Eine aktuelle EU-Erhebung zeigt: Kinderarmut in Österreich bleibt auf hohem Niveau. Die Volkshilfe Vorarlberg warnt vor sozialer Ausgrenzung, kritisiert die Wohnpolitik des Landes und fordert gezielte Maßnahmen gegen Kinderarmut.
Wenn der Geburtstag ausfällt, weil kein Geld für einen Kuchen da ist. Wenn ein Kind nicht mit zur Skiwoche darf, weil die Eltern sich den Beitrag nicht leisten können. Wenn das Kind in der Klasse still bleibt, weil es die Aufgabe an der Tafel nicht lesen kann, weil zu Hause das Geld für eine neue Brille fehlt – dann hat Armut längst auch das Kinderzimmer erreicht. In Vorarlberg ist das für viele Familien traurige Realität – auch wenn diese oft im Verborgenen bleibt.
Die aktuelle EU-SILC-Erhebung zur Armutsgefährdung in Österreich zeichnet ein deutliches Bild, doch konkrete Zahlen für Vorarlberg fehlen nach wie vor. „Die Landesregierung erhebt hier nichts oder veröffentlicht keine Daten“, kritisiert Anton Schäfer, Geschäftsführer der Volkshilfe Vorarlberg. Die Organisation stützt sich daher auf Erfahrungswerte und Schätzungen – und die sind alarmierend. „Wir sehen eine hohe Zahl an Anfragen und einen klaren Trend, dass immer mehr Klienten von anderen Organisationen zu uns geschickt werden“, berichtet Schäfer. Es wird geschätzt, dass bis zu 26.000 Kinder und Jugendliche im Land arm oder armutsgefährdet sind. Die Volkshilfe Vorarlberg schlägt deshalb Alarm und stemmt sich gegen das Wegsehen.
Erdrückende Lebenshaltungskosten
Besonders betroffen seien Familien mit niedrigen Einkommen – nicht zuletzt wegen der hohen Lebenshaltungskosten in Vorarlberg. Im Vergleich zu anderen Bundesländern stechen vor allem die teuren Mieten negativ hervor. „Die Wohnkosten fressen einen großen Teil des Haushaltseinkommens auf“, erklärt Schäfer. „Leider fällt der Vorarlberger Landesregierung in diesem Zusammenhang nicht viel mehr ein, als diese hohen Mieten privater Vermieter mit Steuergeld, also mit Miet- und Heizkostenzuschüssen, auch noch zu unterstützen.“
Die soziale Ausgrenzung beginnt früh – und bleibt häufig im Verborgenen. „Armut sieht man bei uns nicht auf der Straße. Diese zeigt sich in der Schule, wenn Kinder kein passendes Schuhwerk haben oder nicht an Landwochen teilnehmen können.“ Lehrer und Ärzte sind oft die Ersten, die solche Defizite bemerken.
Die Zuständigen der Volkshilfe versuchen, mit Projekten wie „Soziale Teilhabe“ gegenzusteuern. Unterstützt werden Kinder etwa mit Zuschüssen für Lernmaterialien oder medizinische Leistungen wie Zahnspangen.
Spardruck bei Hilfsorganisationen
Verschärft werde die Lage durch aktuelle Einsparungen im Sozial- und Gesundheitsbereich des Landes. Schäfer spricht von einem „Verdrängungseffekt“, bei dem mehr Menschen bei der Volkshilfe landen, weil andere Einrichtungen an ihre Grenzen stoßen. Die Volkshilfe arbeitet ohne finanzielle Unterstützung durch das Land Vorarlberg – und das seit 71 Jahren. Doch derzeit nimmt auch das Spendenaufkommen ab, was neue Initiativen notwendig macht. Eines dieser Projekte ist „Pfandflaschen retten Kinder“, bei dem in dafür extra bereitgestellten Containern bei Betrieben Pfandgebinde gesammelt werden, um Projekte gegen Kinderarmut zu finanzieren. Bregenz testet das Modell derzeit als erste Region.
Mutige Reformen beim Wohnen sind gefragt
Zentral für eine nachhaltige Lösung hält Schäfer die rasche Umsetzung einer sozial treffsicheren Kindergrundsicherung. „Wenn diese richtig gemacht ist, hilft sie denjenigen, die es wirklich brauchen. Aber sie muss von weiteren Maßnahmen begleitet werden – etwa einer Wohnbauoffensive. Wenn Wohnen und Essen unleistbar werden, hilft auch eine Kindergrundsicherung oder mehr Kindergeld nichts“, meint Schäfer. Dass der Geschäftsführer der Wohnbaugesellschaft „Vogewosi“ öffentlich erklärt habe, es gebe keinen Wohnungsnotstand und 600 neue Wohnungen pro Jahr reichten aus, hält Schäfer für realitätsfremd. „Wo genau lebt der?“, fragt er.
„Die Sparmaßnahmen bei der Förderung von gemeinnützigem Wohnbau verstärken zudem nur die Rezession, was eigentlich jedem Politiker klar sein sollte.“ Seine Forderung an die Landesregierung ist klar: „Es braucht Mut und Willen, auch den Einfluss bestimmter Interessensgruppen bei der ungehinderten Erhöhung von Mieten, etwa durch Wohnbauunternehmen, zu begrenzen.“ Neben einem Ausbau des sozialen Wohnbaus fordert Schäfer Kredite direkt vom Land an einkommensschwache Haushalte, um Wohneigentum schaffen zu können, sowie Preisregulierungen im Lebensmittelbereich und Förderung regionaler Produzenten.
Es braucht Mut und den Willen, den Einfluss bestimmter Interessensgruppen bei der ungehinderten Erhöhung von Mieten zu begrenzen.
Anton Schäfer, GF Volkshilfe Vorarlberg
Bild: Philipp Vondrak
Die Erkenntnisse der EU-SILC-Erhebung sind deutlich – ebenso wie die Forderungen aus der Praxis. Es liegt nun an der Politik, aus Daten und Analysen Taten folgen zu lassen. Denn jedes Kind, das in Armut aufwächst, zahlt doppelt: mit schlechteren Chancen heute – und einer unsicheren Zukunft morgen.
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