, weil es genau dieses Trennende beschreibt, das einem nicht auf den ersten Blick auffällt. Es geht nicht um Paradeiser und Marillen, sondern dass wir unterschiedlich reden, weil wir unterschiedlich denken. Das finde ich faszinierend und mit diesen sprachlichen Differenzen umzugehen ist immer auch der Versuch, Österreich besser zu verstehen.

Sie sagen „Kaffee“ schon richtig österreichisch. Gibt es andere Wörter, die Sie übernommen haben?
Ich sage mittlerweile auch gerne „Das geht sich aus.“ Bei manchen Ausdrücken muss ich mich überwinden, zum Beispiel statt Brötchen „Semmeln“ zu sagen. Es ist mir auch in Berlin nur mit Mühe gelungen, „Schrippen“ zu sagen.

Sie sind seit 2019 in Österreich. Was war für Sie die größte Überraschung?
Das war tatsächlich dieser zentrale Mentalitätsunterschied. Die Duldungsfähigkeit des Österreichers, das Abfinden mit Dingen, die man nicht ändern kann. Wir Deutsche sind vielleicht ein bisschen unnachgiebiger mit uns selbst, wir brauchen mehr Klarheit, kommen mit Doppeldeutigkeiten schlechter zurecht.

Sie sind leidenschaftlicher Radfahrer. Fahren Sie auch mit dem Rad in die Botschaft?
Sehr oft. Das sind sechs Kilometer. Früher in Berlin bin ich 15 Kilometer geradelt. Ich brauche diese Bewegung, da bin ich gleich viel besser drauf. Und es ist für mich Zeit, in der ich nachdenken kann.

Würden Sie sagen, dass Botschafter Ihr Traumjob ist?
Vielleicht insofern, als ich vor zehn Jahren nicht einmal davon geträumt hätte? Ich finde den Job fantastisch. Das ist ein unglaubliches Privileg, eine große Verantwortung und sehr, sehr abwechslungsreich. Ich liebe den Job. Aber ich habe auch die anderen Aufgaben sehr gerne gemacht. Mein Traum ist es eigentlich, Jobs zu wechseln und nicht immer das gleiche zu machen.

Letzte Frage: Stellen Sie sich eigentlich manchmal mit den Worten „Hallo, ich bin der Beste“ vor?
Nie. - Lacht. - Ich bin Namenswitze zwar seit Grundschulzeiten gewöhnt und nehme sie geduldig hin, aber ich selber werde sie nicht machen. Es reicht schon, dass ich meinen Namen immer mehrmals wiederholen muss, weil die Leute alles Mögliche verstehen. „Weste“ „Wespe“, „Bechtl“, nur nicht „Beste“. Wenn nichts anderes mehr hilft, sage ich vielleicht noch „wie das Beste“, aber niemals „der Beste“.

ER WAR 13 JAHRE BEIM „SPIEGEL“

Geboren am 21. Juni 1966. Nach dem Studium der Geschichte in Bochum, Bielefeld und Baltimore (USA wird Beste Journalist und Pressesprecher. Er arbeitet für die „Berliner Zeitung“ und 13 Jahre lang für den „Spiegel“. 2014 holt ihn der damalige Außenminister und spätere Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in den Planungsstab des Auswärtigen Amtes. Seit Sommer 2019 ist er deutscher Botschafter in Wien. Verheiratet seit 1999 mit der Biologin Karin Knieke. Das Paar hat zwei Kinder, der Sohn ist 20 und studiert in Berlin, die 22-jährige Tochter studiert in den USA. Beste ist begeisterter Radfahrer.

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