„Es ist absolut irre!“

Israel-Waffenwende ist eine symbolische Ohrfeige

Außenpolitik
08.08.2025 18:08

Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz hat in einem historischen Schritt angekündigt, Israel vorerst keine Rüstungsgüter mehr zukommen zu lassen. Was wild klingt, wird auf dem Schlachtfeld jedoch kaum Auswirkungen haben. Die Parteifreunde des CDU-Chefs stören sich viel mehr an der Art und Weise seiner Ankündigung ... 

In Deutschland wird seit Jahrzehnten betont, dass die Unterstützung Israels zur Staatsräson gehört. Merz soll in den vergangenen Tagen entsprechend mit seiner Entscheidung gerungen haben, bevor er am Freitagvormittag vier historische Absätze an Pressevertreter schicken ließ.

Die Botschaft: Deutschland liefert „bis auf Weiteres“ keine Rüstungsgüter mehr an Israel. Zu sehr würde die Zivilbevölkerung unter dem Würgegriff der Regierung von Benjamin Netanyahu leiden.

Die Entscheidung wurde nur wenige Stunden nach Israels Beschluss publik gemacht, den Krieg im Gazastreifen ausweiten zu wollen. In Berlin galt der Plan, die gesamte Enklave besetzen zu wollen, in den vergangenen Tagen als „Gamechanger“, berichtet etwa der „Spiegel“. Der Rüstungsstopp wird operativ jedoch kaum Auswirkungen auf dem Schlachtfeld haben. Experten sehen darin eher einen symbolischen Protest des Bundeskanzlers, obwohl Deutschland hinter den USA der zweitgrößte Waffenexporteur für Israel ist.

Das Tortendiagramm zeigt die Herkunftsländer von Israels Waffenimporten zwischen 2020 und 2024 ohne Kleinwaffen. Die USA liefern mit 66 % den größten Anteil, gefolgt von Deutschland mit 33 %. Italien hat einen Anteil von 1 %. Für in Gaza einsetzbare Rüstungsgüter aus Deutschland gibt es einen teilweisen Lieferstopp. Quelle: dpa/Sipri.

Deutschland liefert aktuell keine Waffen
Unter der deutschen Vorgängerregierung wurden bereits Waffenlieferungen an Israel aufgrund der humanitären Lage im Gazastreifen zurückgefahren. In den vergangenen Monaten wurden demnach nur noch Freigaben für sogenannte Rüstungsgüter erteilt. Per Definition handelt es sich dabei um Bau- oder Ersatzteile für Waffensysteme, aber nicht um Munition oder Ähnliches. Soll heißen: Deutschland liefert aktuell gar keine Kriegswaffen.

Dem Vernehmen nach stellte Israel in den vergangenen Monaten keine Waffenanfragen mehr in Berlin, weil hinter verschlossenen Türen bereits signalisiert wurde, dass man den eingeschlagenen Weg nicht mehr unterstützen könne. Lediglich Getriebe für Panzer oder Ersatzteile für Schiffe oder Hubschrauber wären zuletzt noch freigegeben worden.

Die Entscheidung von Merz, der noch am Dienstag mit dem israelischen Premier telefoniert hatte, ist daher eine optische. Er entzieht damit Netanyahu öffentlich das Vertrauen – und innerhalb seines politischen Zirkels herrscht mitunter Entsetzen darüber, wie dieser Bruch vom Bundeskanzler kommuniziert wurde.

Schwesterpartei fühlt sich übergangen
Viele seiner Mitstreiter seien nicht in den Prozess eingeweiht gewesen, heißt es aus Berlin. Die Schwesterpartei CSU erklärte prompt, dass man „an dieser Entscheidung nicht beteiligt war und davon überrascht“ ist. Offenbar entschied sich Merz in der Frage für einen Alleingang.

Sein Innenminister, Alexander Dobrindt (CSU), wurde noch vor wenigen Wochen von Netanyahu in Israel empfangen. Dabei versprach der Bayer die volle Unterstützung Deutschlands im Kampf gegen die Hamas. Dementsprechend überrumpelt fühlen sich die Christsozialen. Doch auch innerhalb der CDU brodelt es. Ein prominenter CDU-Mann, der nicht genannt werden möchte, teilte „Bild“-Reporter Paul Ronzheimer mit: „Es ist absolut irre! Was soll das ausgerechnet jetzt?“

Der CDU-Jugendverband fand gegenüber Merz harsche Worte: „Staatsräson abgehakt?“, fragte die Junge Union (JU) auf Instagram. Merz‘ Entscheidung sei ein „Bruch mit den Grundsätzen der Unionspolitik“. 

Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist laut internationalen Beobachtern katastrophal.
Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist laut internationalen Beobachtern katastrophal.(Bild: EPA/MOHAMMED SABER)
Weite Teile des Küstenstreifens sind vollkommen zerstört.
Weite Teile des Küstenstreifens sind vollkommen zerstört.(Bild: AFP/BASHAR TALEB)

Von Koalitionspartner SPD kam hingegen Unterstützung für den Schritt. „Das ist eine richtige Entscheidung“, erklärte Vizekanzler Lars Klingbeil. „Das humanitäre Leid in Gaza ist unerträglich“, für die dortige Lage trage die israelische Regierung „eine große Verantwortung“. Dem Staat Israel gelte „unsere volle Solidarität“, betonte der SPD-Chef. „Aber Falsches muss benannt werden.“

Merz‘ Entscheidung birgt Risiko
Doch auch hier gibt es unterschiedliche Meinungen. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sprach sich in den vergangenen Wochen gegen den Stopp aus. Der Sozialdemokrat fürchtet Gegenaktionen der Israelis. Denn sein Ministerium hat dort wichtige Waffensysteme wie die Arrow-Raketenabwehrbatterien zur Luftverteidigung bestellt.

Außenpolitik-Experte Thorsten Benner erklärte dazu auf X: „Es gibt eine wechselseitige Abhängigkeit. Deshalb ist es auch ein eng umschriebener temporärer Stopp als politisches Signal. Ja, Israel könnte eskalieren und die Kooperation bei Arrow, Heron (eine Aufklärungsdrohne, Anm.) und Nachrichtendiensten einstellen. Wäre das im israelischen Interesse?“

Jerusalems erste Reaktion auf die öffentliche Ohrfeige aus Berlin fiel ruppig aus. Der israelische Premier ließ über sein Büro mitteilen, dass Merz mit seiner Waffenwende die Terroristen der Hamas belohnen würde, die für den „schrecklichsten Angriff auf jüdisches Leben seit dem Holocaust“ verantwortlich seien. Die Erinnerung an Deutschlands historische Schuld ist hierbei gewiss kein Versehen. Bereits die Vergangenheit hat gezeigt: Netanyahu lässt sich ungern sagen, was er zu tun hat ...

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