„Krone“-Interview

Phil Campbell: Späte, musikalische Entjungferung

Musik
25.10.2019 07:00

Mit Motörhead schrieb er jahrzehntelang Musikgeschichte, nach dem tragischen Tod von Frontmann Lemmy Kilmister hat sich der walisische Gitarrist Phil Campbell neu orientiert und mit seinen Söhnen die Bastard Sons gegründet. Jahre nach den ersten Ideen erscheint mit „Old Lions Still Roar“ nun auch endlich sein erstes Soloalbum, auf dem zahlreiche Gaststars vertreten sind. Im Interview erzählte uns Campbell über das Album, sein immer noch nicht fertiges Buche und - natürlich - Motörhead.

(Bild: kmm)

„Krone“:Normalerweise tourst du mit deinen Söhnen, aber nun hast du endlich die Zeit gefunden, mit „Old Lions Still Roar“ dein langgeplantes Soloalbum fertigzustellen. Hattest du die Nase voll von deinen Jungs?
Phil Campbell:
(lacht) Ich hatte schon vor ein paar Jahren die Idee für das Soloalbum, da waren Motörhead noch aktiv. Lemmy hat mir sogar immer gesagt, ich solle das endlich in die Hand nehmen. Ich hatte immer schon ein paar Ideen, habe sie nun mit den neuen vermischt. Bei Motörhead waren wir zu beschäftigt, um mich wirklich darauf konzentrieren zu können, aber neben den Bastard Sons klappt das ganz gut. Also habe ich vor zwei Jahren wirklich ernsthaft daran zu arbeiten begonnen und die ersten Aufnahmen gemacht.

Rob Halford von Judas Priest, Dee Snider von Twisted Sister, Alice Cooper und viele mehr - die Liste der Sänger auf deinem Solodebüt ist eine All-Star-Versammlung. Wurdest du etwa von Slash inspiriert, der auf seinem ersten Solowerk ebenfalls auf bekannte Stimmen setzte?
Eigentlich würde ich gerne alles selbst singen, aber das würde nicht so gut klingen. All die Leute, mit denen ich hier zusammengearbeitet habe, respektiere ich sehr. Ich bin quasi ein Fan von ihnen allen. Manche der Songs passten einfach perfekt zu bestimmten Stimmen. Ich habe sie also kontaktiert und ihnen die Songs vorgespielt und es haben alle zugesagt, was mich sehr freute. Man hört ein paar wirklich großartige Performances.

Du hast also schon alle Songs vorher geschrieben gehabt, und sie dann bestimmten Sängern zugeordnet?
Korrekt. Die Songs standen prinzipiell und ich überlegte, wer wohin passen würde. Ich bin sehr froh darüber und hatte wohl auch viel Glück, dass am Ende alle zugesagt haben.

Im Endeffekt ist das ja ein Zusammentreffen vieler alter guter Freunde und Wegbegleiter von dir im Musikbusiness. Sozusagen ein gemeinsamer Urlaub in Lieder gefasst.
Auf jeden Fall. Ich kenne sie alle mehr oder weniger gut und ich habe auch auf ein paar lokale Sänger gesetzt, die ich selber kenne und mag. Mir war die Variation auf dem Album wichtig. Eben auch, dass nicht jede Stimme von einem Topstar kommen muss.

Hatten all die Sänger bei dir die Möglichkeit, selbst noch Ideen einzubringen?
Sie hatten natürlich die Möglichkeit, die Songs zu kommentieren und vielleicht ein Veto einzulegen, wenn der eine oder andere Teil offenbar nicht so gut zur Stimmfarbe gepasst hat. Das sind ja auch alles Profis, die genau wissen, was sie tun. Die meiste Zeit war ich total zufrieden mit ihren ersten Rücksendungen, bei manch anderen haben wir im Studio noch etwas nachgefeilt. Jeder Sänger und jede Performance erzählt eine eigene Geschichte, aber es ergibt ein wunderbares Gesamtprodukt. Auch die Sänger selbst sind sehr glücklich mit dem Ergebnis, das haben sie mir schon gesagt.

Hast du eigentlich die Texte geschrieben, oder oblag das ganz den einzelnen Sängern?
Das habe ich den Sängern überlassen. Leon Stanford, den du am Opener „Rocking Chair“ hörst, wollte einen Song darüberschreiben, wie ich im Rockbusiness gelandet bin. Das war für mich total okay und ich war sehr gespannt, was herauskommen würde. Ich habe dann ein paar Details verändert, aber er hat die Thematik gut wiedergebracht. Dee Snider wollte mit „These Old Boots“ über uns beide und all die alten Jungs schreiben, die noch immer kräftig im Business vertreten sind. Benji Webbe hat mit „Dead Roses“ einen sehr sanften Moment auf das Album gebracht. Der Text dreht sich per se um mein Leben ohne Lemmy und ist wirklich sehr schön gelungen. Die Leute können alles selbst interpretieren, aber für mich fielen einige Songs sehr persönlich aus. Ich bin sehr happy mit dem Ergebnis und hätte mir nicht vorstellen können, dass es so gut ausfällt.

Speziell „Dead Roses“ ist ein sehr melancholischer Track. Wie bewegend ist es für dich, wenn jemand von außen über dich und deine jahrelange wundervolle Beziehung zu Lemmy schreibt?
Das tut es auf jeden Fall. Wenn jemand mit so einer intensiven und guten Stimme wie Benji die Nummer dann auch noch singt, dann nimmt mich das auf jeden Fall mit. Es steckt so viel Schönheit in diesem Song und es wäre fahrlässig gewesen, den Song nicht zu verwenden. Das Gute an der Musik und dem Album ist, dass es keine Regeln gibt. Manchmal saß ich auf der Toilette und hatte gute Ideen, dann fiel mir tagelang überhaupt nichts ein, aber die Inspiration trifft dich immer wieder mal. Das entscheidest aber nicht du und das ist ziemlich spannend und aufregend. Keiner sagt mir, was ich zu tun habe.

„Old Lions Still Roar“ ist offenkundig auf dich und wohl auch auf die Sänger gemünzt, die ja durchaus Legendenstatus besitzen. „Brüllst“ du deiner Meinung nach heute noch besser als je zuvor, wenn es um die Musik geht?
Zumindest gleich gut wie früher. Ich liebe die Musik so wie früher und bin wahnsinnig aufgeregt, weil es mein allererstes Soloalbum ist. Der Titel ist aber gar nicht wirklich auf die Sänger bezogen, das habe ich auch erst im Nachhinein entdeckt, dass man das in Kontext setzen kann. Schon vor ein paar Jahren, als ich noch nicht wusste, wen ich als Gast überhaupt haben möchte, kam mir der Titel in den Sinn und gefiel mir sofort sehr gut. Er klingt doch ziemlich cool.

Ein bisschen reflektierst du mit dem Titel wohl auch unbewusst die Realität. Etwa bei den gängigen Rock- und Metalfestivals, wo es auf den Headlinerpositionen ja immer noch an den „alten Hasen“ liegt, eine große Show auf die Bühne zu knallen. Wieso funktioniert der Generationswechsel hier so viel schlechter als in anderen Genres?
Die alten Classic-Rock-Bands sind einfach unheimlich gut und originärer als die jungen Bands. Das ist zumindest meine Theorie zu dieser Sache. Es gibt viele junge Leute, die Festivals besuchen und die alten Bands trotzdem total abfeiern. Die alten Hasen machen das schon seit Jahren und wissen genau, wie man eine richtige Show abliefert und tolle Songs schreibt. Ich sehe das sogar eher andersrum und freue mich total darüber, dass all diese „Legenden“ noch immer so gute Liveshows geben und starke Musik veröffentlichen.

Weißt du beim Songschreiben oder Ideensammeln eigentlich sofort, ob das jetzt eher zum Soloalbum oder zu den Bastard Sons passt?
Bei den Bastard Sons setzen wir uns immer zusammen und schreiben gemeinsam, oder die Jungs kommen schon mit ihren Ideen an. Da ist schon der Prozess an sich ein anderer, weil ich dort eigentlich nie wirklich etwas alleine mache - ganz im Gegensatz zu den Sologeschichten. Ich kann mich zudem sehr gut auf das jeweilige Projekt fokussieren und habe dann keine „Crossover-Probleme“, dass ich da aus dem Tritt kommen könnte.

Arbeitest du eigentlich lieber alleine für dich, ohne Kompromisse und Diskussionen eingehen zu müssen?
Ich habe da überhaupt keine Präferenzen. Es ist ganz nett, wenn man hin- und herwechseln kann. Ich arbeite meist sechs Monate an einem Projekt, mache dann eine Pause und kümmere mich die nächsten sechs Monate um etwas anderes. Das funktioniert ganz gut so und hat sich hervorragend eingependelt.

Nach einigen Jahren auf Tour mit deinen drei Söhnen und Sänger Neil Starr bei den Bastard Sons kann man sicher behaupten, dass sie viel von dir gelernt haben. Aber hast auch du einiges von deinen Kindern dazulernen können?
Natürlich, jeden Tag sogar. Sie sind selbst absolut fantastische Musiker und spielten immer in großartigen Bands, auch wenn der große Erfolg bislang immer ausgeblieben ist. Sie haben ihre eigenen Einflüsse, das kommt nicht alles von mir. Ich würde so viel verschiedene Musik gar nicht kennen, wenn es meine Jungs nicht geben und sie sie mir nicht dauernd vorspielen würden. Wir sind aus verschiedenen Generationen und natürlich unterscheidet man sich da. Wenn wir alle unsere Einflüsse zusammenmischen, dann kommen die wirklich interessanten Ideen heraus.

Knapp vier Jahre nachdem Lemmy nun diese Welt verlassen und die Karriere von Motörhead geendet hat - wie hast du die Vergangenheit, den Kult um diese Band und natürlich auch Lemmy selbst heute, mit etwas Distanz, in Erinnerung?
Ich bin heute 58 und kam in die Band, als ich 22 war. Es ist eigentlich unmöglich, nicht jeden Tag daran zu denken, weil Motörhead quasi mein ganzes Erwachsenenleben bestimmt hat. Ich träume immer noch mehrmals die Woche davon, dass wir irgendwo auftreten. Ich spiele mit den Bastard Sons auch immer ein paar Motörhead-Songs live und will die Erinnerung aufrechterhalten. Motörhead war eine wirklich mächtige Kraft im Musikbusiness und es muss schon viel passieren, damit die Leute diese Kraft vergessen. Das ist auch verdammt gut so. Ich bin sehr stolz auf alles, was wir mit dieser Band machten. Wir hatten großartige Fans, die die Musik für immer lieben werden. Einfach fantastisch.

Fühlen sich diese neuen Projekte, die du gerade am Start eigentlich sehr frisch für dich an? Sind die Bastard Sons und dein Soloalbum wie ein kompletter Neubeginn, oder mehr eine Fortführung deiner langen Karriere?
Ich würde es nicht als neuen Start bezeichnen, denn im Endeffekt ist auch das nichts anderes, als jeden Tag eine Gitarre in die Hand zu nehmen, wie ich es schon seit Jahrzehnten mache. Es ist aber etwas ganz Anderes. Es fühlt sich frisch und aufregend an, aber natürlich bin ich keine 20 mehr. Die Spannung liegt aber trotzdem in der Luft.

Das schon lange angekündigte Buch ist wohl das nächste Kapitel. Darauf warten doch viele Fans von dir seit einiger Zeit.
(lacht) Das Buch, klar. Ich will ja keine Autobiografie daraus machen, sondern einfach nur die lustigen Geschichten und Erlebnisse niederschreiben, die sich auf Tourneen so über die Jahre zusammengetragen haben. Speziell mit Motörhead, das kannst du dir ja vorstellen. Da würden dann Geschichten vorkommen, die sowieso keiner glauben wird. (lacht) Das finde ich jedenfalls interessanter, als von meiner Schulzeit in der Kindheit zu erzählen. Ich will das Projekt auf jeden Fall fertigstellen, gib mir noch ein paar Jahre.

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