Heikles Thema Alterssicherung: Die Regierung erhöht Kleinpensionen um drei Prozent, die anderen nur um 1,8. Experten über die Schwachstellen und Besserungsvorschläge.
Volle Anpassung für alle! Zusatzplus für kleine Pensionen. Große Worte, gelassen gesprochen von Pensionistenvertretern wie Peter Kostelka. So soll es sein, verkündete die Regierung. Altersbezüge werden 2022 nicht nur - wie gesetzlich vorgesehen - mit einem Plus von 1,8 Prozent an die Teuerung angeglichen, Pensionen unter 1300 Euro werden gestaffelt um bis zu drei Prozent erhöht. Walter Pöltner hat genug gehört und gesehen. Der Chef der Alterssicherungskommission und Ex-Minister weicht spätestens mit Jahresende. „Am liebsten wäre ich schon gestern abgetreten.“
Mehr Geld für die Kleinen ist gut. Aber es muss gerecht sein. Ich habe nun genug und wäre lieber schon gestern abgetreten. Es macht keinen Spaß.
Walter Pöltner, Chef der Alterssicherungskommission
Der Frust spricht aus ihm. Pöltner bringt Beispiele: „Ich war jahrzehntelang Beamter und habe eine kleine Pension, jetzt kriege ich drei Prozent Erhöhung. Sowie ein Freund, ein Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei. Der hat u.a. eine Villa, kriegt auch drei Prozent Erhöhung.“ Pöltner lebt teils in Tschechien, wo er Freunde hat. „Die haben zwei Jahre in Österreich gearbeitet, kriegen 150 Euro monatlich.“ Auch in Tschechien bekommen sie Pension. „Und die erhalten 2022 auch die dreiprozentige Erhöhung.“ Es fehle die Zielgerichtetheit.
Milliarden an Zusatzkosten
Wolfgang Panhölzl sieht das ähnlich. Der Pensionsexperte der Arbeiterkammer plädiert wie Pöltner dafür, die Ausgleichszulage (200.000 Kleinpensionen unter 1000 werden auf 1000 Euro aufgestockt) stärker anzuheben, um Armut zu bekämpfen. Fünf Prozent schweben ihm vor. „Dann erwischt man viel mehr Menschen. Aber immer unter Bedarfsprüfung. Gibt es andere Einkünfte?“ Das finde jedoch nicht statt. Wenn man alle erhöhe, also auch solche mit Zusatzeinkommen, „kostet das zusätzliche Milliarden. Die könnte man sinnvoller verwenden.“
Bernd Marin gilt als heftiger Kritiker der Politik bei dem Pensionsproblem (siehe auch unten). Er spricht von „Wohlfühlpopulismus“. Seit 2018 würden jährlich Hunderte Millionen „nach Gutsherrenart an Hunderttausende Zweit-Kleinpensionisten, die nicht arm sind“, verteilt. Das sei dumm und verantwortungslos. Pöltner fragt: „Sind nur die Pensionisten arm? Oder auch und vor allem Gruppen wie Alleinerzieherinnen? Und warum muss einer, der 45 Jahre ins System einbezahlt hat, dann draufzahlen? Ich habe das Kostelka 100-mal erklärt. Er kapiert es nicht.“ Auch wenn er das Handtuch wirft, zeigt der Jurist Verständnis für die Politiker. „Sie haben es nicht leicht. Mit einfachen Botschaften erreicht man mehr als mit komplexen Rechnungen.“
AK-Ökonom Panhölzl sieht Österreichs Pensionssystem vergleichsweise gut und stabil. Beamtendienststellen werden nicht nachbesetzt, das spart Kosten. Seit den 1980er-Jahren werden vom Bund konstant rund sechs Prozent des BIP zugeschossen. „Das wird so bleiben. Da läuft nichts aus dem Ruder. Die Deutschen kämpfen seit Langem um Reformen wie eine Harmonisierung wie bei uns. Die können von unserer Existenzsicherung nur träumen.“
„Ausweis für den Operettenstaat“
Sozialwissenschafts-Professor Bernd Marin geht mit der türkis-grünen Regierung und ihrer Pensionspolitik einmal mehr hart ins Gericht.
„Krone“: Der Rücktritt des Leiters der Alterssicherungskommission, Walter Pöltner, kam plötzlich. Unerwartet?
Bernd Marin: Er hatte offenbar genug. Aber mehr verstört mich der Umgang mit seinem Rücktritt. Er ist ein Lackmustest unserer Unernsthaftigkeit, Ausweis als Operettenstaat.
Wieso das?
Pöltner ist ausgewiesener Experte, ist kundig, kompetent, sachorientiert und war jahrzehntelang Sektionschef. Unabhängig und kritisch, als Freigeist parteiübergreifend geschätzt. Einer der Väter des Pensionskontos seit 2014. Einer von wenigen, die Pensionssysteme verstehen. Er sah durch die Erhöhung kleiner Pensionen bis drei Prozent längerfristig die Generationenbalance gefährdet. Das brachte das Fass zum Überlaufen. Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) ist dennoch zufrieden mit der guten Regelung und ignoriert den Rücktritt Pöltners.
Wie ist das zu erklären?
Offensichtlich wollen unsere Regierenden keine evidenzbasierte, experimentelle, empirisch fundierte, wissenschaftlich angeleitete Politik der besten Köpfe, keine Experten, sondern „steuerbare“ brave Jasager, die keiner ernst nimmt. Ich selbst teile übrigens die Einschätzungen von Pöltner nur teilweise. Etwa bei der Staffelung der Pensionsanpassung.
Was schlagen Sie vor?
Ich wäre für kluge, bessere und gesetzlich gedeckte Stufenmodelle durchaus zu haben, statt das Pensionsharmonisierungsgesetz 2004, das nur Teuerungsabgeltung nach dem Verbraucherpreisindex für alle vorsieht, in 18 Jahren 15-mal zu verletzen. Und Hunderte Millionen nach Gutsherrenart zu verteilen.
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