„Krone“-Reportage
Mord im U-Boot: Auf Spurensuche im Øresund
Kein skandinavischer Krimi könnte grausamer sein als der Tod von Kim Wall. Die schwedische Journalistin bestieg mit dem dänischen Tüftler Peter Madsen ein U-Boot und kehrte nie mehr zurück. Nach und nach gab der Øresund die zerstückelten Teile ihres Leichnams frei. Lesen Sie anlässlich des aktuellen Urteils über den dänischen Erfinder Peter Madsen eine ausführliche Reportage von Conny Bischofberger, die im Jänner 2018 im „Krone“-Magazin „Verbrechen“ erschien.
Die Dänen nennen sie die magische Halbinsel. Refshaleøen, einst stolzer Hafen mit einer Großwerft, Symbol der dänischen Industriegeschichte. Heute haben sich zwischen verlassenen Fabrikshallen und wucherndem Gestrüpp kleine Handwerksfirmen, Paintball-Areale und Urban-Ranger-Camps angesiedelt. Vom Meer her weht ein eisiger Wind, der in den Regenpfützen kleine Wellen schlägt. Auf einem Betonsockel stehen zwei Fischer und werfen ihre Angeln aus. Man hört vereinzeltes Hämmern und das abgehackte Schreien der Seemöwen.
Auf dem Kreuzfahrtschiff „Aida Bella“, das drüben in der mondänen Kopenhagener Hafenlandschaft angedockt ist, beobachtet Peter Thompson im Abendlicht des 10. August 2017, wie hier ein schwarzes U-Boot in See sticht. Der Tourist aus Kiel ist mit seiner Frau auf Hochzeitsreise und erinnert sich, dass ein Fremdenführer ihnen noch vor ein paar Stunden erklärt hat, dass Dänemarks Marine keine U-Boote mehr einsetze. Irgendwas ist hier komisch, denkt sich der Mann und zückt seine Lumix. Sein Schnappschuss, aufgenommen kurz vor 19 Uhr mit 20-fachem Zoom, geht später um die Welt. Das Foto zeigt eine Frau mit rotem Pullover und rotblonden Haaren, sie wirft einen letzten Blick über die Trostlosigkeit von Refshaleøen.
Vielleicht haben ihre Augen noch einmal die Silhouette des Freundes gesucht, den sie in der Abendsonne zurückgelassen hat. Hinter ihr im Turm der „UC3 Nautilus“ steht ein Mann, dessen Gesicht man nicht sieht. Seine Arme stützen sich auf das Einstiegsluk. Es handelt sich um Peter Madsen, 46, einen exzentrischen Boots- und Raketen-Konstrukteur. Es ist das letzte Foto, auf dem Kim Wall lebend zu sehen ist. Die 30-jährige Schwedin kehrt von dieser Ausfahrt nie mehr zurück. Es ist der letzte Auftrag der Journalistin.
„Das hätte auch mir passieren können“, sagt Caroline Larsson. Die 28-Jährige ist Web-TV-Journalistin der schwedischen Zeitung „Expressen“ und hat seit Walls Verschwinden über den Fall berichtet.
Es ist Sonntagnachmittag, die Bahn hat uns von Kopenhagen, Central Station, über die acht Kilometer lange Øresundbrücke, die Dänemark und Schweden verbindet, in nur 40 Minuten über das Meer nach Malmö gebracht. Die Redaktion ist an diesem Tag nur mit einem Kollegen besetzt. Caroline Larsson schaltet die Kaffeemaschine ein. Am Glastisch vor der endlosen Fotogalerie männlicher Chefredakteure - aber heute führt eine Frau die Zeitung - muss sie zugeben, dass der Tod von Kim Wall in ihr persönlich etwas getriggert hat. „Sie ist in meinem Alter, sie hat denselben Beruf, und dass sie in dieses U-Boot stieg, wirkte nicht wie eine gefährliche Situation.“ In der heutigen Medienwelt, erklärt Larsson, würden Journalisten aus Kostengründen meistens alleine arbeiten. „Ich filme, ich mache die Interviews, ich stelle die Storys online. Oft gehe ich zu Leuten nach Hause, um mit ihnen Gespräche zu führen. So hat auch Kim Wall gearbeitet.“
Caroline Larsson lag im italienischen Sorrent am Strand, als die erste Push-Up-Meldung auf ihrem iPhone aufschlug. U-Boot im Øresund verschollen. Eine Frau und ein Mann an Bord. „Ich ahnte, das wird groß. Natürlich befürchtet man, dass es Tote geben könnte. Aber was hier geschah, ist unfassbar.“ Checkt, wer die beiden sind, textete sie ihren Kollegen in Schweden.
Als Larsson in Malmö eintraf, hatte „Expressen“ bereits Leute aus Stockholm zur Unterstützung angefordert. Schnell sei klar geworden, um wen es sich bei den Vermissten handelte. Kim Wall, schwedische Journalistin, geboren im 32 Kilometer entfernten Trelleborg. Und den dänischen U-Boot-Bauer Peter Madsen. Da bahnte sich nicht nur die bisher größte Story in Larssons Karriere seit der Verhaftung eines Serienmörders an, sondern auch eine menschliche Herausforderung. „Kims Vater Joachim arbeitete als Fotograf hier bei ,Expressen‘“, erklärt Caroline, „das war lange vor meiner Zeit. Und doch war er ein Kollege. Auch Kims Mutter und ihr Bruder sind Journalisten.“
Umso sensibler sei die Redaktion von Anfang an mit der Geschichte umgegangen. „Wir haben darauf geachtet, keine alten Fotos von Joachim Wall zu verwenden. Und natürlich sind auch wir dem Wunsch der Familie nachgekommen, nur ein bestimmtes Foto von Kim Wall zu veröffentlichen. Ihr Bruder hat es gemacht, die Familie wollte, dass man sie genau so in Erinnerung behält.“ Furchtlos, aber empathisch. Eine Journalistin, die immer neugierig war, wie andere Menschen in der ganzen Welt lebten.
Kim Wall, geboren 1987 in Südschweden, aufgewachsen in Malmö. Abschlüsse an der London School of Economics, der Pariser Sorbonne und der Columbia University in New York. Sie schreibt über Idi Amin, Minenfelder auf Sri Lanka und Voodoo auf Haiti. Eine Reportage über die langsam in der Südsee zu versinken drohenden Marshall-Inseln wird preisgekrönt. Trotz abenteuerlicher Reisen vertraut sie einer Freundin an, dass sie sich „eigentlich immer sicher“ fühle.
Am Abend des 10. August 2017 hatte sich Kim Wall mit Peter Madsen verabredet. Sie schien von der schillernden Figur fasziniert, wollte offenbar ein Porträt über den hyperaktiven, genialen, komischen Kauz schreiben.
Das U-Boot „UC3 Nautilus“, in dem Kim Wall den Tod fand, hatte Madsen selbst gebaut und wieder instand gesetzt. Am 11. August um 10.30 Uhr wurde es vor der Insel Saltholm das letzte Mal gesichtet, eine halbe Stunde später sank es weiter südlich. Kims Freund hatte nachts um 2.30 Uhr die Polizei alarmiert, weil er sie am Handy nicht mehr erreichen konnte. Dass Madsen gerettet und die Journalistin vermisst wurde, klingt wie aus einem Wallander-Krimi und ließ das Schlimmste befürchten. Der Tüftler sprach von einem Unfall. Es habe einen Fehler am Tank gegeben, die „Nautilus“ sei daraufhin in Sekundenschnelle gesunken.
Obwohl das Boot mit Wasser vollgelaufen war, konnten Forensiker, als die Polizei das Boot heben und zum Kopenhagener Nordhafen bringen ließ, in Hohlräumen Spuren sichern. Getrocknetes Blut, Metallteile. Gesucht wurde nach Spuren eines Verbrechens und einer möglichen Tatwaffe.
Doch Madsen bestreitet, die Frau getötet zu haben. Die 70 Kilo schwere Eisenluke sei auf Kim Walls Kopf gefallen, dabei sei sie gestorben, er habe plötzlich überall Blut gesehen. Die Leiche habe er auf See „bestattet“. Aber Kenner bezweifeln, dass man in einem in sich geschlossenen Stahlzylinder mit zwei Meter Durchmesser überhaupt verunglücken könne.
Wie in all den „Nordic Noir“-Geschichten kommt es auch in diesem Fall zu einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der dänischen und schwedischen Kriminalpolizei. Caroline Larsson fährt in den kommenden Wochen regelmäßig über die Øresundbrücke hinüber nach Kopenhagen, wo Chefermittler Jens Møller die Presse mit Details füttert. Madsen sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft.
Bei einer dieser Pressekonferenzen trifft Larsson auch Madsens Ehefrau, die in einer offenen Beziehung mit dem Tüftler gelebt haben soll. „Sie schien am Boden zerstört zu sein.“ Als am 21. August 2017 ein Radfahrer in der Køge-Bucht am Südende der Kopenhagener Insel Amager einen grausigen Fund macht, scheint klar: Kim Wall muss ermordet worden sein.
Es ist ihr Torso, den der Øresund freigegeben hat, die DNA stimmt mit einer Probe der Journalistin überein. Walls genaue Todesursache ist nach wie vor unbekannt. Bei der Obduktion werden Messerstiche im Unterleib und in der Brust der Frau entdeckt. Kopf, Beine und Arme waren offenbar abgetrennt worden. Die Ermittler stellen außerdem fest, dass ein Gewicht aus Metall am Körper von Wall befestigt war, um sie auf den Meeresgrund zu ziehen. Außerdem werden zahlreiche Verletzungen festgestellt, durch die Luft und Gase entweichen sollten, um ein Auftreiben der Leiche zu verhindern. Das alles belastet Madsen schwer. Er kann seine Unfallversion nicht mehr länger aufrechterhalten. Er schweigt. Und die Schlinge zieht sich immer mehr zu.
In einer Wellblechhalle auf Refshaleøen steht Peter Madsens Werkstatt einsam in der Landschaft. „Rocket Madsen Space Lab“ steht auf einem rostigen Schild. Die Tür ist verriegelt, weit und breit kein Mensch zu sehen. Hier baute der Däne auch Raketen, damit wurde über die Grenzen Dänemarks hinaus bekannt. Als er einen Raketentest vor der Ostseeinsel Bornholm machte, filmten Fernsehkameras aus Helikoptern das Spektakel live. Madsen hatte einen Traum: In drei Jahren, so erzählte er noch im Mai 2017 dem Dänischen Rundfunk, wolle er den Planeten Erde verlassen. Mit einer selbst gebauten Rakete.
2014 gründet Madsen eine Plattform für sein Projekt, er schart Begeisterte um sich, die in seiner Wellblechhalle für ihn arbeiten. Bald zählt der Förderverein 200 Mitglieder, die 300.000 Kronen, das sind rund 40.000 Euro, sammeln, um „Raketen Madsens Raumlaboratorium“, wie er seinen Verein nennt, zu finanzieren. Peter Madsen stammt aus einer zerrütteten Familie, die Eltern hätten Krieg geführt, mit ihm als Waffe, erzählt ein Freund von ihm. Die Raketenprojekte seien das einzig Planbare und Sichere in seinem Leben gewesen.
Auf den Straßen von Kopenhagen wird getuschelt. Madsen habe sich gern mit Frauen umgeben, obwohl er seit vielen Jahren verheiratet ist. Von Ausflügen in die Fetisch-Szene ist die Rede und dass der Däne auf seinem alten rostigen Fahrrad immer eine Peitsche mitgeführt habe.
Sein Biograf Thomas Djursing sagte der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“, der Erfinder sei zwar ein „seltsamer Mensch“, aber „nicht gewalttätig“. Er nehme auch keine Drogen, allerdings habe er eine „Wut auf Gott und die Menschen“ gehabt. Als „charismatische Person, gleichermaßen ein Künstler wie ein Ingenieur“ beschrieb ihn Djursing, der ein Buch über Madsen geschrieben und ihn viele Male getroffen hatte. Nun ist der Autor von „Rocket Madsen“ wie viele andere Menschen einfach nur sprachlos.
Die Staatsanwaltschaft Kopenhagen, die zunächst wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung ermittelte, wirft Madsen bald Mord und Leichenschändung vor. Indem er den Körper der toten Journalistin dem Meer überlassen habe, habe er die Totenruhe gestört.
Bei der Obduktion des angeschwemmten Torsos stellten die Gerichtsmediziner zahlreiche Verletzungen fest. Später soll ans Licht kommen, dass es auch Spuren sexueller Übergriffe gab. Aber noch fehlen die Gliedmaßen und der Kopf, trotz intensiver Suche von Einsatzkräften und Tauchern, im Meer und an der Küste.
Im La Banchina, einem kleinen Café direkt am Wasser, etwa 200 Schritte von Madsens Lab entfernt, sitzen junge Menschen und essen vegane Spaghetti mit Kapern, Artischocken und Zucchini. Am Tresen bereitet ein blondgelockter Mann Cappucchino zu. Der Fall ist auch hier ein Thema, das keinen unberührt lässt.
„Es ist so grauenvoll, richtig surreal“, sagt eine Studentin, die in der Kommune hinter dem Banchina wohnt. Hier war die „Nautilus“ oft festgemacht, ein bisschen weiter links schwimmt eine Saunakugel im Wasser. Für 50 Kronen kann man dort schwitzen und sich danach im Hafenbecken abkühlen. Am offenen Feuer sitzen Jugendliche und diskutieren. Was um Himmels Willen ist an Bord des U-Bootes in jener Nacht passiert? Die Antwort kennt nur der mutmaßliche Mörder.
Die Staatsanwaltschaft will Peter Madsen psychiatrisch untersuchen lassen. Das Gutachten wird von Caroline Larsson und ihren Kollegen weltweit mit Hochspannung erwartet.
Ole Søndberg ist „Nordic Noir“-Pionier und Gründer der Filmfirma „Yellowbird“: „Henning Mankell hatte eine Firma, die Yellow Horse hieß, und ich hatte eine Firma namens Early Bird, da haben wir uns zusammengeschlossen.“ Der Däne kommt in grünem Pulli und schwarzen Sneakers ins Kopenhagener Boutique-Hotel Mayfair gelaufen. „Hej“ sagt er, wie Kommissar Wallander im Fernsehen. Der 64-Jährige ist das, was man im Norden einen „Hyggefætter“ nennt, ein gut gelaunter Mensch, auf dessen Gemüt sich die finsteren Geschichten von Mord und Totschlag offenbar in keiner Weise niedergeschlagen haben. Unter seiner Ägide produzierte die schwedische Produktionsfirma weltweit erfolgreiche Krimiserien. „Kommissar Wallander“, „Ein Fall für Annika Bengtzon“, „Irene Huss“, die Verfilmung der Romane von Stieg Larsson in der Trilogie „Millennium“.
Aber zunächst erzählt Ole, dass er vor vielen Jahren einmal in Wien mit Filmproduzent Carl Spiehs gearbeitet habe. „Eure Torten! Und Mozartkugeln! Jesus, das war nicht gut für mich“, lacht er und klopft sich auf den kleinen runden Bauch. Mit allen möglichen Geschichten zögert er hinaus, auf den Anlass unseres Treffens zu sprechen zu kommen.
Ein dänischer Killer, eine schwedische Journalistin, Ermittler dies- und jenseits der Øresundbrücke: Wäre das Stoff für einen Skandinavien-Krimi gewesen? Die Frage musste ja kommen.
Søndberg, der die Yellowbird Company 2007 verkauft hat, winkt energisch ab. „Jeder sagt mir, dass das so eine großartige Geschichte wäre, aber die Wahrheit ist: Sie hat keine Stränge, da spielt keine Liebe mit oder Eifersucht, diese Geschichte verläuft auf einer einzigen Ebene, zwei Personen eingeschlossen in einem U-Boot, das sinkt. Der Mann lebt, die zerstückelten Leichenteile der Frau tauchen auf. Das lässt keinerlei Möglichkeiten oder Fragen offen.“ Sondern nur eine einzige Schlussfolgerung: Der Mann muss der Frau das Leben genommen haben.
„Er muss verrückt sein“, sagt Søndberg über Peter Madsen, für den trotz allem die Unschuldsvermutung gelten muss, „und es ist doch ganz klar, wo die Geschichte enden wird: im Gefängnis oder in einer Irrenanstalt.“ Das alles sei einfach nur grausam und absurd, meint er abschließend. „Wir haben wirklich Schreckliches verfilmt, aber wenn die Realität die Fiktion übertrumpft, dann ist das furchterregend.“
Furchterregend sind auch weitere Untersuchungsergebnisse, die Chefermittler Jens Møller im September in der dänischen Hauptstadt präsentiert. Nach einer Hausdurchsuchung hat der Staatsanwalt eine Festplatte von Madsen analysieren lassen. „Darauf waren Snuff-Videos“, sagt Caroline Larsson, „das sind Hinrichtungen von gefolterten Frauen.“
Mit großer Wahrscheinlichkeit seien diese Filme, in denen die weiblichen Opfer gehängt und verbrannt wurden, echt, so Staatsanwalt Jakob Buch-Jepsen bei einer Anhörung zur Verlängerung von Madsens Untersuchungshaft, „und sie zeigen ganz deutlich sein Interesse an Fetisch, Folter und Mord.“
Schwer vorstellbar, wie Kim Walls Mutter mit der Tragödie lebt. „Wir haben versucht, sie für ein Interview zu gewinnen“, erzählt uns Larsson, „und obwohl sie ihre Tochter verloren hat, bleibt sie stets höflich und offen für unser Interesse.“ Bis heute hat Ingrid Wall mit keinem Journalisten über Kims gewaltsamen Tod gesprochen.
Einzig auf Facebook postete sie ihre Gefühle: „Mit grenzenloser Trauer und Bestürzung haben wir die Nachricht über den Fund der sterblichen Überreste unserer Tochter entgegengenommen. Das Ausmaß der Katastrophe können wir noch nicht ermessen, und viele Fragen müssen noch beantwortet werden. Die Tragödie hat nicht nur unsere Familie getroffen, sondern auch Kims Freunde und Journalisten-Kollegen auf der ganzen Welt.“
Und dann bedankt sich Ingrid Wall im Namen der Angehörigen für die unbeschreibliche Anteilnahme. Der „Kim Wall Memorial Fund“ wird ins Leben gerufen, weltweit bekunden Journalisten daraufhin ihre Solidarität mit der schwedischen Kollegin.
In Kirchen im ganzen Land predigen dänische Priester am Heiligen Abend, dass man für Journalisten beten solle, die oft ihr Leben riskieren, um die Wahrheit zu erzählen. Aber Kim Wall war keine Kriegsreporterin. Sie wollte nur einen seltsamen Typen porträtieren, der U-Boote und Raketen baute und davon träumte, endlich abzuheben.
In der Køge-Bucht werden Anfang Oktober mehrere Plastiksäcke angeschwemmt. Einer enthält laut Kopenhagener Polizei die Kleidungsstücke der Journalistin, in weiteren Säcken habe man Kim Walls Kopf und ihre abgetrennten Beine gefunden. Auch den rechten Arm finden Taucher bald darauf. In der letzten Novemberwoche meldet „Jyllands Posten“, dass der Øresund auch den fehlenden linken Arm der Journalistin freigegeben habe. Ihr Leichnam ist nun vollständig und wird nach Freigabe der Gerichtsmedizin der Familie von Kim Wall in Trelleborg zur Bestattung übergeben.
In der „Expressen“-Redaktion in Malmö peitscht der Regen ans Fenster, als Caroline Larsson uns das schrecklichste Detail der Ende des Jahres 2017 immer noch nicht abgeschlossenen Obduktion darlegt. „Demnach wurde entweder während Kim Walls Todeskampf oder unmittelbar danach mit einem Messer in den Unterleib und die Geschlechtsorgane des Opfers gestochen.“
Zum vermuteten Mord kommt schließlich noch die unerträgliche Tatsache, dass an der Leiche von Kim Wall sexuelle Handlungen „unter besonders schwerwiegenden Umständen“ vorgenommen worden sind. Der Verdacht basiere auf „14 Wunden in und um die Genitalien von Kim Wall“, teilt die Staatsanwaltschaft mit.
Am 30. Oktober gab Peter Madsen zu, die Leiche zerstückelt und im Øresund verteilt zu haben. Nach wie vor ist aber unklar, wie Kim Wall ums Leben kam. Und vor allem: Warum? Was ist zwischen der Journalistin und dem Erfinder passiert? Die Ermittler glauben an Mord unter Auslebung sexueller Gewaltfantasien.
Handys von Madsen und Wall sind bis heute verschollen
Nicht bestätigt werden konnte laut Polizei eine Meldung, die Journalistin habe ihrem Freund in der Nacht des 10. August eine SOS-Nachricht getextet. Sowohl ihres als auch Madsens Mobiltelefon waren bis Jänner 2018 verschollen. Der Verdacht liegt nahe, dass der mutmaßliche Täter sie zerstört hat, um Beweise verschwinden zu lassen. Kims Kopenhagener Freund sei den ganzen Abend bei der Einstiegsstelle auf Refshaleøen nervös auf und ab gegangen, erzählen Stammgäste des La Banchina.
Das Gerichtsverfahren gegen Peter Madsen beginnt am 8. März 2018 am Københavns Byret, dem Kopenhagener Amtsgericht. Wieder wird Caroline Larsson über die Øresundbrücke kommen und den Prozess live ins Web übertragen - nicht nur für ihren schwedischen Arbeitgeber „Expressen“, sondern auch vor der Kamera - für CNN World News. Der Mord an der schwedischen Journalistin erweckt weltweit Interesse.
Larsson wird die Horror-Story mit den ständig wechselnden Versionen des mutmaßlichen Täters, mit der schrecklichen Ungewissheit, was in jener Nacht auf der „Nautilus“ geschah, mit der Unausweichlichkeit, der Kim Wall ausgeliefert war, dann bereits sieben Monate begleitet haben.
Was erhofft sie sich von der Verhandlung? Larsson, die schon von den Terroranschlägen in Paris, Nizza, Brüssel und Berlin berichtet hat, atmet tief durch, so als seien diese Reportagen nichts dagegen gewesen. Sie sammelt sich. „Volle Aufklärung, volle Verantwortung“, sagt sie dann. „Dieser Albtraum muss endlich ein Ende haben. “
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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