Rechtsruck in Europa

Haben wir denn aus der Geschichte nichts gelernt?

Leben
11.05.2025 16:23

Warum wählen 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr Menschen in Europa nationalistische und rechtsextreme Parteien, fragt sich Barbara Coudenhove-Kalergi. 1932 in Prag geboren, wurde sie mit ihrer Familie 1945 aus Böhmen vertrieben. In Österreich wurde die heute 93-Jährige, die auch bekannt ist, für ihre der Sozialdemokratie nahestehende Gesinnung, als TV-Journalistin und Osteuropa-Expertin berühmt.

Wenn wir heute an die Nazizeit denken, fallen uns zuallererst die schrecklichen Verbrechen ein, die in jener Epoche geschehen sind, und die Art, in der die Menschen an ihnen teilgenommen oder sich ihnen entgegengestellt haben. Entweder Kriegsverbrecher oder Widerstandskämpfer.

Wer diese Zeit als Kind oder Jugendlicher miterlebt hat, weiß es anders. Die allermeisten waren weder das eine noch das andere, sondern irgendetwas dazwischen. Bei uns zu Hause gab es zum Thema Nationalsozialismus drei Kategorien: ein bissl ein Nazi. Eher ein Nazi. Ein Mordsnazi.

Erst die Enkel fragten: Wie war es wirklich?
Unmittelbar nach 1945 regierte in Österreich das große Schweigen. Ich war bei Kriegsende dreizehn Jahre alt und habe in der Schule kein Wort über die Nazizeit gehört. Bis zu den großen Ferien sagte man Heil Hitler, und als im Herbst das neue Schuljahr begann, hieß es Grüß Gott. Verständlich, sagen die Experten. Die Erlebnisgeneration, Täter wie Opfer, und auch deren Kinder wollten das Geschehene am liebsten vergessen.

Es war einfach zu schlimm. Erst die Enkel fragten: Wie war es wirklich? Und erst die Urenkel, also die jetzt Jungen, gehen noch weiter und forschen in der eigenen Familie nach. Was hat der Uropa damals gemacht? Und wie hängt der Wohlstand unserer Familie mit den vielfachen Enteignungen damals zusammen?

All das führt natürlich zur Frage, was wir aus der Geschichte gelernt haben und wie es sein kann, dass heute in vielen Ländern, inklusive Österreich, Parteien im Vormarsch sind, die ähnliche Positionen vertreten wie die deutsche AfD, die nun vom deutschen Verfassungsgerichtshof als „gesichert rechtsextrem“ bezeichnet wird.

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Vieles heute erinnert an die Zustände in den Dreißigerjahren, als in Deutschland und anderswo der Faschismus Millionen faszinierte.

(Bild: ORF / First Look )

Barbara Coudenhove-Kalergi, TV-Journalistin und Osteuropa-Expertin

Auch hier gibt die Geschichte eine Antwort. Vieles heute erinnert an die Zustände in den Dreißigerjahren, als in Deutschland und anderswo der Faschismus Millionen faszinierte. Damals wie heute wurden Europa und Amerika von einer Wirtschaftskrise heimgesucht. Viele bangten um ihren Arbeitsplatz, verloren Einkommen und Wohnung, sahen manches, was sie bis dahin für sicher gehalten hatten, dahinschwinden. Und nicht nur Vermögen brachen zusammen, auch viele vermeintlich unerschütterliche Grundsätze und Werte galten auf einmal nicht mehr.

Unsicherheit macht Angst. Und Angst macht zornig, vor allem auf diejenigen, die an all dem Unglück angeblich schuld sind. Das sind in der Regel die sogenannten Eliten. Und diese sind, wenn man beispielsweise in die USA schaut, nicht etwa die Reichen, sondern die Gebildeten.

Die neuen Feindbilder
Das Feindbild der amerikanischen Ultrarechten sind nicht Milliardäre wie Donald Trump oder Elon Musk. Es sind die Harvard-Professoren, die „New York Times“-Journalisten, die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen. Trump ist „einer von uns“. Der Nobelpreisträger aus Harvard ist „ein Feind Amerikas“.

In Österreich sind die Hauptziele der Rechtspopulisten die Migranten und diejenigen, die diesen helfen. Dominik Nepp, Spitzenkandidat der FPÖ bei deren Wien-Wahlkampf, schilderte im Detail, was man mit dem Geld, das man Flüchtlingen und Zuwanderern zahlt, stattdessen alles für „unsere Leute“ tun könnte. „Preise senken, statt Asylmillionen verschenken.“

Auch hier gibt es Vorbilder aus der Vergangenheit. Aus dem beschlagnahmten jüdischen Vermögen wurden damals tatsächlich nicht nur Kriegsvorbereitungen, sondern auch allerlei Wohltaten für einheimische, arische Deutsche und Ostmärker finanziert.

Achtzig Jahre nach dem Ende der Naziherrschaft in Österreich stehen wir neuerlich vor einer Zeitenwende. Aber wir haben eine demokratische Regierung und eine wache Zivilgesellschaft, die aus der Vergangenheit gelernt haben.

Barbara Coudenhove-Kalergi

Porträt von Kronen Zeitung
Kronen Zeitung
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