Heimlich elektrisch

Audi e-tron: Für einige Überraschungen gut

Motor
19.12.2018 12:30

e-tron hat bei Audi schon vieles geheißen, doch nun kennzeichnet der Name - ohne weiteren Zusatz - erstmals ein serienmäßiges reines Elektroauto. Obwohl Batterieprobleme den Start verzögert haben, werden die Ingolstädter im März 2019 der erste deutsche Premiumhersteller sein, der mit einem großen, reichweitenstarken Auto auf den Markt kommt. Spät, aber offenbar ausgereift.

(Bild: kmm)

Natürlich ist auch Audi dabei, eine reine Elektro-Plattform zur Serienreife zu bringen (gemeinsam mit Porsche). Aber es hat ihnen die Zeit unter den Nägeln gebrannt, nachdem Tesla seit Jahren den Markt dominiert. Daher steht der e-tron noch auf dem modifizierten Unterbau des Audi Q5. 

Zwischen den im Abstand von 2,93 Meter angebrachten Achsen liegt ein 700 kg schweres Akkupaket im Boden. An den Achsen selbst sitzt je ein Elektromotor, vorne 135 kW/184 PS, hinten 165 kW/224 PS stark.

(Bild: Tobias Sagmeister)

Auffallend unauffällig
 Man sieht dem Audi e-tron nicht gleich an, dass er etwas Besonderes ist. Keine pseudofuturistische Plastikschnauze wie beim Mercedes EQC, keine Falcon-Doors wie beim Tesla Model X - lediglich ein platingrauer Kühlergrill, ein Diffusor „ohne Abgasendrohre“ (das steht ausdrücklich so im Pressetext) und von den Akkus inspirierte Zierelemente unten an den Seiten machen deutlich, dass es sich um ein Elektrofahrzeug handelt.

Ein bisschen Bling-Bling gibt es aber dann doch: Gegen rund 1500 Euro Aufpreis hat der Audi etron Kameras statt Außenspiegeln. Die übertragen den Blick nach hinten auf Displays in den Türen. Das ist zwar cool und verbessert den Luftwiderstandsbeiwert auf cW 0,27 statt 0,28, ist aber gewöhnungsbedürftig und macht das Fahren wohl auch unsicherer. Anfangs wird man immer zuerst auf die Kameras statt auf die Displays schauen, was man aber sicher irgendwann in den Griff kriegt. Auf lange Sicht ist aber nicht zu unterschätzen, dass es bei starker Sonneneinstrahlung schwierig wird und man darüber hinaus Entfernungen schlechter abschätzen kann als mit echten Außenspiegeln. Außerdem geht das Gefühl für die Gesamtsituation verloren.

(Bild: Tobias Sagmeister)
(Bild: Audi)

Verbrenner mit Elektroantrieb?
 Offenbar war bei Audi die Maßgabe, dass der e-tron Kunden, die von Benzinern oder Diesel umsteigen, nicht irritieren soll. So war das Erste, was Audi-Vorstand Alexander Seitz von der Handvoll Journalisten wissen wollte, die er nach ersten Testfahrten in Abu Dhabi zu einem Round Table traf: „Fährt er sich wie ein Verbrenner?“

Im Prinzip ja, könnte man unsere Antwort zusammenfassen. Man muss vor dem Losfahren einen Startknopf drücken, per Wahlhebel auf D stellen und das „Gaspedal“ drücken. Auch bremsen fühlt sich ganz normal an. Und da sind wir bereits bei einer hohen Kunst, die der e-tron beherrscht: Steigt der Fahrer auf die Bremse, verzögert das Fahrzeug zunächst, indem die beiden Elektromotoren Energie zurückgewinnen (laut Audi sind das 90 Prozent der Bremsmanöver). Erst wenn er mit mehr als 0,3 g drauf tritt, kommen die Radbremsen dazu. Der Übergang ist für den Fahrer nicht spürbar. Das Geheimnis dieses Erfolges ist ein sogenannter Bremspedal-Simulator, der zwischengeschaltet ist.

(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)

Außerdem kann man über die Paddles am Lenkrad einstellen, wie stark das Auto abbremst (und dabei rekuperiert, wie es im Fachdeutsch heißt), wenn man vom Fahrpedal geht: gar nicht, ein bisschen oder ein bisschen mehr. Allerdings kommt das sogenannte One-Pedal-Feeling selbst in der stärksten Stufe nicht auf, dazu verzögert der e-tron zu wenig. Wünschenswert wären weitere drei Stufen, dann könnte man die Geschwindigkeit tatsächlich fast generell nur über das Fahrpedal regeln, wie das etwa im BMW i3 möglich ist.

95 Kilowattstunden statt 65 Liter
 Anders als beim Verbrenner ist logischerweise die Reichweite. Wo beim Diesel 65 Liter Tankvolumen für rund 800 Kilometer reichen, sind beim e-tron 95 kWh für die Hälfte gut - das aber nur nach WLTP. In der Praxis ist es (je nach Fahrweise, aber wahrscheinlich) weniger. Bei den Testfahrten in Abu Dhabi habe ich weniger als 300 Kilometer geschafft (habe aber auch nicht sonderlich gespart), der durchschnittliche Stromverbrauch betrug gut 33 kWh. Lange Strecken auf Überlandstraßen mit Geschwindigkeiten zwischen 100 und 160 km/h zehrten an der Restreichweite. Seine Stärken spielt der e-tron aus, wenn er beim Bremsen Energie zurückgewinnen kann.

Hauptsächlich werden die Akkus per Kabel gefüllt, und zwar mit bis zu 150 kW, z.B. an 400 Ladestationen, die in den nächsten zwei Jahren an Hauptverbindungen in ganz Europa aufgestellt werden. Mehr ist mit dem 400-Volt-Netz des Audi nicht drin, obwohl die „Ionity“-Stationen eigentlich auf 350 kW ausgelegt sind. Immerhin ist der Ingolstädter nach einer halben Stunde Standzeit wieder zu 80 Prozent voll. Daheim geht‘s mit 11 kW oder gegen Aufpreis mit 22 kW. 

Beschleunigung aus dem Nichts
 Frappierend wie grundsätzlich in Elektroautos üblich ist die Beschleunigung: geräuscharm und mächtig. Maximal schafft der Audi e-tron 200 km/h, bei diesem Tempo wird unabhängig vom Fahrmodus abgeregelt. Die volle Beschleunigungspower hat der e-tron jedoch nur im Sportmodus. Kickdown aktiviert dann den Boost-Modus, dann reißen aus dem Stand 664 Nm und 300 kW/408 PS an. Der Sprint von null auf 100 km/h ist dann in 5,7 Sekunden möglich. Ohne Boost sind es 265 kW/341 PS, 561 Nm und 6,6 Sekunden.

Prinzipiell besteht die Gefahr, dass man schneller unterwegs ist, als man glaubt, weil sich der Audi sogar mit Windgeräuschen ziemlich zurückhält. Das sollte einem vor einer Kurve bewusst sein, denn sonst wird es eng - man darf nicht vergessen: Das 4,90-Meter-Schiff wiegt 2,5 Tonnen. Spätestens beim dynamischen Kurvenfahren merkt man das auch, trotz relativ tiefem Schwerpunt. Zwar geht er alles andere als schlecht ums Eck, aber der Audi e-tron ist einfach ein Trumm Auto und fühlt sich auch so an, trotz Progressiv-Lenkung, elektrischem Allradantrieb und adaptivem Luftfahrwerk.

Das ist sogar serienmäßig und variiert die Fahrzeughöhe je nach Fahrmodus um 7,6 Zentimeter. Bei schneller Fahrt senkt sich die Karosserie zwecks geringerem Luftwiderstand, im Gelände geht‘s hoch bis auf 22,2 Zentimeter Bodenfreiheit. Da geht sich sogar eine ganze Menge Spaß abseits befestigter Straßen aus, auch wenn wir es hier nicht mit einem dezidierten Offroader zu tun haben.

Ein Audi durch und durch
 Platz ist etwas mehr als im Audi Q5, in den Kofferraum passen 660 bis 1725 Liter, unter der Fronthaube gibt’s ein zusätzliches 60 Liter-Fach für das Ladekabel.

Der Innenraum schaut aus, wie er bei Audi ausschauen muss, zurückhaltend elegant nämlich: Die Armaturentafel ist grundsätzlich mit Leder bezogen, die beiden zentralen Touchscreens mit haptischem Feedback kennt man z.B. aus A6 und A8. Was nach Automatikwählhebel ausschaut, ist eine Handauflage. Vorwärts/rückwärts wählt man mit Daumen und Zeigefinger aus.

Ungewöhnlich ist das große Fach zwischen Fahrer und Beifahrer. Das kann man nicht schließen, und auch seitlich ist es offen. So hat man also immer eine unmotivierte Öffnung zwischen den Sitzen.

Die Ausstattung ist schon in der Basis ziemlich opulent. Das Virtual Cockpit ist serienmäßig, genauso wie das MMI-Navi mit Echtzeit-Verkehrsdaten und WLAN-Hotspot. Mit den Car-to-X-Funktionen des kostenpflichtigen „Audi connect“ kann man sich u.a. frei werdende Parkplätze in der Stadt anzeigen lassen. Serienmäßig ist auch die elektrisch öffnende Heckklappe.

(Bild: Audi)

Ungewöhnliche Aufpreispolitik
 Manches Extra muss man nicht schon beim Kauf mitbestellen, sondern kann es ab Mitte 2019 dazubuchen. Zum Beispiel Parkassistent, DAB+-Digitalradio, das Audi smartphone interface, aber auch die LED-Matrix-Scheinwerfer. Das heißt aber auch, dass die Matrix-LEDs grundsätzlich serienmäßig verbaut sind, man sie aber nur voll nutzen kann, wenn man extra bezahlt (monatlich, jährlich oder für Dauernutzung). 

Unterm Strich
 Einstiegspreis für den Audi e-tron sind 82.000 Euro - und die ist er auch wert. Die Ausstattung ist kompletter, als man es bei einem deutschen Premiumhersteller erwartet, er fährt gut und schlägt in so ziemlich allen relevanten Kriterien den direkten Konkurrenten aus Stuttgart. Konservative Kunden irritiert er nicht so wie etwa ein BMW i3, dennoch ist er mit den Rückspiegel-Kameras der Erste unter den Serienautos. Überraschend ist auch der Ansatz, Extra-Ausstattung serienmäßig zu verbauen, aber erst gegen Aufpreis nutzbar zu machen. 

Eine Frage muss aber jeder selbst für sich beantworten: Die nach der grundsätzlichen Umweltfreundlichkeit eines 2,5-Tonnen-Pkws. 

Warum?
 Er fühlt sich ausgereift und hochwertig an.
 Akzeptable Reichweite
 Gute Serienausstattung

Warum nicht?
 Hohes Gewicht

Oder vielleicht …
 … Jaguar I-Pace, Mercedes EQC (kommt später), BMW iX3 (kommt viel später), Tesla Model X.

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(Bild: kmm)



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