Ist das Taktik oder Übereifer? Der deutsche Außenminister Johann Wadephul hat mit einer markigen Aufrüstungsankündigung bei einem Auslandstermin für Staunen im Berliner Regierungsviertel gesorgt. Jetzt will niemand davon gewusst haben ...
Deutschland will künftig fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben. Rumms! Das wären aktuell mehr als 200 Milliarden Euro. Eine enorme Summe, die alles Dagewesene sprengt. Die Ansage von Neo-Außenminister Wadephul (CDU) ging von Antalya aus um die Welt – und erreichte zwangsläufig das politische Berlin. Die Schlagzeile sorgte dort offenbar für Verwunderung.
Bundeskanzler Friedrich Merz hatte am Mittwoch noch selbst angekündigt, die Bundeswehr zur „konventionell stärksten Armee Europas“ machen zu wollen. Mit seinem Chefdiplomaten gingen daraufhin die Pferde durch. Wörtlich verkündete Wadephul den NATO-Partnern bei dem informellen Treffen: „Ich komme mit der Botschaft aus Berlin, dass Deutschland bereit ist, die Verpflichtungen zu erfüllen.“ Gemeint ist ein Anziehen der Ausgaben auf fünf Prozent bis 2032. Das ist eine zentrale Forderung von US-Präsident Donald Trump.
SPD-Chef Klingbeil rückt aus
Der Koalitionspartner SPD drückt nun auf die Erwartungsbremse. Niemand leugne, dass künftig „massiv aufgerüstet“ werden müsse, an Zahlenspielen wolle man sich aber noch nicht beteiligen. Zuerst müsste der NATO-Gipfel im Juni abgewartet werden. „Ich rate dazu, dass jetzt niemand vorprescht und über Zahlen spekuliert“, maßregelte SPD-Chef Lars Klingbeil den Minister gegenüber dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND)“.
Er betonte: „Wir haben in unserem Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir massiv in die Bundeswehr und in unsere Verteidigungsfähigkeit investieren. Im Juni wird es dafür beim nächsten Nato-Gipfel eine gemeinsame Linie mit unseren Partnern geben. Daran werden wir uns orientieren.“
Selbst Antreiber Merz, der mit der Bundeswehr wieder „abschrecken“ will, ist um Schadensbegrenzung bemüht: Der Bundeskanzler steckte in vertraulichen Terminen, wurde nach „Bild“-Informationen genau so überrascht wie die SPD, als Wadephul auf der Weltbühne vollmundig ein Giga-Budget für Rüstung ankündigte. Selbst im Auswärtigen Amt seien hochrangige Mitarbeiter überrumpelt worden.
Bundeskanzler muss Abgeordnete beruhigen
Merz und Klingbeil seien seit Donnerstagvormittag damit beschäftigt, wütende SPD-Abgeordnete zu beruhigen. „Die Koalition ist sich einig, die Verteidigungsausgaben deutlich zu erhöhen. Falls der Nato-Gipfel im Juli ein neues Ziel für die Höhe der Verteidigungsausgaben festlegt, wird das für uns die verbindliche Maßgabe. So ist es vereinbart und so ist die Aussage des Außenministers zu verstehen“, erklärte CDU-Fraktionschef Jens Spahn kühl.
Der „Spiegel“ berichtet, dass die globale Schlagkraft von Wadephuls Versprechen unterschätzt wurde. Schließlich gibt es keinen Kabinettsbeschluss dazu, schon gar keine Entscheidung des Parlaments.
Am Ende könnte der Plan aber aufgehen. In Deutschland wurde das Grundgesetz so geändert, dass große Summen in die Verteidigung investiert werden können, ohne dass die hauseigene Schuldenbremse greift. Klar ist aber auch, dass eine enorme Kraftanstrengung nötig wäre, um dieses Fünf-Prozent-Ziel zu erreichen. Europas größte Wirtschaftsmacht scheiterte bisher regelmäßig an zwei Prozent.
Im vergangenen Jahr wurde diese Marke erstmals überschritten – allerdings mit viel Kreativität. Der NATO wurden auch Ausgaben gemeldet, die laut „RND“ nichts mit der unmittelbaren Landesverteidigung zu tun hatten. Etwa die Einberechnung von Versorgungsleistungen ehemaliger DDR-Soldaten. Diese Praxis ist alles andere als einzigartig: In den USA werden die Verteidigungsausgaben durch Gehälter und Pensionen für Soldaten massiv in die Höhe getrieben, in Italien die Ausgaben für die Carabinieri.
Rechentricks sollen Trump-Vorgabe
Das Fünf-Prozent-Ziel könnte neben konventioneller Aufrüstung ebenfalls auf Rechentricks basieren. Wadephuls Aussagen bauen auf einem Modell von NATO-Chef Mark Rutte auf.
Der Niederländer will die anvisierte Quote aufsplitten. 3,5 Prozent sollen in „echte“ Aufrüstung (Raketen, Panzer, etc.) fließen. Der Rest darf aus anderen Töpfen kommen, solange ein Verteidigungsbezug hergestellt werden kann. Soll heißen: Wenn eine Straße renoviert wird, auf der schon einmal Panzer transportiert wurden, darf das an die NATO gemeldet werden.
3,5 plus 1,5 ergibt immerhin die geforderten fünf Prozent von US-Präsident Trump. Denn eine harte Fünf-Prozent-Quote ist einfach nicht schaffbar für viele Mitglieder. Aus den USA kommen positive Signale in Sachen kreativer Buchhaltung. Der US-amerikanische NATO-Botschafter Matthew Whitaker sagte vor dem Ministertreffen in der Türkei, es sei ganz klar, dass es um mehr als nur Raketen, Panzer und Haubitzen, sondern auch um Dinge wie militärische Mobilität, notwendige Infrastruktur und Cybersicherheit gehe.
Mit Wadephuls Vorstoß übernehme Deutschland der NATO zufolge „wirkliche Führung“. Im Juni entscheidet sich, ob die selbstgewählte Rolle auch eine visionäre oder nur die Austragung interner Machtspiele war.
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