"Am Schauplatz"

Herausgabe-Urteil zu ORF-Bändern ist rechtswidrig

Österreich
16.12.2010 11:35
Knalleffekt in der "Am Schauplatz"-Causa: Der Oberste Gerichtshof hat am Donnerstag ein Machtwort für den ORF und das Redaktionsgeheimnis gesprochen. Das Urteil, mit dem der Rundfunk zur Herausgabe des kompletten Drehmaterials gezwungen werden sollte, wurde revidiert.

Laut OGH ist der Beschluss des Wiener Oberlandesgerichts, womit dem Antrag der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt auf Sicherstellung sämtlicher Bänder für die "Am Schauplatz"-Reportage stattgegeben worden war, rechtswidrig.

Der ORF wurde mit diesem Antrag in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt. Das Redaktionsgeheimnis schütze "alle Mitteilungen an Journalisten. Da gibt es keine Abwägungen. Das Redaktionsgeheimnis ist absolut", stellte der Senatsvorsitzende Eckart Ratz (Bild) in der Begründung fest. Der als nichtig aufgehobene OLG-Beschluss hat laut Ratz "auf Luft" basiert.

Staatsanwalt folgte FPÖ-Linie
Damit steht nun endgültig fest, dass der ORF das Bild- und Tonmaterial nicht herausgeben muss, das die Staatsanwaltschaft im Zuge eines Wiederbetätigungsverfahrens beschlagnahmen wollte. Das Strafverfahren hatte ORF-Reporter Eduard Moschitz mit der Skinhead-Reportage losgetreten.

Moschitz begleitete mehrere Tage zwei jugendliche Glatzköpfe, unter anderem wurde eine Wahlkampfveranstaltung von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache besucht, bei der laut FPÖ-Behauptung - für die keine Beweise vorliegen, dafür aber umso mehr unbewiesene Manipulationsvorwürfe an den ORF - angeblich Nazi-Sager getätigt wurden. Gegen die Jugendlichen wurde daraufhin ein Verfahren nach Paragraf 3g Verbotsgesetz eingeleitet, Moschitz als möglicher Anstifter als Mitbeschuldigter geführt.

Anklage wollte das Redaktionsgeheimnis umgehen
Mit diesem "Kunstgriff" wurde von der Anklagebehörde - aus Wiener Neustadt kam übrigens auch die umstrittene Mafia-Anklage gegen die Aktivisten des "Vereins gegen Tierfabriken" - insofern das Redaktionsgeheimnis umgangen, als sich Beschuldigte eines Strafverfahrens nicht mehr auf dieses berufen können. Wie der OGH nun allerdings feststellte, hätte das Redaktionsgeheimnis nur dann ausgehebelt werden dürfen, wenn gegen Moschitz ein "dringender Tatverdacht" vorgelegen wäre. Ein solcher sei jedoch von den Instanzen bisher nicht angenommen worden und damit offenbar nicht gegeben, betonte der Senatsvorsitzende Eckart Ratz.

Für das Höchstgericht sind sämtliche Mitteilungen, die einem Journalisten in Ausübung seines Berufs zukommen, vom im Paragraf 31 Mediengesetz verankerten Redaktionsgeheimnis geschützt, betonte der Fünf-Richter-Senat. Folglich waren davon auch die Filmaufnahmen umfasst, die Moschitz mit den beiden Skinheads im Strache-Wahlkampf sowie zuvor im Innenhof eines Gemeindebaus anfertigte - wo es nach Ansicht der Anklagebehörde bereits zu von Moschitz initiierten strafbaren Handlungen im Sinne des Verbotsgesetzes gekommen sein könnte, was jedoch die Jugendlichen, Moschitz und der ORF bestreiten.

Urteil wäre auch wegen Befangenheit nichtig gewesen
Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt wollte zu Beweissicherungszwecken sämtliche Bänder beschlagnahmen, was in erster Instanz von der zuständigen Richterin abgelehnt wurde. In zweiter Instanz bekam die Anklagebehörde dann recht, wobei sich im Nachhinein herausstellte, dass im betreffenden Senat des Wiener Oberlandesgerichts die Schwester einer Oberstaatsanwältin saß, die - wenn auch nur am Rande - in dieser Sache bereits tätig gewesen war. Damit war eine Unvereinbarkeit gegeben, die für sich bereits die Nichtigkeit des OLG-Beschlusses bewirkt hätte, wie der OGH am Donnerstag ebenfalls deutlich machte.

Senatspräsident Ratz sprach von einem "Betriebsunfall", der "furchtbar ausschaue", aber nicht besonders dramatisch sei: "Wenn es die Schwester bemerkt hätte, wär' sie die Erste gewesen, die sich für befangen erklärt hätte und draußen gewesen wäre."

"Lebenswichtige Funktion als Public Watchdog"
Gravierender bewertete der OGH, dass die Justiz im vorliegenden Fall das Redaktionsgeheimnis nicht entsprechend beachtet hatte. "Die Sicherstellung von einem Medium recherchierten Materials stellt einen Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung dar, ist doch der Schutz der Vertraulichkeit journalistischer Quellen eine der Grundbedingungen der Pressefreiheit und bildet somit einen wesentlichen Bestandteil der konventionsrechtlichen Garantie. Ohne solchen Schutz könnten Quellen abgeschreckt werden, Medien dabei zu unterstützen, die Öffentlichkeit über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu informieren. Dies könnte zur Folge haben, dass die lebenswichtige öffentliche Funktion der Medien als 'Public Watchdog' beeinträchtigt und ihre Fähigkeit, präzise und verlässliche Informationen zu bieten, nachteilig berührt werden", hieß es in der offiziellen Presseerklärung des Höchstgerichts.

Das Redaktionsgeheimnis umfasse "ausnahmslos alles, was Medieninhabern, Herausgebern, Medienmitarbeitern und Arbeitnehmern eines Medienunternehmens oder Mediendienstes im Hinblick auf ihre Tätigkeit bewusst mitgeteilt wurde". Die öffentliche Wahrnehmbarkeit eines Geschehens schließe darin enthaltene Informationen nicht vom Schutz der Vertraulichkeit journalistischer Quellen aus, gab der OGH zu bedenken.

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