Mit der Metalcore-Band Beartooth hat der amerikanische Sänger Caleb Shomo ein Ventil gegründet, um mit seinen Depressionen und Sorgen in die Öffentlichkeit gehen zu können. Im Interview erklärt er uns, warum er sich auf dem brandneuen Album „Disease“ so offen wie nie zuvor zeigt, wie man mit der schrecklichen Krankheit möglichst gut leben kann und weshalb es Zeit war, aus dem Schlafzimmer auszubrechen.
Als der moderne Metalcore irgendwann zwischen 2002 und 2006 auf dem Gipfel seines Schaffens war, gelangen den bekanntesten Aushängeschildern wie Unearth, Killswitch Engage oder All That Remains fortlaufend memorable Alben, die mit kontrollierter Aggression, technischer Fertigkeit und einem hohen Melodieverständnis auch jene Hörer erreichten, denen das Metal-Genre ansonsten zu hart war. Wie immer bei derartigen Trends schossen auch in den USA Bands wie Schwammerl aus dem Boden und verwässerten den Qualitätsanspruch mit hastig eingespielten, meist an der unteren Durchschnittsgrenzen firmierenden Werken, denen weder der Innovationsgeist, noch das nötige Know-How der Großen ihrer Zunft beschienen war. Über die Jahre trennte sich die Spreu vom Weizen und die Szene schrumpfte sich gesund - zumindest im Licht der breiteren Öffentlichkeit. Übrig blieben neben den Granden von damals die wirklichen Talente, zu denen fraglos auch Beartooth gezählt werden müssen.
Kein Diktator
Mit „Disease“ veröffentlicht die Red-Bull-Band dieser Tage ihr drittes Studioalbum und zeigt sich dabei so persönlich und offen wie nie zuvor. Wobei - der Terminus „Band“ würde in diesem Fall zu weit gehen, denn Frontmann Caleb Shomo ist Songwriter, Texter und Sprachrohr in einem. „Es sieht bei uns immer so aus, als wäre ich der ärgste Diktator, aber so ist es natürlich nicht“, lacht er im Gespräch mit der „Krone“, „jeder Aspekt von Beartooth ist unglaublich persönlich. Die Musik, das Cover, die Texte und jede einzelne Gitarrennote, die auf den Songs hörst. Ich habe wirklich übertrieben-krank hohe Standards, wie ich mich und meine Musik den Fans präsentieren will. So begann es mit der Band und so ist sie auch authentisch. Daran wird sich sicher nichts mehr ändern.“
Als Shomo Beartooth vor sechs Jahren ins Leben rief, suchte er etwas, um sich erklären und seine persönlichen Probleme kanalisieren zu können. Davor war er knapp fünf Jahre in der in Szenekreisen bekannten Noise/Hardcore-Band Attack! Attack! aktiv gewesen. Eine Zeit, die er nicht missen will, die aber für sein Leben längst nicht mehr repräsentativ ist. „Die Parallelen zwischen den beiden Bands sind immens. Bei Attack! Attack! hieß es immer, die Musik müsse so oder so klingen - das habe ich immer gehasst. Ich war damals erst 19 und wollte alles so machen, wie ich es für richtig hielt. Mit Beartooth habe ich die Entscheidung getroffen, dass mich das Projekt zu 100 Prozent widerspiegelt. Es gibt keine Regeln, kein Korrektiv und keine Kompromisse.“ Mit der EP „Sick“ (2013) und den beiden Alben „Disgusting“ (2014) und „Aggressive“ (2016) erspielte sich Shomo samt wechselnder Besetzung eine treue Fanbase. Grund dafür sind nicht nur die druckvoll-harschen Produktionen, die dennoch ausreichend Platz für melancholische Momente lassen, sondern auch die Ehrlichkeit, mit der Frontmann nicht nur seine Probleme verarbeitet, sondern auch als Stütze für seine Hörer dient.
Dunkle Grundhaltung
Der Musiker aus Ohio leidet seit geraumer Zeit an depressiven Schüben und hat mit der Band ein Ventil gefunden, sein Leben besser in den Griff zu kriegen. „Es ist mir sehr wichtig, offen und ehrlich zu sein. Manchmal kann das Songschreiben bizarr und schmerzhaft sein, aber am Ende des Tages ist das Wissen, dass man ein komplett ehrliches und echtes Album geschrieben hat, ein unbezahlbares Gefühl.“ Shomo versucht die Grenzen seiner eigenen Psyche auszuloten, was schon einmal so weit gehen kann, dass manche Songideen zu persönlich sind und dann doch nicht auf dem Album landen. Wo die Grenze dafür zu ziehen ist, das lässt sich nur erfühlen, nicht aber erklären. Jedenfalls ist es kein Zufall, dass sämtliche Titel der Beartooth-Alben eine düstere Negativität versprühen. „Natürlich steckt da sehr viel Dunkelheit dahinter, denn sie nimmt einen nicht unbeträchtlichen Teil meines Lebens ein.“
Die einzelnen Songs auf „Disease“ mäandern zwischen kompromissloser Härte und sanfter Elegie. „Greatness Or Death“, „Infection“ oder das stark an frühe Slipknot erinnernde „Manipulation“ vermitteln unzweideutige Botschaften. Die zu besiegenden inneren Dämonen bekämpft Shomo am besten mit befreiendem Geschrei. „Ich versuche immer meine Probleme zu adressieren und in Songs zu verwandeln. Das ist manchmal hart, weil ich nicht weiß, was die Menschen über mich wissen sollten und was nicht. Die Band entstand aber hauptsächlich deshalb, weil ich ohne Sorgen und Furcht darin alles fallen lassen kann. Ich gebe aber zu, dass das anfangs wesentlich leichter war, denn jetzt hören uns schon so viele Fans, dass ich mich manchmal einfach abkapseln muss.“
Keine Heilung
Für Shomo ist das Songschreiben therapeutisch und hilfreich. „Depressionen kannst du nicht heilen. Du musst einfach lernen, damit klarzukommen. Durch die Musik finde ich am besten heraus, wie ich durch den Tag komme und welche Dinge oder Situationen bei mir Depressionszustände auslösen. Die Realität ist aber nicht immer so toll, wie das hier in der Theorie klingen mag. Manchmal setzen Schübe ein und du musst einfach irgendwie durch den Tag kommen und warten, bis er vorbei ist. Das ist unglaublich hart, aber leider nicht änderbar.“ Nur die zuvor angesprochene Größe der Band bereitet ihm manchmal Sorgen. „Als ich die Band ins Leben rief, habe ich die ersten Songs noch nicht einmal veröffentlicht. Fünf Jahre spielte ich bei euch am Frequency-Festival mit den Gorillaz - das ist schon ziemlich verrückt.“
Für „Disease“ verließ Shomo erstmals seine Komfortzone namens Schlafzimmer - dort hatte er bislang sämtliche Beartooth-Erzeugnisse aufgenommen. Dieses Mal ging es ins Musikmekka Nashville, wo er in den legendären Blackbird Studios an seiner Musik feilte. „Es ist das beste Studio, um ein Rockalbum zu machen. Sie haben dort jede Gitarre, jedes Mikrofon und jedes Drumset, das du dir vorstellen kannst. Ich konnte Stunden damit verbringen, den richtigen Sound zu finden. Alles klingt echter und klarer als früher.“ Mit dem Sound des Vorgängers „Aggressive“ war er im Nachhinein nicht glücklich. „Er klang übereilt und vorschnell. Ich hasse das Album nicht, aber der Klang bereitet mir heute keine Freude.“ Ein Wiedersehen mit Beartooth gibt es am 29. Jänner, wo sie im Vorprogramm der Architects im Wiener Gasometer spielen werden. Die Karten dafür erhalten Sie unter www.oeticket.com.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.