Noble letzte Reise

Hier werden Tote im Rolls-Royce chauffiert

Motor
27.02.2016 14:14

"Das letzte Auto ist immer ein schwarzer Kombi", sagt Comedian Alex Kristan in seinem aktuellen Programm "Heimvorteil". Damit hat er in der Regel Recht, doch wessen Ableben in England zelebriert wird und wer zudem genügend irdische Mittel hinterlassen hat, der kann die letzte Reise anders antreten als andere: in einem silbernen Rolls-Royce. Kombi natürlich.

(Bild: kmm)

Sonderlich schmuck ist es nicht in der Robin Hood Street, wie überhaupt Nottingham nicht gerade eine pittoreske Stadt ist. Doch wer bei A W Lymn über die Schwelle tritt, der fühlt sich wie ein König und wähnt sich in London. Denn Rob Lippitt, der Mittvierziger hinter dem Empfangstresen trägt einen dunklen, maßgeschneiderten Anzug, im Büro riecht es nach frischen Blumen und auf dem Hof stehen an guten Tagen mehr als ein Dutzend Rolls-Royce.

Dass hier trotzdem nur einer mit den blank polierten Kühlerfiguren auf dem Hof um die Wette strahlt, liegt in der Natur der Unternehmung: A. W. Lymn ist Bestatter und Männer wie Lippitt bringen die Bürger von Nottingham seit über 100 Jahren zuverlässig unter die Erde. Anders als bei vielen seiner Kollegen stirbt man bei Lymn allerdings mit Stil - oder wird zumindest stilvoll befördert, wenn man sich bereits im Jenseits befindet. Denn wo die Konkurrenz ihrem Geschäft mit nüchtern lackierten Kleinbussen und konventionellen Kombis nachgeht, leistet sich der Familienbetrieb die vielleicht imposanteste Bestattungsflotte der Welt: "Insgesamt haben wir 39 Limousinen von Bentley und Rolls-Royce im Einsatz, darunter allein 15 aktuelle Phantom," sagt Lippitt, der das Marketing verantwortet und den imposanten Fuhrpark leitet.

Umbau in Italien
Zwar ist von den Luxuslinern nur ein kleiner Teil tatsächlich als Leichenwagen umgerüstet und alle anderen Autos stilechte Begleitfahrzeuge für Freunde und Familie des Toten. Doch wenn Lymn auffährt, wirkt jedes Hollywood-Begräbnis wie eine Low-Budget-Produktion. An der Spitze der langen Trauerzüge rollt dabei in den meisten Fällen ein Auto, das mit Begriffen wie "Lieferwagen" oder "Kombi" nicht einmal ansatzweise treffend beschrieben ist. Denn was Lymn da für rund 500.000 Pfund binnen sechs Monaten in Italien aus den als junge Gebrauchte gekauften Phantom schweißen lässt, macht die Prunklimousine nicht nur zum luxuriösesten Leichenwagen der Welt. Es schürt selbst bei manch einem quicklebendigem Trauergast die Sehnsucht nach einer Mitfahrgelegenheit: Die Limousinen werden auf bis zu sieben Meter gestreckt, das Dach wird angehoben und wo früher mal die teuerste Couch der Autowelt montiert war, gibt es jetzt hinter graviertem Glas eine elektrisch ausfahrbare Edelstahlpritsche mit programmierbarer Ambiente-Beleuchtung, auf der man Sterben so richtig in Szene setzten kann. "Wer eine Bestattung im Rolls-Royce bucht, der will die ganz große Inszenierung", hat Lippitt gelernt.

Die Italiener übernehmen nicht nur den Karosseriebau, sondern feilen auch noch einmal am Fahrwerk und optimieren die Elektronik. So bekommen die ganz speziellen Phantom-Kombis zum Beispiel noch mehr Parksensoren und Rückfahrkameras für den besseren Rundumblick. "Denn nichts ist peinlicher, als wenn man bei einer Beerdigung zwischen den Grabsteinen stecken bleibt", sagt Lippitt. Was wie ein Scherz klingt, ist für ihn eine buchstäblich todernste Sache. So verwinkelt, wie die englischen Friedhöfe manchmal sind, und so lang, wie Autos nach dem Umbau werden, muss man mit dem Phantom verdammt gut fahren können, sagt Lippitt. Auch das ist ein Grund, weshalb er allein ein Dutzend Chauffeure fest angestellt hat und seit Jahrzehnten die gleichen Aushilfen einsetzt. Trotzdem muss der ebenfalls fest angestellte Rolls-Royce-Mechaniker nicht nur Wartungsarbeiten und die Wagenpflege übernehmen, sondern bisweilen auch mal ein paar "kosmetische Reparaturen" ausführen, sagt Lippitt diplomatisch.

Ein ganzer Katalog an speziellen Leichenwagen
Dass der stilvolle Abgang bei A W Lymn keine effekthascherische Mode ist, sondern gelebte Unternehmenskultur, demonstriert Lippitt bei einem Rundgang über das weitläufige Unternehmensgelände in der Robin Hood Street. Dabei führt er die Gäste nicht nur vorbei an den vielen neuen Phantom oder an den etwas in die Jahre gekommenen Silver Mist und Mirage. Er zeigt ihnen auch den Phantom von 1936, der heute auf besonderen Wunsch noch immer gebucht werden kann. "Und das kommt öfter vor, als man glauben möchte", sagt Lippitt, der seinen Kunden oder deren Angehörigen kaum einen Wunsch abschlagen möchte: Was für sie oft der letzte Wille war, ist ihm natürlich ein strenger Befehl. Auch deshalb hat Lippitt den Fuhrpark über die Rolls-Royce-Flotte hinaus kräftig erweitert und mittlerweile einen ganzen Fahrzeug-Katalog zusammengestellt. Wer durch die Broschüre dick wie das Telefonbuch von Nottingham blättert, findet darin nicht nur ein paar Dutzend verschiedener Särge, Blumengestecke oder andere Trauerutensilien, sondern auch seitenweise Sonderfahrzeuge vom historischen Doppeldeckerbus über das traditionelle London Cab bis hin zum altmodischen VW Bus. "Es gibt fast nichts, was es nicht gibt", sagt Lippitt und weiß nicht, ob er dabei strahlen oder lieber mitleidig dreinschauen soll ob der Skurrilitäten in seinem Geschäft.

Vor allem "ganz normale" Kunden
So ungewöhnlich der Fuhrpark des Bestatters ist, so gewöhnlich sind seine Kunden. "Wir fahren kaum für Größen aus dem Showgeschäft oder für andere Prominente, und auch zum Königshaus haben wir keinen Kontakt", sagt Lippitt. Es seien vor allem ganz normale Familien aus der Nachbarschaft, die für die letzte Reise ihrer Lieben einen besonderen Wagen wünschten. Entsprechend bürgerlich sei auch die Preispolitik. "Natürlich kommt es am Ende auf die Zahl der benötigten Fahrzeuge an, auf den Sarg, den Blumenschmuck und auf die Strecke, die wir zurücklegen müssen. Aber mehr als 10 bis 15.000 Pfund muss man für die letzte Reise im Rolls-Royce samt entsprechender Begleitflotte nicht bezahlen."

Zwar weiß Lippitt um die Attraktivität seiner Autos, ist mit den luxuriösen Leichenwagen mittlerweile weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt und mit bis zu 30 Beerdigungen am Tag mehr aus ausreichend beschäftigt. Doch ein Problem hat er bislang auch mit den luxuriösesten Limousinen kaum lösen können: "Egal wie gut unser Service auch sein mag, zu uns kommt niemand gerne", sagt der Dienstleister des Todes.

Seit ein paar Monaten hat sich auch das geändert. Denn mittlerweile vermietet Lippitt zumindest die konventionellen Limousinen in seiner Flotte an Wochenenden auch für Hochzeiten und andere festlichen Gelegenheiten. "Nicht umsonst sind unsere Autos in einem neutralen Silber lackiert und nicht in einem traurigen Schwarz." Das macht der findige Unternehmer natürlich vor allem, weil die Friedhöfe in Nottingham samstags und sonntags eine Art Betriebsruhe haben und die teuren Autos sonst ungenutzt in der Garage stehen. Aber seine Fahrer können diesem Wochenend-Dienst noch einen ganz anderen Vorteil abgewinnen, sagt der Fuhrparkchef: "Endlich sehen die im Innenspiegel auch mal fröhlicher Gesichter."

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(Bild: kmm)



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