Artgerecht muss sein

Porsche 718 GT4 RS: Himmel in der Hölle

Motor
27.09.2023 06:01

Die Grenze zwischen Sportwagen und Rennwagen verläuft irgendwo beim Porsche 718 Cayman GT4 RS. Der ist nicht einfach nur ein aufgemotzter Cayman, sondern die wohl günstigste Möglichkeit, den Vierliter-Saugboxer aus dem 911 GT3 zu bekommen - und auf Rennstrecken seiner Bestimmung zuzuführen. „Krone“-Motorredakteur Stephan Schätzl war mit dem GT4 RS (nicht nur) auf der Nordschleife unterwegs - seine Eindrücke hier im Video!

(Bild: kmm)

Um den Sechszylinder aus dem Heck des 911 GT3 in den engen Mittelmotor-Porsche verpflanzen zu können, war einiger Aufwand nötig. So mussten sie das Triebwerk umdrehen. Die Folge: Es wurde eine neue Ölversorgung notwendig, außerdem eine neue Luftversorgung und vor allem mussten sie die ganze Abgasanlage neu konzipieren und dabei viel längere Wege in Kauf nehmen. Das alles kostet 10 PS Leistung. Übrig bleiben 500 PS bei 8400 Umdrehungen und ein Drehmoment von 450 Nm bei 6750 Touren. Bei 9000 Touren greift der Begrenzer.

Die undezente Optik hat einen Sinn
Fetter Heckflügel mit Schwanenhalsaufhängung vom 911 GT3, tief heruntergezogene Frontschürze mit Splitter und seitlichen Blades, Lufteinlässe sonder Zahl, ein auffälliger Diffusor am Heck - flüchtig betrachtet könnte man diesen Porsche glatt für einen Poser halten. Doch das ist eine Fehleinschätzung, trotz gehobener Headturner-Qualitäten.

Ohne Luft ist alles nichts
Splitter und Flügel sind vier- bzw. dreifach einstellbar und sorgen in der performantesten Position für 25 Prozent mehr Abtrieb als beim Cayman GT4 ohne den Zusatz RS. Der glatte Unterboden erzeugt mit dem Diffusor einen Unterdruck, der das Auto praktisch auf den Boden saugt. Die Louvers genannten Lamellen auf den vorderen Kotflügeln (ähnlich wie beim GT3 RS) verhindern Überdruck und damit Auftrieb in den Radhäusern aufbauen.

Die sogenannten NACA-Lufteinlässe auf der Carbon-Fronthaube wurden nötig, weil die Bremsscheiben im Vergleich zum GT4 kräftig gewachsen sind. Statt 380 Millimeter messen sie standardmäßig jetzt 408 Millimeter, die optionalen Carbon-Keramik-Bremsen sogar 410 mm. Die hinteren Scheiben stammen vom GT3, sie haben in der Standardversion 380 Millimeter, in Carbon 390 Millimeter Durchmesser.

Das Ärgste in Sachen Luftführung sind aber die Ansaugtrichter, die Porsche statt der hinteren Seitenfenstern eingebaut hat und die direkt in die Airbox führen, gleich hinter den Ohren von Fahrer und Beifahrer. Sie sorgen für ein brachiales Getöse, sobald man einigermaßen Drehzahl abruft, und können durchaus als Grund gelten, das serienmäßige Navitainment von Haus aus abzubestellen. Das verringert zwar nicht den Kaufpreis, aber das Gewicht um sechs Kilogramm.

War leicht was?
Apropos Gewicht: Der GT4 RS ist konsequent auf Leichtbau getrimmt. Die Schlaufen statt Türgriffen mögen dafür ein Indiz sein. Insgesamt ist er mit 1415 genau 35 Kilogramm leichter als der GT4, weil: Fronthaube und -kotflügel aus CfK, Heckscheibe aus Leichtbau-Glas, Verzicht auf eine Menge Dämmmaterial, kein Sichtschutz im hinteren Kofferraum, besonders dünne Teppiche.

(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)

Der Testwagen hier im Video ist allerdings schwerer, konkret bringt er 1525 Kilogramm auf die Waage. Dazu tragen der 90 statt 54 Liter große Tank und das Clubsportpaket samt Überrollbügel bei. Außerdem bringt er das optionale Liftsystem mit, das die Vorderachse auf Knopfdruck um drei Zentimeter anhebt - für Tiefgaragenrampen, Schwellen und Randsteine. Am Splitter bringt das 4,5 Zentimeter mehr Bodenfreiheit (an der flachsten Stelle 15,5 statt 11 Zentimeter.

Tief liegen oder tieffliegen?
Der GT4 RS liegt drei Zentimeter tiefer als der Standard-Cayman, er ist 1,27 Meter hoch. Damit ist er 12 Millimeter flacher als der 911 GT3. Außerdem drei Zentimeter schmaler und zwei Zentimeter kürzer. Im Vergleich zum GT4 ist das Fahrwerk des RS ist weiter verschärft worden: Die Spur ist vorn 6 mm breiter, hinten 8 Millimeter, und hinten haben sie auch den Sturz um ein Viertel Grad erhöht. Spur, Sturz und Stabilisatoren sind für den Rennstreckeneinsatz zusätzlich einstellbar.

20-Zoll-Aluschmiederäder sind Serie, an den gelben Bremssätteln erkennt man die Keramikbremsen. Und an den Löchern, weil die Serienscheiben sind nicht gelocht, sondern gesenkt, sie haben also kleine Dellen. Optional gibt’s (in Verbindung mit dem Weissach-Paket) Magnesiumräder, die insgesamt 10 kg leichter sind. Die Reifen sind breit, aber dann doch relativ schmal. Vorn 245er, hinten 295er. Das kostet im Vergleich zum GT3 wahrscheinlich am meisten Performance.

(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)

Die Vorderachse stammt aus dem Vorgängermodell des 911 GT3, dem 991.2. Die Hauptfedern haben sogenannte Helperfedern, die sie auf Zug halten, wenn sie eigentlich entlastet sind. Adaptive Dämpfer sind serienmäßig. An allen Verbindungsstellen im Fahrwerk sorgen Kugelgelenke für eine besonders straffe Anbindung an die Karosserie.

An der Hinterachse sitzt das mechanische Sperrdifferenzial aus dem handgeschalteten GT3 (der mit Automatik besitzt ein elektronisch geregeltes), unterstützt vom Torque Vectoring durch gezielte Bremseingriffe.

(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)

Starten, Gas - und los!
Herrlich klassisch steckt man links den Zündschlüssel ins Schloss und dreht ihn. Der Boxer meldet sich leicht heiser zu Wort. Drückt man die Auspufftaste, kommt ein tiefer Bass dazu. So lässt es sich einigermaßen angenehm und ohne Lärmerregung durch städtische Straßen rollen. Bis gut 3000 Touren bleibt der Sound noch harmlos, darüber wird es richtig laut. Jeder Gasstoß fährt direkt in die Ohren.

Aber so weit sind wir noch nicht. Derweil erfreuen wir uns noch an den adaptiven Dämpfern, die zwar auch in der harmlosen Stellung nicht wirklich komfortabel sind, aber stressfreies Fahren doch unterstützen. Bei sportlicher Fahrweise verhärten sie sich von selbst, am besten stellt man sie aber bei Bedarf direkt auf Sport.

Im Alltag ist er insgesamt zu unpraktisch und unkomfortabel, da braucht es Leidensfähigkeit. Öffentliche Straßen sind nicht das richtige Metier für den Porsche 718 Cayman GT4 RS, er giert nach Rennstrecken und nimmt Straßen als Verbindungsetappen. Gerne auch schnell. Maximal läuft er 315 km/h, der Sprint auf 100 gelingt in 3,4 Sekunden, der auf 200 in 10,9 Sekunden. Der Alltags-Verbrauch betrug im Test durchschnittlich zwölfeinhalb Liter - das ist sogar weniger als der WLTP-Verbrauch von 13,2 l/100 km. Wichtig: Den großen Tank (90 Liter) mitbestellen, denn mit 54 Litern kommt man nicht weit. Zumal im Rennstreckenbetrieb rund 30 Liter durch die Leitungen rauschen.

„Krone“-Motorredakteur Stephan Schätzl im Porsche 718 Cayman GT4 RS (Bild: Rossen Gargolov)
„Krone“-Motorredakteur Stephan Schätzl im Porsche 718 Cayman GT4 RS
(Bild: Rossen Gargolov)
(Bild: Rossen Gargolov)

Himmlisch in der Grünen Hölle
Rollt man auf den Asphalt einer Rennstrecke - in diesem Fall war die Nordschleife des Nürburgrings - ist es beinahe so, als würde etwas einrasten. Klick! Hier ist der RS in seinem Element. Hier darf er schreien, hier will man, dass er schreit. Der Motor beschleunigt gleichmäßig und unerbittlich und hängt so sauber am Gas, dass man meint, jede der sechs Drosselklappen einzeln ansteuern zu können (es gibt zusätzlich eine zentrale Drosselklappe, die aber in der Regel offen bleibt).

Immer wieder ist man von der Leichtigkeit des Hochdrehens so überrascht, dass man im Begrenzer landet, weil man verpasst, rechtzeitig am Paddle oder am Schalthebel zu ziehen. Blitzschnell schaltet das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe, knallt die Gänge rein, während die nächste Kurve auf einen zu rast.

Die Keramikbremsen sind Anker, allerdings sehr gut dosierbare, sie lassen nicht nach, jedenfalls nicht früher als die Aufmerksamkeit des Fahrers. Die Lenkung vermittelt ein unfassbares Gefühl für jeden Zentimeter, jede Kerbe, jeden Riss des Asphalts, wird aber auch nicht unruhig, wenn man wild über die Curbs drüberbrettert. Man spürt nur ganz genau, was passiert. Hat was von Barfußgehen. Der Wagen lenkt präzise ein, die Reifen folgen dem Wunsch des Fahrers, beim Rausbeschleunigen kommt von hinten pure Traktion.

Eingriff nur im Notfall
Porsches Maxime, Autos so gut abzustimmen, dass elektronische Helfer nicht eingreifen müssen, funktioniert. Und sie nehmen den Fahrer ernst. Daher muss man nicht einmal DSC und Traktionskontrolle abschalten (es gibt je eine Taste dafür). Die Systeme regeln tatsächlich erst dann, wenn es wirklich notwendig ist, also wenn man einen Fehler gemacht oder es schlicht übertrieben hat (was auch ein Fehler ist).

Runde um Runde steigt das Vertrauen, der GT4 gibt so viel Sicherheit, weil er nichts im Unklaren lässt. Dadurch ist es mit ihm verhältnismäßig leicht, schnell zu fahren. Sittliche Reife vorausgesetzt, denn die Physik überwindet auch der GT4 RS nicht. Er liegt wie ein Brett, als würde er sich wirklich an den Asphalt saugen. Man muss das mal erlebt haben, wenn man glaubt, man hätte eine sportliche Limousine in der Garage stehen. Nach einer Fahrt in diesem Porsche wird man seine Einschätzung vielleicht überdenken.

(Bild: Stephan Schätzl)

Der Preis
Der Porsche 718 Cayman GT4 RS ist ab knapp 220.000 Euro zu haben. Der Testwagen kostet gut 250.000 Euro, inklusive knapp 60.000 Euro NoVA (39 Prozent). Basispreis für den Porsche 911 GT3: 268.000 Euro.

Fahrzit
Was für ein Auto! Der GT4 RS ist kein Poser, sondern knallhart kompromisslos und wirklich schnell. Klar kann man mit ihm auch posen, aber dazu ist er eigentlich zu schade. Dass ihm zum GT3 10 PS und 20 Newtonmeter fehlen, geschenkt. Auf der Nordschleife fehlen ihm gerade mal 10 Sekunden (Rekordzeit: 7:09,300 Minuten für die 20,832 Kilometer lange Strecke). Dafür aber 50.000 Euro beim Basispreis. Von einem Schnäppchen kann man zwar trotzdem nicht reden - aber von viel Auto, viel Spaß und viel Rennstreckenpotential fürs Geld. Denn genau dafür ist er gemacht, dieser Mittelmotorsportler mit Hinterradantrieb. Er bietet beste Voraussetzungen für ambitionierte Fahrer, die sich bei Track Days und Fahrtrainings verbessern wollen. Wer nicht schneller wird, kann das Auto nicht als Ausrede hernehmen. Außer er versteht seinen Instruktor über das Funkgerät nicht.

Warum?
Extrem starkes Fahrverhalten
Bestechende Lenkung
Linearer, kraftvoller Motor

Warum nicht?
Wenn man nicht auf die Rennstrecke will

Oder vielleicht ...
... gleich die Clubsportversion bestellen - und wirklich Rennen fahren

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(Bild: kmm)



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