Schauspielhaus Graz

Das Tribunal der Thesen spielt mit Leben und Tod

Steiermark
05.02.2022 19:00

Die schweren Entscheidungen muss bei Starautor Ferdinand von Schirach meist das Publikum treffen. Auch in dem 2020 uraufgeführten und wenig später erfolgreich verfilmten Stück „Gott“ entscheiden am Ende die Zuseher: Sollen Ärzte einem 78-Jährigen, der gesund aber seines Lebens müde ist, helfen aus dem Leben zu scheiden? Nun ist das Stück am Schauspielhaus Graz zu sehen.

Ein Pfarrer, ein Arzt und eine Juristin kommen in ein Auditorium - nein, es handelt sich hier nicht um einen Witz, ganz im Gegenteil beginnt so ein theatraler Diskursabend, bei dem eine Frage von Leben und Tod verhandelt wird. Die fiktive „Ethikkommission Österreich“ nämlich hat sich ins Schauspielhaus eingemietet, um hier die Bürger an einer Entscheidung zu beteiligen.

Selbstbestimmt aus dem Leben scheiden
Der 78-jährige Architekt Richard Gärtner (Gerhard Balluch) möchte mithilfe eines von Ärzten verschriebenen Medikaments selbstbestimmt aus dem Leben scheiden. Krank ist er nicht, aber nachdem er seine Frau qualvoll sterben sehen hat, möchte er sich das ersparen. Doch darf er das überhaupt? Und soll ihm seine Ärztin (Steffi Krautz) dabei helfen?

In einer Art Tribunal werden die Thesen für und wider seines Wunsches vorgetragen: Eine Juristin (Birte Leest), ein Mediziner (Fredrik Jan Hoffmann) sowie ein Prälat (Clemens Maria Riegler) werden als Sachverständige vorgeladen und von einer Expertin der Ethikkommission (Evamaria Salcher) und dem Anwalt von Gärtner (Matthias Lodd) befragt. Recht kühl und sachlich werden rechtliche, medizinische und moralische Fragen abgehandelt, ja wie Thesen an die vierte Wand des Theaters geheftet.

Thesen als Stärke und Schwäche
Diese Thesenhaftigkeit ist zugleich die große Stärke und die große Schwäche dieses Abends. Einerseits bekommt man die komplexen und ambivalenten Denkansätze zum Thema Sterbehilfe selten so verdichtet vorgetragen, kann sich damit auseinandersetzen und sich eine Meinung bilden. Andererseits bleiben die Figuren dadurch sehr flach. Sie sind nicht mehr sind, als die These, die sie vertreten, daran kann auch Regisseur Bernd Mottl mit seiner konzisen Inszenierung nichts ändern. Einzige Ausnahme (und hier erkennt man, dass Schirach auch als Strafverteidiger tätig war) ist der Anwalt, der im intellektuellen und moralischen Duell mit den Sachverständigen auch mit Süffisanz punkten darf: ein gefundenes Fressen für Lodd.

Das Resultat der Abstimmung bei der Premiere: 57 Prozent der Zuseher sind dafür, dass Gärtner das tödliche Medikament bekommt. Doch mit dem Applaus ist dieser Abend nicht zu Ende. In Wahrheit beginnt er erst richtig, weil das Publikum die sachliche Diskussion nun auch mit eigenen Emotionen füllen kann.

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