Skinhead-Doku

Verfahrensfehler: ORF muss Bänder nicht herausgeben

Österreich
30.09.2010 19:18
Bei der Entscheidung des Wiener Oberlandesgerichts (OLG), derzufolge der ORF zu Beweismittelzwecken das gesamte Recherchematerial einer "Am Schauplatz"-Reportage über jugendliche Skinheads herausgeben muss, war "möglicherweise eine Gesetzesverletzung gegeben". Das Urteil wird mit großer Wahrscheinlichkeit aufgehoben, die Bänder verbleiben vorerst beim ORF.

Die OLG-Entscheidung wird wohl eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu Folge haben, die mit großer Wahrscheinlichkeit dazu führen dürfte, dass sie vom Obersten Gerichtshof (OGH) aufgehoben wird. "Wir haben bereits von Amts wegen die Beischaffung des OLG-Aktes angefordert, um zu prüfen, ob die Ausgeschlossenheit einer an der Entscheidung beteiligten Richterin vorliegt. Falls eine solche gegeben ist, wird eine Wahrungsbeschwerde beim OGH eingebracht", erläuterte Generalanwalt Wilfried Seidl in seiner Funktion als Sprecher der Generalprokuratur am Donnerstagabend.

Dem erkennenden Drei-Richter-Senat des OLG hatte eine Richterin angehört, die die Schwester der Ersten Oberstaatsanwältin der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien, Ilse-Maria Vrabl-Sanda, ist. Das wäre für sich genommen noch unproblematisch, da nicht Vrabl-Sanda, sondern eine andere Oberstaatsanwältin die zuständige OStA-Referentin in jenem Verfahren ist, das die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt im Zusammenhang mit dem "Am Schauplatz"-Verfahren führt.

Falsche Unterschrift ausschlaggebend
Diese an sich revisionsfrei gestellte Kollegin hatte sich allerdings eine aus mehrere Punkten bestehende Verfügung von der Behördenleitung "gegenzeichnen" lassen. Weil OStA-Chef Werner Pleischl zu diesem Zeitpunkt nicht zugegen war, unterschrieb seine Stellvertreterin Vrabl-Sanda, womit das Papier in formaler Hinsicht auch zu ihrer Stellungnahme wurde.

Als im weiteren Verlauf das OLG angerufen wurde, um festzustellen, ob der ORF das von den Anklagebehörden verlangte Material zur Gänze herausgeben muss, wurde offenbar nicht bemerkt, dass im zuständigen Senat Vrabl-Sandas Schwester tätig ist. "Das OLG hat das übersehen", räumte OStA-Leiter Pleischl am Donnerstag gegenüber der APA ein. Ein durchaus heikler Lapsus: Gemäß § 43 Absatz 1 Ziffer 1 der Strafprozessordnung ist ein Richter vom gesamten Verfahren ausgeschlossen, wenn einer seiner Angehörigen im Verfahren Staatsanwalt ist oder war.

"OLG hätte andere Richterin beiziehen müssen"
"Nicht wir, sondern das OLG hätte gemäß den gesetzlichen Bestimmungen den Anlassfall erkennen und eine andere Richterin beiziehen müssen", betonte Pleischl. Der Senat wäre gemäß der Geschäftsordnung mit der Vertreterin von Vrabl-Sandas Schwester zu besetzen gewesen, so der OStA-Chef.

Sollte die Generalprokuratur, die unter anderem die Aufgabe hat, im Bereich der Rechtsprechung Gesetzesverletzungen aufzuspüren, zum selben Ergebnis kommen, läge der Ball letztlich beim OGH, der die Konsequenzen daraus ziehen müsste. War der OLG-Senat tatsächlich falsch zusammengesetzt, "muss das zwingend zur Folge haben, dass die OLG-Entscheidung aufgehoben wird", meinte der Sprecher der Generalprokuratur. Seidl bestätigte, dass sich in den meisten Fällen Rechtsansichten von Generalprokuratur und OGH decken.

Material verbleibt bis zur Neuentscheidung beim ORF
Falls das OLG-Erkenntnis tatsächlich "gehoben" wird, hätte das dessen Nichtigkeit zur Folge: Die bisherigen Feststellungen des OLG wären hinfällig, ein neu zu besetzender Senat müsste sich mit der Frage der Beschlagnahme der ORF-Bänder befassen. Klar ist, dass das umstrittene Material bis dahin beim ORF verbleibt.

Die Skinhead-Reportage, bei der ein ORF-Team um "Am Schauplatz"- Reporter Eduard Moschitz mehrere Tage zwei jugendliche Glatzköpfe begleitet hatte, sorgt bereits seit dem Frühjahr für Aufregung. Zum rechtlichen Disput kam es, weil Moschitz dabei mit den beiden Jugendlichen eine Wahlveranstaltung der FPÖ in Wiener Neustadt besucht hatte. Dort gab es eine Begegnung mit FPÖ- Chef Heinz- Christian Strache, der dem Redakteur vor laufender Kamera unterstellte, die Burschen zu einschlägigen rechten Parolen angestiftet zu haben, was aus den Aufnahmen aber nicht hervorgeht. Das Rohmaterial dieser Szenen machte der ORF öffentlich und stellte dieses auch der Staatsanwaltschaft zur Verfügung. Das komplette Material will der Sender jedoch - unter Berufung auf das Redaktionsgeheimnis - nicht herausgeben.

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