Rolls-Royce? Sportlich? Ja, tatsächlich. Unter der langen Haube, hinter dem imposanten "Pantheon"-Kühlergrill ruht mit dem doppelt beatmeten 6,6-Liter-V12-Motor das stärkste Triebwerk, mit dem man in Goodwood je ein Serienfahrzeug versehen hat. Am anderen Ende läuft der Wraith in einem "Fastback"-Heck aus, dessen Tradition (oder soll man sagen Stammbaum?) der Hersteller bis in die 1930er-Jahre zurückverfolgt. Verständlich ausgedrückt: Der Wraith ist die Coupéversion des Ghost und damit ein Zweitürer. Ein Driver's Car.
Der feine Unterschied
Das macht nun den Unterschied zwischen Fahrer und Chauffeur aus, ebenso den zwischen fahren und bewegen. Bekanntlich sitzt die Herrschaft im Rolls-Royce im Allgemeinen hinten, während der Chauffeur die Karosse möglichst so durch die Weltgeschichte bewegt, dass seine Lordschaft davon nichts mitbekommt. Weder vom Geläuf noch vom Pöbel. Im Wraith hingegen thront der Adel am Lenkradel und gibt der Kutsche selbst die Sporen. Den Chauffeur kann Herr von und zu in Zeiten der Krise entlassen – oder als Krisenprofiteur oder Gutmensch als Wagenpfleger behalten.
Die Portale schwingen stilgerecht gegen die Fahrtrichtung auf (beim Ghost tun das die hinteren) und gewähren Einlass in eine Welt aus purem Luxus, in einen Salon wie auf einer Jacht in Monte Carlo. Alles ist handgearbeitet, die Maserung der Vertäfelungen wie Bild und Spiegelbild entlang der Längsachse. Der Kunde kann sogar seinen Lieblingsbaum mitbringen, um ihn Furnier werden zu lassen. Am ledernen Dachhimmel leuchtet auf Wunsch ein Sternenhimmel aus 1.340 Glasfaserspitzen, jede strahlt anders, wie am echten Firmament. Starlight Headliner heißt dieser Himmel der Engländer. Lautlos gleiten die Türen ins Schloss, den Butler ersetzen dabei ein Knopfdruck und Elektromotoren.
Zwischen elitär und entrückt
Mit dem Einsteigen in ein gewöhnliches Auto hat das nicht viel zu tun. Sogar die Armaturen bemühen sich, jede Erinnerung an frühere automobile Erfahrungen vergessen zu machen. Das Infotainment ist zwar prinzipiell das iDrive von BMW, doch o mein Gott, natürlich ist die Optik eine andere. Beim Starten dreht sich der Spirit of Ecstasy, vulgo Emily, am Display. Sie ist auch im iDrive-Controler intarsiert, der sogar als Touchpad fungiert. Die Lüftung wird nicht auf Stufe 1, 2, 3, oder 4 eingestellt, sondern auf soft, med, high oder max. Besonders beeindruckend sind die Einstellhebelchen für die Luftauslässe: Sie sehen aus wie kleine, verchromte Orgelzüge. Prinz Charles hatte solche sicher einst an seiner Kinderorgel.
Alles wirkt verspielt, alles glänzt, verströmt teuren Lederduft oder vermittelt dem Fahrer gerade so viel Information, wie er unbedingt braucht. Die Temperaturregler der Klimaautomatik etwa zeigen keine Temperatur an, sondern nur rot und blau für warm und kalt. Gezielt für akustische Verwirrung sorgt die optionale 1.300-Watt-Audioanlage der hauseigenen "Bespoke"-Abteilung: Ihr fantastischer Sound entspringt 18 Kanälen und ebenso vielen Lautsprechern, zwei davon sitzen über dem Firmament und hindern als 1.200-Hz-Exciter das menschliche Ohr daran, eine Schallquelle zu orten. Eine Frequenz- und Phasenkorrektur für einzelne Lautsprecher vermeidet eventuelle Klangverzerrungen durch Reflexionen an den Fenstern. Spätestens jetzt dürfte klar sein, dass der Luxus hier jede Faser des Fahrzeugs durchdringt.
Dramatik statt Dynamik
Beim Druck auf den Startknopf beginnt der V12 sanft zu summen, viel mehr ist von ihm generell nicht zu vernehmen. 800 Nm versammelt er ab 1.500 Umdrehungen auf der Kurbelwelle, allein welche Drehzahl gerade anliegt, das bleibt der Phantasie des Fahrers überlassen – denn einen Drehzahlmesser gibt es nicht für Geld und gute Worte. Stattdessen zeigt das Rundinstrument neben dem Tachometer (den gibt es immerhin) die "Power Reserve" in Prozent, also wie viel Kraft noch dienstbereit schlummert. Zu verraten, wie viel Kraft das insgesamt ist, wurde früher wohl mit Kerkerhaft im Tower zu London bestraft (mehr als "ausreichend" wurde bekanntlich nicht kommuniziert).
Heutzutage weiß man auf Punkt und Komma, warum dieses 5,27-Meter- Schiff in 4,6 Sekunden Tempo hundert erreicht. Das klingt dynamisch, wird aber schnell dramatisch, wenn ganz plötzlich eine enge Kurve auftaucht, man ob der Stille im Palast die (übrigens bei 250 km/h abgeregelte) Geschwindigkeit unterschätzt hat und von 2,4 Tonnen Leergewicht ins Untersteuern geschoben wird. Das ist wahrscheinlich gemeint, wenn es bei Rolls-Royce heißt: "Der Wraith verkörpert die perfekte Verbindung aus Glamour und Raffinesse sowie aus Leistung und Dramatik."
Das soll ganz und gar nicht in Abrede stellen, dass das Fahren hier durchaus aktiv zu verstehen ist. Im Vergleich zum Ghost ist der Radstand 18 Zentimeter kürzer, die zulasten des hinteren Fußraumes gehen, der Schwerpunkt liegt wegen der um fünf Zentimeter geringeren Höhe tiefer, sogar die hintere Spur wurde um 24 mm verbreitert. Das adaptive Luftfahrwerk ist, nun ja, straffer abgestimmt und mit Wankstabilisierung ausgestattet, die geschwindigkeitsabhängige Lenkung direkter, sodass man den Untergrund durchaus spürt, statt einfach nur darüber hinwegzuschweben.
GPS-Unterstützung für die Automatik
Nach einiger Zeit gewöhnt man sich an den Prunk, die schiere Masse an Luxus wird selbstverständlich, vielleicht wundert man sich hie und da über das leicht abgehobene Gefühl, das sich einstellt. Und dann merkt man, dass man von der Automatik nichts merkt. Die wechselt ihre acht Gänge ausschließlich selbsttätig, und das dank GPS-Unterstützung so vorausschauend wie ein guter Chauffeur. Sie greift auf Navi-Daten zu und weiß daher, ob man vom Gas geht, weil man cruisen will, oder ob eine Kurve kommt, nach der das Gaspedal gleich wieder aufs Lammfell gepresst wird. Je nachdem schaltet sie rauf oder runter. Einzige Eingriffsmöglichkeit für seine Hoheit ist die Option "Low" am Lenkstockhebel, für den Fall, dass man sich in kleineren Gängen bewegen möchte.
Mit dem Geld ist es wie mit der Leistung
Was früher für die Motorleistung galt, gilt heute noch für den Kaufpreis: Man spricht nicht gern darüber. Eine Aufpreisliste ist nicht zu bekommen, den Grundpreis für Österreich musste ich mir selber ausrechnen: 338.255,80 inklusive Mehrwertsteuer, NoVA und CO2-Abgabe. Dafür bekommt man etwas, das manche schlicht als Auto bezeichnen, und – wie es bei Rolls-Royce heißt – "ein Gefühl überlegener Macht". Man muss also kein sympathischer Zeitgenosse sein, um hier einzuchecken. Es reicht, wenn man im Geld schwimmt. Und ob man nun nach jeder Fahrt das Lammfell reinigen lässt oder im Handschuhfach Racing-Sneakers aufbewahrt, das muss jeder für sich selbst entscheiden.
Warum?
Warum nicht?
Oder vielleicht …
… einen Ghost oder Phantom und einen Jaguar F-Type dazu. Man könnte auch sagen Bentley Continental GT Speed, Ferrari FF, Aston Martin Vanquish - aber ein Rolls-Royce ist einfach ein Rolls-Royce.
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