Kampf gegen Pandemie

Corona: Viele Versäumnisse und drei Hoffnungen

Politik
19.09.2021 11:11

Nach einem allzu leichtfertig genossenen Sommer steht Österreich vor neuen Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie. In unserer „Krone“-Serie spricht der Politikwissenschafter Peter Filzmaier mit dem Top-Infektiologen Florian Thalhammer über medizinische und politische Aspekte der Virusbekämpfung.

Peter Filzmaier: Wissen Sie, dass Sie mir ein bisschen unheimlich sind?
Florian Thalhammer: Nein, warum das denn?

Weil Ihre Warnungen zum Pandemieverlauf leider stets stimmten. Sie sagten im Juli, dass Österreich zu spät auf die bereits damals steigende Zahl der Infektionen reagierte. Nun gibt es in den Krankenhäusern immer mehr Coronapatienten. Was bedeutet das im Alltag eines Spitals?
Stellen Sie sich Folgendes vor: Ein Patient mit langsam reißender Baucharterienausstülpung kann durch eine rasche Herzoperation gerettet werden. Doch geht sich diese nicht rechtzeitig aus, da wir österreichweit kein Krankenhaus mit Herzchirurgie und freiem Intensivbett finden. Weil die Intensivbetten zum Teil schon durch ungeimpfte Coronapatienten belegt sind. Ein böser Kollateralschaden, der bei zu späten Maßnahmen gegen die Virusverbreitung in Kauf genommen wird.

Jeder von uns kann einmal eine kleinere Operation brauchen. Könnte das also alle betreffen, auch wenn’s zum Glück selten gleich um Leben und Tod geht?
Leider stimmt das. Die Regierung hätte früher einheitlich reagieren müssen. Im gesamten Bundesgebiet, denn lokale Maßnahmen sind nur ein - obwohl wichtiger - Tropfen auf den heißen Stein. Der Simulationsforscher Niki Popper und seine Mitstreiter predigen die zu erwartenden Zahlen seit Monaten. Aber das Vorgaukeln einer heilen Welt scheint für die Politik wichtiger zu sein, und das Wahlvolk rechnet leider nicht mit.

Zur Person

Florian Thalhammer ist Infektiologe an der Medizinischen Universität Wien, stellvertretender Ärztlicher Direktor und Epidemiearzt am Universitätsklinikum Allgemeines Krankenhaus (AKH) sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (ÖGIT).

Vielleicht wollte die Bundesregierung nicht ihre Erzählung des versprochenen „schönen Sommers“ unterbrechen. Tatsache ist, dass neue Maßnahmen nach diesem kommen, in verschärfter Form erst nach der Wahl in Oberösterreich. Die besten Regeln helfen aber zugegeben nicht, wenn ein Teil der Bevölkerung sie österreichisch - „a bisserl was geht immer“ - nur halbherzig befolgt. Genauso ist die Impfrate unter dem EU-Durchschnitt. Wer könnte da den Medizinern bei ihren Mahnungen noch helfen?
Impfverweigerer, die vom Saulus zum Paulus wurden. Oft - obwohl nicht immer - ändern solche Verweigerer ihre Meinung, wenn sie gerade dem Tod von der Schaufel gesprungen sind. Die Tragik ist, dass bei gemeinsamen Bemühungen durch Einhalten der Maßnahmen und mehr Impfungen die Pandemie ziemlich schnell gut eingedämmt wäre.

In der Theorie verspricht das gemeinsame Befolgen der Maßnahmen den größten Nutzen für die Gesellschaft, das ist mir klar. Weil ja so alle Beschränkungen am schnellsten wieder aufgehoben werden. Den Haken daran beschreiben Mathematiker in der sogenannten Spieltheorie: Eine Rechnung mit der Bereitschaft zur Zusammenarbeit aller geht nur auf, wenn jeder weiß, dass der jeweils andere es nicht auf meine Kosten besser haben will. Wer gesundheitsbewusst ist und täglich sieht, dass viele Regeln ignoriert werden, fühlt sich betrogen.
Richtig. Mein Lieblingsbeispiel sind Restaurants, die es nicht der Mühe wert finden, die 3-G-Regel zu kontrollieren. Da zahlt der Steuerzahler doppelt, weil wir solche Gaststätten schon im Lockdown mit dem Rettungsschirm der Regierung durchgefüttert haben. Nun sind sie für höhere Kosten im Gesundheitssystem mitverantwortlich, wenn sich Leute dort anstecken. Es wäre eine Idee, die korrekt agierenden Betriebe in einer öffentlichen Liste auszuzeichnen, aber zugleich die schwarzen Schafe aufzuzählen. Das gilt für jede Branche.

Ihre Kollegin Dorothee von Laer, eine Innsbrucker Virologin, meint, dass sich in den nächsten zwei Monaten rund eine Million Menschen in Österreich mehr impfen lassen müssten. Dann könnten wir zur Normalität zurückkehren. Nur wird es kaum bis Mitte November jeden Tag vier- bis fünfmal mehr Impfwillige geben als zuletzt. Das führt zur unvermeidlichen Frage, wie man die Ungeimpften überzeugen kann. Ist nicht längst alles gesagt?
Was ich im Sommer vermisst habe: Werbung wie bei der Zeckenimpfung, mich überall anlachende Coronaimpfplakate. Viel, viel, viel mehr Impfbusse fahren zu jedem Fest, jeder Feier. Bei den Ungeimpften muss Groß und Klein ständig einen kostenpflichtigen PCR-Test vorweisen. Noch härter wäre als Maßnahme, dass Ungeimpfte bei ihrer Sozialversicherung einen zusätzlichen Kostenbeitrag leisten müssen.

In den USA gibt es das, und wir würden von 200 Euro mehr pro Monat sprechen Ich habe mich statt einer Impfpflicht an Verhaltensökonomen orientiert, die Belohnungssysteme vorschlagen, und daher vor vielen Wochen eine Lotterie als Gedanke eingebracht. Das burgenländische Modell einer Impflotterie ist daher für mich ein interessanter Ansatz. Wer geimpft ist, hat die Chance, eine breite Palette an Preisen zu gewinnen, sodass für jeden zur Motivation etwas dabei ist.
Auf jeden Fall braucht es ständige Überzeugungsarbeit, denn wir müssen zudem an die Drittimpfung denken.

Apropos: Ich bin - wie die Mehrheit im Land - zweimal mit Pfizer/BioNTech geimpft, welchen Impfstoff empfehlen Sie mir für die dritte Impfung?
Das ist eine spannende Frage. Jenseits der offiziellen Antwort des Nationalen Impfgremiums hat Moderna soeben Impfdaten vorgelegt, die eine bessere Immunantwort belegen. Das muss aber noch überprüft werden. Ein nicht übereinstimmendes Impfschema hat generell seinen Reiz. Ich werde versuchen, diesmal mit AstraZeneca geimpft zu werden.

Zur Person

Peter Filzmaier ist Professor für Politikwissenschaft an der Donau-Universität Krems und der Karl-Franzens-Universität Graz sowie Leiter des Instituts für Strategieanalysen (ISA) in Wien.

Warum AstraZeneca, obwohl dieser Impfstoff einen schlechten Ruf hat?
In einer eigenen kleinen Studie sehen wir bei AstraZeneca weniger Impfdurchbrüche. Doch haben wir lauter ausgezeichnete Impfstoffe. Langfristig wird wie bei der Grippeimpfung eine freie Impfstoffwahl bestehen.

Ich möchte unser Gespräch optimistisch abschließen. Haben Sie aktuelle Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Medikamente, die uns Mut machen könnten?
Es gibt drei Hoffnungsschimmer. Erstens eine sofortige Impfung bei positiven Testergebnissen von Ungeimpften. Zweitens die Gabe bestimmter Antikörper bei Risikopatienten. Drittens zum Jahreswechsel die erste orale Therapie zur Einnahme mit dem Mund. All das hilft, nach einer Infektion schwere Krankheitsverläufe zu verhindern. Politik und Bevölkerung müssen es nur wollen. An den Kosten darf es nicht scheitern, denn das sind medizinische Mittel, die den Staat weniger als zwei Tage Lockdown kosten. Genug davon gibt es freilich bloß, wenn sich trotzdem möglichst alle impfen lassen.

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