Winter wird bitterkalt

Rotkreuzler in Kiew: „Angst vor morgen ist zurück“

Ukraine-Krieg
13.10.2022 06:00

Straßenlärm am Nachmittag auf einer großen, belebten Kreuzung. Teilweise schlechte Verbindung. Über den Kriegsalltag in Kiew spricht Jürgen Högl, Einsatzleiter des Roten Kreuzes, im „Krone“-Interview.

„Krone“: Durch die neuerlichen Bombardierungen ist die Angst zurückgekommen. Zivilisten suchen Schutz in U-Bahn-Stationen. Wie sah der Alltag vor den erneuten Angriffen aus?
Jürgen Högl: Kiew hat in den letzten Monaten tatsächlich in den Alltag zurückgefunden, Menschen sind rausgegangen, haben Cafés und Restaurants besucht, diese Stadt hat ja viel Flair. Nach den Attacken von Montag war die Angst zurück. Montag und Dienstag waren unüblich ruhig, die Beleuchtungen auf den Straßen waren abgeschaltet, es war einfach finster.

Wie sieht der Alltag nun aus? Gibt es überhaupt einen Alltag?
In der Bevölkerung merkt man: Das permanente Wachsam-Sein ist wieder da. Heute früh flog ein Flugzeug vorbei und alle haben zum Himmel gestarrt und sind zusammengezuckt. Nun ist der „Alltag“ zurück: Geschäfte haben geöffnet, Menschen gehen aus. Gestern Abend hatte ein Supermarkt geöffnet, da haben Menschen für den Fall, dass man wieder längere Zeit im Schutzraum verbringen muss, auf Vorrat eingekauft. Die Angst vor morgen ist zurück.

Wie geht es Ihnen? Wie fühlt sich die Situation an?
Ich bin kein gutes Beispiel, für mich ist das normal, in Ausnahmesituationen zu arbeiten. Na ja, ich bin am Montag früh, als der Luftalarm losging, auf meinem Balkon gestanden und man hat das klassische Zischen von Raketen am Himmel gehört. Man muss sich das vorstellen wie eine große Feuerwerksrakete. Ich habe Zuflucht in meinem Badezimmer gesucht und zehn Sekunden später die Detonation gehört. Am Weg in den Schutzraum sah ich die Rauchsäulen von zehn Kilometer Entfernung. Da habe ich mir gedacht: Der Krieg ist zurück in der Stadt.

Wie geht es den Menschen um Sie herum?
Die Menschen sind gefasst und vorbereitet. Die Ukrainer wissen, dass der Krieg noch lange dauern wird. Trotzdem ist es für viele ein schockierendes Erlebnis, wenn mitten in der Stadt oder auf einem Kinderspielplatz Raketen einschlagen.

Was glauben Sie, wie wird es weitergehen?
Wir gehen davon aus, dass es in den nächsten Tagen weiterhin Angriffe geben wird, jedoch mit einer verminderten Intensität im Vergleich zu Montag. Für uns ist relevant, dass der Winter naht. Der Winter in der Ukraine ist bitterkalt, und es ist zu befürchten, dass er nicht nur draußen, sondern auch in den Wohnungen bitterkalt wird. Die Angriffe kommen gezielt auf kritische Infrastruktur und das führt zu Stromausfällen.

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Wir müssen sicherstellen, dass Menschen nicht in kalten, dunklen Notunterkünften sitzen müssen, sondern auch in den halbwegs warmen Wohnungen leben können.

Einsatzleiter Högl über bevorstehenden Winter

Wie sieht es mit der Stromversorgung aus - kommen Sie zurecht?
Die Angriffe von Montag haben zu Stromausfällen geführt. In 3900 Städten und Gemeinden sogar zu flächendeckenden Blackouts. Mittlerweile ist die Stromversorgung in den meisten Gemeinden wieder hergestellt, aber es gibt weniger Strom als zuvor. Auch hier in Kiew kommt es zu routinemäßigen Stromabschaltungen, alle paar Stunden ist ein Stadtteil ohne Strom. Die Regierung hat die Bewohner aufgefordert, in den Abendstunden den Stromverbrauch massiv einzuschränken und beispielsweise keine Waschmaschinen einzuschalten.

Gibt es Engpässe? Fehlt es Ihnen an Lebensmitteln und Wasser?
Die Wasserversorgung ist an den Strom gebunden, der in einzelnen Gemeinden nicht sichergestellt ist. Vor allem im Osten und Süden, wo aktiver Konflikt herrscht. In Orten wie Donezk und Luhansk leben die Menschen seit Monaten ohne Strom und Wasser. Da musst du eine Wasserquelle finden oder auf die Notwasserversorgung von Tankwägen zurückgreifen. Vor Kurzem war ich in Tschernihiw, in dem Kampfgebiet, von wo aus die Russen am Anfang Richtung Kiew marschiert sind. Dort hab ich mit Bewohnern gesprochen, die bis heute kein Warmwasser haben. Die Lebensmittel- und Wasserversorgung in Kiew hingegen funktionieren, und in den Kampfgebieten gibt es Hilfsprogramme wie Lebensmittelpakete.

Wie kann man aus Österreich helfen?
Wichtig ist, die Solidarität mit diesem Land und der Bevölkerung aufrechtzuerhalten und weiterhin zu spenden. Die Hilfe kommt an! Und nicht vergessen: Trotz der Tatsache, dass auf ganz Europa ein harter Winter zukommt, wird dieses Land einen härteren erleben.

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