Der deutsche Neo-Bundeskanzler Friedrich Merz hat „spürbare“ Veränderungen für das Land versprochen. Keine 24 Stunden später wurde die Verdoppelung der Verteidigungsausgaben angekündigt - und viele reiben sich die Augen. Hinter der Ansage steckt eine Botschaft an Donald Trump, ein neues deutsches Selbstverständnis und kreative Buchhaltung.
Vorbei scheinen die Zeiten des Zauderns. Merz will offenbar ein Bundeskanzler der Superlative werden. Sein Politikwechsel ist eben auch ein akustischer - mit ihm als Antreiber.
Was das bedeutet, soll sich vor allem bei der Bundeswehr zeigen. Unter seiner Führung werde das deutsche Militär wieder wachsen. Mehr noch: Deutschland werde mit „seiner Stärke“ wieder abschrecken.
Bei seiner ersten Regierungsansprache im Bundestag am Mittwoch ließ Merz aufhorchen: „Die Bundesregierung wird zukünftig alle finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, die die Bundeswehr braucht, um konventionell zur stärksten Armee Europas zu werden.“ Donnerwetter, wie der Deutsche sagt!
Das neue Selbstverständnis
Solche Sätze waren bei unserem Nachbar aufgrund seiner historischen Schuld weitestgehend tabu. Doch die Koalition aus CDU/CSU und SPD träumt bereits. Keine 24 Stunden nach Merz‘ Rede stellte sein Außenminister Johann Wadephul bei einem NATO-Außenministertreffen in der Türkei eine massive Erhöhung der Verteidigungsausgaben in Aussicht.
Deutschland wird den USA beim Fünf-Prozent-Ziel des Verteidigungsetats folgen, erklärte der Chefdiplomat am Donnerstag. Dabei glich die Bundeswehr in den vergangenen Jahrzehnten eher einer Rumpelkammer. Bisher wurden zwei Prozent des BIP anvisiert, doch selbst diese Hürde war für Europas größte Wirtschaftsmacht meist zu hoch.
Zur Einordnung: Das neue Budget liegt damit in der Theorie bei mehr als 215 Milliarden Euro pro Jahr und entspricht etwa dem Bruttoinlandsprodukt vom EU-Staat Ungarn. Merz vervielfacht (im vergangenen Jahr waren es etwa 90 Milliarden) also mittelfristig die Ausgaben für das Militär.
Budget-Trick ermöglicht neue Schulden
Wie soll das funktionieren? Die Vorarbeit dafür wurde kurz nach der Wahl und noch in der alten Legislaturperiode geleistet. Ein Billionen-Finanzpaket wurde unter Merz‘ Führung – zur Überraschung vieler – im Bundestag durchgedrückt. Auf einen Schlag wurden neue Mega-Kredite in einem Volumen ermöglicht, wie es dies in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat. Im Wahlkampf hatte der CDU-Chef noch den Abbau von Schulden versprochen.
Ein kreativer Mechanismus greift vor allem bei hohen Ausgaben mit Verteidigungscharakter. Betragen diese über ein Prozent des Bruttoinlandproduktes, etwa 44 Milliarden Euro, dürfen diese Kredite an der hauseigenen Schuldenbremse vorbeigeschmuggelt werden. Das heißt: Nach oben hin sind nun keine Grenzen mehr gesetzt.
Merz begründete seine Kehrtwende mit der zunehmenden transatlantischen Entfremdung. Europa stehe Russlands Imperialismus zunehmend alleine gegenüber. Der ehemalige EU-Chefdiplomat Josep Borrell erklärte mit Blick auf Wladimir Putin, dass Deutschland „die Ohren des Wolfes gesehen“ habe. „Oder des Bären ...“
Rutte-Modell soll Trump befrieden
Nun soll auf ganzer Linie aufgerüstet werden. Ein Ansatz ist, dass die fünf Prozent des BIP aufgespalten werden. Außenminister Wadephul machte klar, dass 3,5 Prozent in klassische Verteidigungsausgaben fließen könnten. Der Rest (1,5 Prozent) soll in militärisch nutzbare Infrastruktur gesteckt werden. Ein solches Vorgehen hatte zuletzt NATO-Generalsekretär Mark Rutte vorgeschlagen – und lässt Spielraum, wie die Hürde genommen werden kann. Ausgaben für Straßen, Brücken, Tunnel, Schienen oder Häfen könnten mit diesem Modell an die NATO gemeldet werden. Es muss nur ein Verteidigungsbezug hergestellt werden.
Als mögliche Frist für die Erfüllung des neuen Ziels gilt das Jahr 2032. US-Präsident Donald Trump will, dass die Fünf-Prozent-Hürde im Juni beim nächsten NATO-Gipfel in Den Haag beschlossen wird. Intern wurde zuletzt damit gedroht, dass er dem Treffen ansonsten fernbleiben würde. Für die NATO wäre das ein Debakel, da ihre Abschreckung noch immer maßgeblich auf den militärischen Fähigkeiten der atomaren Supermacht beruht.
Für Merz und den Rest Europas beginnt nun ein Tanz auf der Rasierklinge. Vordergründing will man sich von Trumps Amerika emanzipieren – ohne auf die Schlagkraft des US-Militärs verzichten zu müssen. Mit kreativer Buchhaltung soll der ungeduldige US-Präsident befriedet werden. 3,5 plus 1,5 ergibt immerhin seine geforderte Fünf-Prozent-Hürde. Die Erwartungen an Trump sind klar: „Wir folgen ihm da, und wir sehen darin ein klares Bekenntnis der Vereinigten Staaten von Amerika zu Artikel 5“, erklärte Wadephul neben US-Außenminister Marco Rubio in der Türkei.
Bis es so weit ist, dürfen die Gräben nicht zu tief werden, weil das eigene militärische Gerät weiter entstaubt werden muss. Dafür bräuchte die Bundeswehr allerdings Personal, das es so noch gar nicht gibt.
Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius hat angesichts der russischen Bedrohung und des Personalmangels eine Wehrpflicht im Auge. Die sei im Koalitionsvertrag zwar nicht vorgesehen und beruhe „zunächst“ auf Freiwilligkeit, sagte er am Mittwoch im Bundestag. Aber: „Ich sage ganz bewusst und ehrlich, die Betonung liegt auch auf zunächst, falls wir nicht hinreichend Freiwillige gewinnen können“, so der SPD-Politiker.
„Wir werden die Personallage mittel- und langfristig so verbessern, dass die Bundeswehr durchhaltefähig aufgestellt ist für den Heimatschutz und für die Bündnisverteidigung.“ Viele sehen jetzt die echte Zeitenwende gekommen. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen besang (siehe Tweet oben) im Bundestag bereits das neue deutsche Selbstverständnis: „Europa kann, wenn es will. Und Deutschland wird jetzt wieder eine Kraft, die dafür eintritt, dass Europa will und kann!“
Die gemeinsame Entwicklung einer neuen Präzisionswaffe mit einer Reichweite von mehr als 2000 Kilometern zwischen Deutschland und Großbritannien gilt dabei als Leuchtturmprojekt. Oder wie Merz sagt: Abschreckung ist die beste Verteidigung. „Es gibt wenige Lehren aus der jüngeren Geschichte, die sich so passgenau auf die Gegenwart übertragen lassen wie dieser“, erklärte der deutsche Kanzler am Mittwoch. Der Mann der spitzen Worte scheint es ernst zu meinen. Man wird ihn daran messen.
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