Von der Leyen droht:

Polen: Corona-Hilfen nur bei unabhängiger Justiz

Ausland
19.10.2021 15:23

Ursula von der Leyen hat am Dienstag im Europaparlament in Straßburg Polen wegen des Infragestellens von EU-Recht schwere Sanktionen angedroht. „Wir können und wir werden es nicht zulassen, dass unsere gemeinsamen Werte aufs Spiel gesetzt werden“, sagte die „sehr besorgte“ EU-Kommissionspräsidentin am Dienstag in einer Debatte mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki. Als Konsequenz will von der Leyen milliardenschwere Corona-Hilfen so lange blockieren, bis das Land bestimmte Justizreformen zurückgenommen hat. Morawiecki wiederum ortete „Erpressung“.

Von der Leyen betonte in ihrem Statement: „Die Europäische Kommission schaut sich das Urteil derzeit genau an. Und ich kann Ihnen sagen, ich bin sehr besorgt.“ Die Unabhängigkeit der Justiz müsse wiederhergestellt werden. „Dazu zählt der Abbau der Disziplinarkammer, der Abbau des Disziplinarregimes, die Wiedereinsetzung der unrechtmäßig entlassenen Richterinnen und Richter. Das ist die Grundvoraussetzung.“ Morawiecki habe dies angekündigt, sagte von der Leyen, und forderte: „Tun Sie es.“

Polen hatte seinen Corona-Aufbauplan im Mai eingereicht. Um Geld aus der sogenannten sogenannte Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF) der EU zu erhalten, müssen EU-Staaten einen Plan mit Investitions-und Reformvorhaben vorlegen, der eigentlich innerhalb von zwei Monaten von der Kommission beurteilt wird. Die Genehmigung des Plans von Polen wurde allerdings verschoben. Nach derzeitigen Berechnungen soll das Land insgesamt 23,9 Milliarden Euro an Zuschüssen und zusätzlich auch noch Kredite erhalten.

In der Auseinandersetzung mit Polen gab von der Leyen sich nach mehr als vierstündiger Debatte im Parlament entschlossen. „Wir werden die Rechtsstaatlichkeit und die Verträge der Europäischen Union verteidigen, mit allen Mitteln.“ Die EU-Kommission werde jedoch klare Prozessschritte einhalten. „Ja, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit sind langsamer als die Autokratien, weil sie alle anhören, bevor ein Urteil gefällt wird oder eine Lösung gefunden wird. Aber genau das unterscheidet uns ja von den Autokraten und den Diktatoren dieser Welt.“

Mit Blick auf das jüngste Urteil des polnischen Verfassungsgerichts sagte die CDU-Politikerin: „Es ist ein einmaliger Vorgang, dass ein Verfassungsgericht eines Mitgliedstaats Artikel des europäischen Vertrages infrage stellt. Das trifft mitten ins Mark der Rechtsstaatlichkeit. Das hat es so noch nicht gegeben.“ Das Verfassungsgericht lege die „Axt an die europäischen Verträge“.

Morawiecki wirft EU „Erpressung“ vor
Morawiecki witterte einen Erpressungsversuch: „Ich bin nicht damit einverstanden, dass Politiker Polen erpressen wollen und Polen drohen. Die Kompetenzen der EU haben ihre Grenzen, wir können nicht länger schweigen, wenn sie überschritten werden“. Die EU-Mitgliedsländer müssten Instrumente haben, um auf diese Entwicklung zu reagieren. Morawiecki zitierte aus Urteilen des Obersten Gerichtshofes in den Niederlanden, des französischen Verfassungsrats und des deutschen Bundesverfassungsgerichts, um seinen Standpunkt zu untermauern.

Einigung nicht in Sicht
Eine Einigung ist bisher nicht in Sicht. Kurz vor der Debatte im Europaparlament verschärfte Morawiecki den Ton in der Debatte um die Kompetenzen in der EU sogar noch einmal. In einem Brief an die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten warnte er, die Gemeinschaft könne bald kein Bund freier Staaten mehr sein. Es gebe eine ungewöhnlich gefährliche Entwicklung, die die Zukunft der EU bedrohe, hieß es in dem am Montag veröffentlichten Schreiben.

Edtstadler fordert „klare Kante“ gegenüber Polen
Für Österreichs Europaministerin Karoline Edtstadler hat der Streit damit  eine „neue Dimension erreicht“, die Erreichtes infrage stelle. Das Zurückhalten von EU-Geldern halte sie für ein „sehr effizientes“ Mittel: „Wenn man hier eine Stopp-Taste drückt, halte ich das für den besten Weg, auch um zu zeigen, dass es uns ernst ist“, sagte Edtstatdler. Rechtstaatlichkeit sei „unverhandelbar“, dort müsse „klare Kante gezeigt“ werden. Es müsse auch „offen darüber“ gesprochen werden, wie Staaten, die von der Rechtstaatlichkeit abweichen, zurück auf diesen Weg gebracht werden können. Hier dürfe es aber „keine Kompromisse und keine Abstriche geben“, sagte sie. Edtstadler forderte aber auch, den Dialog aufrechtzuerhalten.

Weber: „Sie säen Spalt und Streit“
Morawiecki ist am Dienstag von vielen Seiten heftiger Gegenwind entgegengeschlagen. „Durch Ihre Rede heute hier säen Sie Spalt und Streit in der Europäischen Union. Sie machen Europa schwächer mit diesem politischen Ansatz“, sagte der Vorsitzende der EVP-Fraktion, Manfred Weber, nach der Rede des polnischen Regierungschefs. Darüber freue sich vor allem Russlands Präsident Wladimir Putin. „Bitte hören Sie auf damit“, forderte Weber. „Wer das Primat des Europäischen Gerichtshofs ablehnt, wer die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft ablehnt, wer die Unabhängigkeit der Justiz ablehnt, der tritt faktisch aus der Europäischen Union als Rechtsgemeinschaft aus“, betonte der CSU-Politiker.

Die Fraktionschefin der Grünen, Ska Keller, warnte Morawiecki, er führe sein Land auf einen gefährlichen Weg. „Ihre Regierung kehrt dem Rechtsstaat, der Unabhängigkeit der Justiz, Minderheiten und fast allen, die nicht in ihre reaktionäre Ideologie passen, den Rücken.“ Der Vorsitzende der Linken-Fraktion, Martin Schirdewan, forderte schnelles Handeln: „Die Zeit schöner Worte ist vorbei, handeln Sie“, sagte er an von der Leyen gerichtet. Was Morawiecki als Justizreform bezeichne, sei nichts anderes als „der Versuch, die Unabhängigkeit der Justiz zu untergraben und eine politische Justiz zu etablieren“. Die Sozialdemokratin Iratxe Garcia Perez betonte, das Problem der polnischen Regierung sei nicht die europäische Rechtsordnung, sondern es seien die Grundsätze der Demokratie und des Rechtsstaats.

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