Nicht alle glauben

Politik und Religion: Gretchenfrage in Europa

Politik
04.04.2021 06:00

„Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“, heißt es in Goethes Klassiker „Faust“. Viele Spitzenpolitiker in Ost- und Mitteleuropa sind strenggläubig. Manche aus machtpolitischem Opportunismus, andere aus tiefstem Herzen. Neo-Konservatismus ist oft nur Mittel zum Zweck. Diese Unterschiede sind sehr wichtig.

Im Allgemeinen steht die Gretchenfrage für die Frage nach der Religiosität der gefragten Person, im Speziellen wird nach dem Kern des Sachverhalts gefragt. Bis vor wenigen Jahren war die Frage der Religion von Politikern ein privates Thema. Immer öfter tragen sie nun ihren Glauben offen nach außen.

Der neue slowakische Regierungschef Eduard Heger ist seit dem Unfalltod seines (atheistischen) Vaters gläubiger Katholik. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán mimt den Weißen Ritter der Christenheit. Polens Regierungspartei PiS ist katholizistisch, Parteichef Jarosław Kaczyński wetterte einst sogar von der Kirchenkanzel gegen die Opposition. CDU-Chef Armin Laschet ist gläubig, sein Chefberater Nathanael Liminski kommt aus einem Opus-Dei-Haushalt und ist erzkonservativer Katholik. Und Bundeskanzler Sebastian Kurz umgibt sich mit einem teilweise erzkonservativen Beraterstab.

Der Kanzler selbst hat einen geistlichen Berater, zu gesellschaftlichen Reizthemen wie gleichgeschlechtlicher Ehe, Abtreibung oder Sterbehilfe äußert sich die türkise Truppe kaum - und wenn, dann nur vorsichtig.

Wichtiger Unterschied: Reaktionär oder wertfrei
„Ich würde zwischen zwei voneinander doch sehr verschiedenen Arten des Neo-Konservativismus unterscheiden“, sagt Politologe Anton Pelinka zur „Krone“. „Einem reaktionären, rückwärtsgewandten Neo-Konservativismus à la PiS - und einem weitgehend wertfreien Neo-Konservativismus à la türkise ÖVP. Die leistet sich einen inhaltlichen Konservativismus nur dann, wenn dieser nicht Stimmen kostet, sondern Stimmen bringt.“

Radosław Żak, polnischer Redakteur von PULS 24, erklärt: „Während der drei Teilungen Polens war die katholische Kirche der Bewahrer der polnischen Identität und Nation.“ Die PiS nutze das und werfe der Opposition vor, das „Christentum und das Polentum abschaffen zu wollen“, so Żak. Um den rechten Rand zu besänftigen, verschärfte Polen die Abtreibungsgesetze und geht gegen LGBT-Aktivisten vor. Der deutsche Politologe Andreas Püttmann nennt die „Abendland-Schutzbewegungen“ von Salvini bis Orbán „völkisch-identitär“ und nicht katholisch oder christlich.

Christentum heißt nicht: „Wir gegen die anderen“
Püttmann sieht darin - wie auch bei Donald Trump - eine „Instrumentalisierung des Christentums“. Hier werde der Glaube zu einem „Wir gegen die anderen“ stilisiert. Das sei nicht die richtige Lesart des Evangeliums, so Püttmann. „Man kann theologisch konservativ sein, aber trotzdem politisch liberaler Demokrat.“ So wie Armin Laschet und sein Chefberater Liminski.

Liminski hat ein traditionelles Verständnis von Familie, ist aber kein erzkonservativer Lenker im Hintergrund. „Laschet ist ein sozialer, liberaler Katholik“, sagt Püttmann zur „Krone“.

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