Wut, Trauer, Schuld

Kindeswohl durch Scheidung „infiziert“

Tirol
19.07.2020 11:00

Bei so manchen Beziehungen brachte der „Lockdown“ das Fass zum überlaufen. Ob nun Scheidung oder Trennung die Folge war: Für ein Kind geht die Welt unter.

Die Coronakrise stellte sich als Zerreißprobe für viele Familien heraus. Home-Office und Home-Schooling vertrugen sich nicht, hinzu kamen oft finanzielle Sorgen. „Probleme, die es schon vor Corona gab, sind in dieser Zeit vermehrt aufgetreten. Es gab mehr Streit“, erklärt Birgit Satke, Leiterin der Telefon-Seelsorge „Rat auf Draht“.

Denn diese Entwicklung in vielen Familien konnte man bei der Nummer 147 „beobachten“: 789 Beratungen zu Konflikten mit Eltern wurden von 16. März bis 31. Mai gegeben – das sind um 92 Prozent mehr als im selben Zeitraum 2019. Am ärgsten steht es jedoch um Konflikte zwischen den Eltern – hier stieg die Anzahl der Beratungen heuer um 328 Prozent (171 gesamt)!

Scheidung plötzlich real
44 Beratungen, was eine Steigerung um 63 Prozent bedeutet, wurden in besagtem Zeitraum zum Thema „Scheidung“ abgehalten. Die 147-Chefin schildert: „Viele Kinder sind schon besorgt, wenn das Wort nur in einem Streit fällt. Sie haben Angst, dass jetzt ihr Familiensystem zerstört wird.“ Leider zeigt die gestiegene Nachfrage bei „Rainbows“, der Hauptanlaufstelle für Scheidungskinder, dass die Sorge oftmals begründet war.

Wie die jungen Betroffenen reagieren, hängt ganz von der Persönlichkeit ab, weiß die Leiterin von „Rainbows“ Tirol, Barbara Baumgartner: „Ruhige, eher in sich gekehrte Kinder ziehen sich zurück oder bekommen Trennungsängste.“ Andere äußern sich durch Wut, Protest und Widerstand. Je jünger das Kind, desto weniger kann es seine Gefühle ausdrücken. „Bei ganz Kleinen ist Bauchweh ein Merkmal psychischer Belastung.“

Plagende Schuldgefühle
Hinzu kommt Angst, da eine Scheidung oft mit veränderten Lebensumständen, etwa einem Umzug, verbunden ist. „Besonders schlimm ist die Entscheidung, bei wem man wohnen möchte. Es bedeutet einen Loyalitätskonflikt – denn Kinder wollen, dass immer alles gerecht ist.“ Daher wird diese Last den meisten abgenommen: Mitreden darf man erst ab 10 Jahren, ab 14 dürfen die Kinder entscheiden.

Schuldgefühle sind leider so oder so vorprogrammiert. „Vor allem Vier- bis Fünfjährige sehen sich als Mittelpunkt der Welt und glauben oft fest daran, dass sie Einfluss gehabt hätten“, weiß Baumgartner. „Aber selbst wenn sich die Eltern um sie gestritten haben – Kinder trifft nie eine reale Schuld.“

„Happy End“ ist möglich
Ein Rosenkrieg kann laut Baumgartner, die auch Psychologin ist, schwerwiegende psychische Schäden bei den Kindern hinterlassen – im schlimmsten Fall könne sich sogar die Lebenszeit verringern. Es gäbe inzwischen aber auch Studien, die zeigen, dass bei vernünftigen Trennungen die Kinder lernen können, schwere Lebenssituationen ohne Beeinträchtigung zu überstehen – sie werden also resilienter.

Mehr als 100 Kinder und Jugendliche werden derzeit in 20 Gruppen und Einzelbegleitungen tirolweit von „Rainbows“ betreut. Dort können Betroffene Gleichaltrige kennenlernen, die das selbe durchmachen – so fühlen sie sich weniger isoliert, ihr Selbstbewusstsein wird gestärkt. Vor allem aber lernen die Kinder, dass sie sich selbst helfen können.

Nähere Informationen: www.rainbows.at oder unter www.rataufdraht.at

Mirjana Mihajlovic
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