Walter Fink

„Ich hatte wenigstens Interesse am Beruf“

Vorarlberg
25.09.2022 11:25

In seiner Reihe „Hier war ich glücklich“ begleitet Robert Schneider Vorarlberger an die Lieblingsplätze ihrer Kindheit. Am Ufer des Bodensees traf er vor einigen Tagen den legendären ORF-Journalisten Walter Fink.

Auf die Frage, wann der Bodensee für ihn am schönsten sei, antwortet er mit dem Martin-Walser-Zitat: „Der Himmel stimmt immer mit dem See überein.“ Für Walter Fink, den legendären Kulturvermittler Vorarlbergs, ist der Bodensee das, was ihn zu einem ganzen Menschen macht. „Diese Landschaft hat Harmonie, ob der See jetzt in fast mediterraner Bläue vor mir liegt, im schwärzesten Gewitter oder an einem neblig-trüben Novembertag. Manchmal, wenn mich Sorgen gedrückt haben, bin ich einfach nur ganz weit hinausgeschwommen. Ich war ein guter Schwimmer, ob Du es glaubst oder nicht. Da war dann plötzlich nichts mehr. Nur ich und der Bodensee. Nie bin ich ohne eine Lösung im Kopf ans Ufer zurückgekehrt oder wenigstens getröstet.“ Wir sind im Restaurant Kornmesser in Bregenz zum Gespräch verabredet. Ich kann mich nicht erinnern, Walter Fink jemals ohne sein weit aufgeknöpftes, weißes Hemd gesehen zu haben.

Auch heute sitzt der nunmehr 77-Jährige so vor mir da, auf der Sonnenterrasse, obwohl die Luft eisig kalt ist. Sein weißes, dichtes Haar, der Rauschebart, das dünne Hemd, bei dessen Anblick es einen fröstelt - das ist Walter Fink, der besinnungslos in die griechische Antike Verliebte, der Streitbare, der Gefürchtete, der das Kunststück zuwege brachte, seine Stimme in zwei Medien zu erheben, die einander einmal spinnefeind waren. „Das hat sich zwischenzeitlich geändert“, sagt er, „aber damals musste ich jedes Jahr beim Generaldirektor des ORF anrufen, ob ich Kolumnen für die Zeitung schreiben darf.“ Geboren in den letzten Kriegstagen in Bregenz - Franz Michael Felder ist sein Urgroßvater -, wuchs Fink die ersten Lebensjahre in einer noch vollkommen bäuerlich geprägten Welt in Bezau auf. „Bezau hat für mich etwas geradezu mythisch Verklärtes“, erzählt er. „Es gab da einen Bauern, auf dessen Heuwagen ich hinaufkletterte und das Heu treten durfte. Wenn er dann durchs Dorf gefahren ist - ich auf dem Heuwagen -, fühlte ich mich ganz groß und glaubte, jeder sieht mir jetzt zu und staunt über mich.“

Robert Schneider:Das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, war also schon eine Art Lebensmotor?
Walter Fink: Sagen wir so: Die Selbsteinschätzung war damals sehr ausgeprägt. Das habe ich auch bald zu spüren bekommen, denn der Deutschlehrer hat mich schon in der zweiten Klasse Gymnasium fliegen lassen, allerdings mit Ankündigung. Am Beginn des Schuljahres sagte er: „Fink, Du bleibst sitzen.“ In der vierten Klasse war das Lehrerkollegium dann einhellig der Meinung, der Fink sei jetzt lange genug ins Gymnasium gegangen, und so wurde ich entfernt. Schule hat mich nie interessiert. Mich haben bestimmte Dinge interessiert, aber die konnte man dort nicht vertiefen. Also habe ich eine Lehre zum Schriftsetzer gemacht, endlos einzelne Bleilettern zur vollständigen Form einer Buchseite zusammengesetzt. Als die Lehre fertig war, gab es den Beruf nicht mehr. Mein erstes Gehalt ging für die Gautschfeier drauf

Schneider: Gautsch, was?
Fink: Das sogenannte Gautschen war ein uralter Brauch bei Buchdruckern und Schriftsetzern, bei dem ein Lehrling nach bestandener Abschlussprüfung in einen Brunnen geworfen wurde. Eigentlich kam mir das alles sehr zupass. Auch Schriftsetzer war nicht wirklich meins. Das ist nicht mein Leben, dachte ich. So bist du nicht. Das kann nicht der Endpunkt meines Wissens sein.

Schneider: Woher rührt der Impuls, der Dich ins kulturelle Leben geführt hat?
Fink: Ich bin in einem Haus aufgewachsen, wo Dichtung nicht belächelt wurde, sondern verehrt. Als junger Mensch dachte ich noch, ich werde Dichter. Es hat sich aber bald herausgestellt, dass ich das schlichtweg nicht kann. Die Affinität zu Literatur war immer da. Hängt vielleicht mit meinem Urgroßvater zusammen. Die Kunst kam später, durch Persönlichkeiten wie Hubert Berchtold, Walter Khüny und ganz besonders Herbert Albrecht, den ich geliebt und verehrt habe und dem ich lebenslang in tiefer Freundschaft verbunden war. Jedenfalls habe ich doch noch die Matura nachgeholt, studiert und schließlich einen Verlag gegründet, der ein hochvermintes Land beackerte, über das niemand gehen wollte - die jüngste Zeitgeschichte Vorarlbergs. Zwischenkriegszeit, Nationalsozialismus. Das war damals wichtig, weil es bis dahin in Vorarlberg praktisch keine Aufarbeitung gab. Junge Historiker wie Harald Walser oder Meinrad Pichler haben den Finger in die Wunde gelegt. Sie alle haben bei mir publiziert. Da konnte man plötzlich Dinge lesen, die unglaublich waren. Das war eine spannende Zeit.

Schneider: Trotzdem erlitt der Verlag Schiffbruch.
Fink: Das war ein teures Unternehmen. Ich war Verleger, Lektor und Finanzier zugleich. Aber ich bereue keine einzige Minute in diesem Verlag. Damals war ich allerdings schon beim ORF und bei der NEUEN. Und dann wurde meine Frau sehr schwer krank. Wenn mich der damalige Landesintendant Leonhard Paulmichl nicht so fürsorglich aufgefangen hätte - ich wüsste nicht, was aus mir geworden wäre.

Schneider: Du hast deine Frau über Jahre liebevoll gepflegt.
Fink: Sie war meine Frau, meine Liebe. Gestern fuhr ich mit Leuten von der Hospizbewegung auf den Bodensee hinaus. Ich weiß, was diese Männer und Frauen leisten. Ich weiß es wirklich. Wir haben gemeinsam eine wunderbare Zeit auf dem See verbracht.

Schneider: Lange, lange warst Du Chef der Kulturabteilung des ORF-Vorarlberg, hast dort Ausstellungen kuratiert, warst eine stets streitbare Persönlichkeit. Viele haben Dich gefürchtet. Wieso?
Fink: Stimmt. Ich war schon von ausgesuchter Bösartigkeit. Besonders in meiner sonntäglichen Hörfunksendung „Tendenzen“. Da konnten dann schon Sätze fallen wie: Jeder Schritt in die Ausstellung XY ist vertane Zeit. Das hat natürlich enorm polarisiert. Auch von meinen Mitarbeitern habe ich immer verlangt, ihre klare Meinung zu der oder jener Kulturveranstaltung zu äußern. Darum geht es doch, dass man als Journalist Position bezieht. Aber das ist heute so selten geworden. Keiner will dem Anderen weh tun. Das hat jedoch nichts mit Objektivität zu tun.

Schneider: Ist Kulturberichterstattung obsolet geworden?
Fink: Das glaube ich nicht. Anders gesagt: Ich will es nicht glauben.

Schneider: Was, Walter, bleibt, wenn Du auf dein Leben zurückblickst?
Fink: Ich bilde mir weiß Gott nicht ein, ein großartiger Journalist gewesen zu sein, aber eines kann ich mit Gewissheit sagen: Ich hatte wenigstens Interesse an meinem Beruf, und ich mochte die Menschen.

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