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Samsung Gear S: Smartwatch mit SIM, aber kaum Sinn

Elektronik
20.12.2014 07:00
Mit seiner neuen intelligenten Armbanduhr Gear S hat Samsung die erste Smartwatch mit SIM-Kartenslot nach Österreich gebracht. Für günstigstenfalls 330 Euro verspricht das Gadget, das Smartphone überflüssig zu machen und die wichtigsten Funktionen direkt am Handgelenk anzubieten. Im krone.at-Test hat sich gezeigt, dass dieses Versprechen nicht gehalten werden kann. Warum, lesen Sie hier.

Soll eine Smartwatch das Handy ergänzen oder ersetzen? Wenn man den meisten Herstellern dieser Geräte glauben darf, dann Ersteres. Dass es eine Schar von Menschen gibt, die ihr Handy lieber durch eine Uhr ersetzen würden, steht jedoch außer Frage. Und genau an diese Personen richtet sich Samsung mit seiner Gear S. Bei ihr handelt es sich im Grunde um ein Smartphone für das Handgelenk, mit eigener SIM-Karte, Lautsprecher und Mikro für Telefonie sowie den wichtigsten Funktionen, die auch ein Smartphone liefert.

Allerdings unterlief Samsung bei der Konzipierung des Geräts offenbar ein Denkfehler. Smartwatches ohne SIM-Karte, die das Smartphone ergänzen, führen zu keinen zusätzlichen Mobilfunkkosten, weil das Smartphone die Internetverbindung bereitstellt. Eine Smartwatch mit SIM-Karte hingegen ist nur dann kostenneutral, wenn man sie auch ohne Smartphone im Hintergrund nutzen kann. Und genau hier liegt der Hund begraben: Der Funktionsumfang der Gear S ist ohne Samsung-Smartphone arg eingeschränkt. Man braucht also sowohl Smartwatch als auch Smartphone. Und für den vollen Funktionsumfang auch zwei SIM-Karten dazu.

Ohne Samsung-Smartphone geht nichts
Das offenbart sich dem Interessenten gleich beim Einschalten. Statt, wie man es eigentlich erwarten würde, den Nutzer Einstellungen vornehmen zu lassen und das Gerät betriebsbereit zu machen, verlangt die Gear S nach einem aktuellen Samsung-Smartphone mit dem Gear Manager, der Smartwatch-Verwaltungssoftware der Koreaner. Das ist nicht nur deshalb bitter, weil Samsung so Nutzer von Konkurrenzgeräten von der Benutzung der Gear S ausschließt. Sondern vor allem, weil die Uhr ohne Smartwatch-Compagnon schlicht und ergreifend unbenutzbar ist.

Ohne den Gear Manager verweigert sie die Inbetriebnahme. Läuft sie einmal, braucht man die Smartphone-Software zur Installation neuer Apps. Dass deren Zahl in absehbarer Zeit explodiert, sollte man sich indes nicht erwarten. Die Gear S läuft, wie auch einige andere aktuelle Smartwatches von Samsung, mit Tizen. Und diesem Betriebssystem mangelt es an Verbreitung, was die App-Entwickler mit recht verhaltenem Interesse strafen.

So entsteht kurz nach der Inbetriebnahme der Eindruck, dass die Gear S nicht zu Ende gedacht wurde. Wenn man ein Smartphone braucht, um den intelligenten Zeitmesser mit SIM-Karte verwalten zu können, dann kann man auch gleich zu einem günstigeren Modell ohne SIM-Karte und zusätzliche Mobilfunkkosten greifen. Und wer eine intelligente Armbanduhr sucht, die das Handy völlig ersetzt, wird schon beim Einschalten der Gear S scheitern und das Gerät frustriert zurück ins Geschäft bringen. Man verzeihe das Wortspiel, aber so macht die Uhr mit SIM wenig Sinn. Das ist schade, weil das Gerät auf der Hardwareseite gar keinen schlechten Eindruck macht.

Sehr gute Hardware, schönes Display
Die verbauten Komponenten gehören zum Besten, was man derzeit im Uhren-Chassis kaufen kann: ein Dual-Core-Chip mit einem Gigahertz Takt, 512 Megabyte RAM, vier Gigabyte interner Speicher, ein extragroßes AMOLED-Display mit zwei Zoll Diagonale und 480 mal 360 Pixeln Auflösung. Dazu gesellen sich im nach IP67-Standard wasserfesten Gehäuse noch aktuelle Funkausstattung, verschiedenste Sensoren, ein Pulsmesser und ein Akku mit 300 Milliamperestunden. Das Gehäuse ist aus Edelstahl gefertigt, das Armband aus Gummi. Austauschen kann man es nur gegen Samsung-Originalzubehör, die Verwendung normaler Uhrbänder, wie wir sie kürzlich an LGs G Watch R gelobt haben, ist nicht vorgesehen.

Die Hardware ist überzeugend. CPU und RAM stellen das Tizen-Betriebssystem weitgehend flüssig dar, das krumme OLED-Display erfreut das Auge mit guter Schärfe und strahlenden Farben. Der Akku teilt das Schicksal seiner Leidensgenossen in anderen Smartwatches und muss bei reger Nutzung täglich mit der beigelegten Ladeschale aufgeladen werden. Praktisch: Das Lade-Dock enthält einen Akku, mit dem man die Uhr zur Not auch unterwegs laden kann. Der Pulsmesser macht seinen Job zuverlässig, die Messergebnisse schwanken allerdings ein wenig. Der Schrittzähler lässt keine Wünsche offen. Auf Wunsch misst die Uhr auch die UV-Strahlung und gibt Auskunft über das Sonnenbrand-Risiko. Eine Kamera, wie sie Samsung in seiner ersten Gear eingebaut hat, fehlt.

Saubere Verarbeitung, klobiges Gerät
Die Verarbeitungsqualität der Gear S stimmt. Der Uhrenteil kann dem Armband entnommen werden, was beispielsweise beim Aufladen praktisch ist, und weist keine Verarbeitungsmängel auf. Während die Oberseite der Uhr aus Metall und kratzfestem Glas gefertigt ist, setzt sich der hochwertige Eindruck bei der aus Plastik gefertigten Rückseite zwar nicht ganz fort, insgesamt ist die Gear S aber bis auf das schmucklose Uhrband ein recht ansehnliches Gerät geworden.

Die schiere Größe des Geräts dürfte viele Anwender mit schmaleren Handgelenken allerdings stören. Mit einer Größe von rund vier mal sechs Zentimetern bei 1,25 Zentimeter Dicke gehört die Gear S zu den größeren Smartwatches am Markt und fällt selbst an einem stämmigen Männerhandgelenk als ziemlich große Uhr auf. Gestört hat uns das 55-Gramm-Gadget am Handgelenk im Alltag zwar nicht, Interessenten sollten sich die Smartwatch aber vor dem Kauf umschnallen und überlegen, ob sie mit ihrer Größe leben können.

Bedienung mal mühsam, mal intuitiv
Die Bedienung gestaltet sich je nach Einsatzszenario mal intuitiv, mal mühsam. Das Bedienkonzept der Gear S basiert auf Wischgesten. Ein Wisch von oben nach unten öffnet den Benachrichtigungsbereich, von unten nach oben wird die App-Übersicht geöffnet. Wer nach links oder rechts wischt, hangelt sich durch Ziffernblatt, Fitness-Apps, aktuelle E-Mails und dergleichen. So weit, so unkompliziert. Mühsam wird es, wenn man Text eingeben will – etwa für SMS oder E-Mails.

Die Texteingabe erfolgt über eine winzige Bildschirmtastatur, die zwar dank Wörterbuch vieles vorhersagen und dem Nutzer so Tipparbeit abnehmen kann. Allerdings kommt es durch die winzigen Buchstaben häufig zu Fehleingaben, bei denen auch das Wörterbuch nicht mehr helfen kann. Für eine "Ich bin gleich da"-SMS reicht die Texteingabe zwar, längere Texte auf der Gear S zu tippen, ist aber unkomfortabel. Spracheingabe steht bei aktiver Internetverbindung zur Verfügung, funktioniert aber eher unzuverlässig. Letzten Endes dürften die meisten Nutzer mit den Bedienmöglichkeiten gerade beim Eingeben von Text schnell an die Grenzen des Möglichen stoßen und lieber das Smartphone aus der Tasche ziehen.

Praktische Apps vorinstalliert, Nachschub knapp
Das Tizen-Betriebssystem und die Software auf der Gear S machen einen vernünftigen Eindruck. Vorinstalliert gibt's unter anderem Fitness- und Gesundheits-Apps vom Schlaf-Tracker über einen Schrittzähler bis hin zu einer Trainings-App für Läufer, Radfahrer, Wanderer und Geher. Die Pulsmesser-Funktion ist leicht zugänglich, die nötigsten Anwendungen für E-Mails, SMS, Telefonie, Terminplanung und sonstige Alltagsfunktionen sind an Bord, zur Navigation wird Nokias HERE genutzt. Erwähnenswert: Wer mit der Gear S telefonieren will, kann dies mittels Bluetooth-Headset machen oder über den integrierten Lautsprecher und das Mikro. Weil letztere Variante Mitmenschen dazu zwingt, Gespräche mitanzuhören, und die Gesprächsqualität in diesem Freisprech-Modus nicht sonderlich überzeugt, ist die Nutzung eines Bluetooth-Headsets ratsam.

Die Zahl der sonstigen verfügbaren Apps hält sich in Grenzen. Im Gear-App-Store fehlen bekannte Namen wie Facebook oder Twitter, die verfügbaren Apps sind oft kostenpflichtig, ihr Funktionsumfang beschränkt. Dass sich die Situation bessern wird, ist unwahrscheinlich: Für App-Entwickler ist Android Wear, das bereits auf vielen Smartwatches läuft und nicht nur mit Samsung-Smartphones harmoniert, auf lange Sicht die attraktivere Plattform.

Fazit: Auf y und seine schiere Größe ins Auge sticht. Dass es allerdings trotz SIM-Kartenslot nur bedingt ohne Smartphone nutzbar ist und schon bei der Inbetriebnahme nach einem Samsung-Handy mit Gear Manager schreit, trübt die Freude. Die schwache Akkulaufzeit, die mühsame Bedienung, das unattraktive Gummiarmband und die überschaubare App-Auswahl sprechen gemeinsam mit dem hohen Preis zusätzlich gegen Samsungs neue Smartwatch – und werfen die Frage auf, wer denn eigentlich die Zielgruppe für diese teure Technikdemo sein soll.

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