Tests in Syrien

US-Militär erprobt Spionage über soziale Netzwerke

Web
12.11.2012 16:36
Das US-amerikanische Militär erprobt offenbar neue Spionagetechniken, bei denen nicht mehr Agenten à la 007, sondern Computer die Hauptrolle spielen. Durch das Sammeln öffentlich zugänglicher Daten aus sozialen Netzwerken erhalten die US-Geheimdienste erstaunlich detaillierte Einblicke in Krisenherde wie Syrien. Zwei Systeme zum Sammeln und Verwerten von Daten aus den sozialen Netzwerken werden derzeit erprobt – und sollen künftig helfen, Anschläge wie jenen auf die US-Botschaft in Libyen vorherzusehen und womöglich sogar zu vereiteln.

Beide Systeme zur Überwachung sozialer Netzwerke werden von Studenten und Forschern der Militärakademie "Naval Postgraduate School" entwickelt. Bei einem der Tools handelt es sich um eine Software, die über die Programmierschnittstelle des Kurznachrichtendienstes Twitter Informationen aus Krisengebieten sammelt, das andere System konzentriert sich auf die sozialen Netzwerke in Syrien, um die Optionen der USA im syrischen Bürgerkrieg auszuloten. Dort wollen die Vereinigten Staaten insbesondere sicherstellen, dass keine Massenvernichtungswaffen in die Hände von Terroristen gelangen, berichtet das Technikportal "TechHive".

Software erkennt Stimmung in der Bevölkerung
Die Twitter-Spionagesoftware namens "Dynamic Twitter Network Analysis" (DTNA) nutzt dabei öffentlich zugängliche Daten aus den Twitter-Feeds der auszuspionierenden Region und sortiert diese nach Schlagwörtern, Phrasen oder Hash-Tags. Auf diese Art und Weise hoffen die US-Geheimdienste, künftig besser über die Stimmung der Bevölkerung in instabilen Gebieten im Bilde zu sein und Vorfälle wie die Erstürmung der US-Botschaft im libyschen Bengasi vorhersehen und möglicherweise verhindern zu können.

Das zweite derzeit erprobte System nutzt neben dem Twitter-Tool "DTNA" auch Daten aus anderen öffentlich zugänglichen sozialen Medien, etwa Facebook, YouTube oder Google. Die Daten werden anschließend einer sogenannten "Stimmungsanalyse" unterzogen. Dabei handelt es sich eigentlich um ein Instrument des Marketings, das vor allem von Unternehmen genutzt wird, um Informationen aus Social-Media-Streams zu gewinnen und diese auf Trends zu analysieren. "In der Wirtschaftswelt macht das jeder", sagt Bing Liu, Informatikprofessor an der University of Illinois in Chicago, der selbst mit diesem Werkzeug arbeitet, gegenüber "TechHive".

Marketing-Methoden nützlich für das Militär
Militärisch wurde diese Methode bislang noch nicht genutzt - erstaunlich, angesichts der Unmengen an öffentlich zugänglichen Daten aus den sozialen Netzwerken, die US-Geheimdiensten in Krisenherden wie Syrien zur Verfügung stehen. Vor allem die syrische Opposition setzt mangels militärischer Infrastruktur, wie sie die Armee und das Assad-Regime für die Kommunikation nutzen, auf die sozialen Medien, um sich zu koordinieren.

Da verwundert es nicht, dass die Facebook-Gruppe "The Syrian Revolution 2011" fast 650.000 "Gefällt mir" und der zugehörige Twitter-Kanal über 78.000 Follower hat. Über diese Kanäle verbreiten die syrischen Rebellen nicht nur Fotos und Videos aus Krisenherden, die Geheimdiensten bei der Einschätzung der Lage vor Ort helfen können. Die syrische Opposition informiert darin sogar über Truppenbewegungen, Angriffsziele und Opferzahlen.

Syrische Rebellen nutzen Google Maps
Eines der bemerkenswertesten Fundstücke, auf die das Forschungsteam bei der Auswertung der Daten aus Syrien stieß, war eine Landkarte bei Google Maps, auf der die Widerstandskämpfer alle 24 Stunden die aktuellsten Entwicklungen im syrischen Bürgerkrieg eintragen. "Das ist eine Karte mit einem ziemlichen Wow-Faktor", sagt Seth Lucente, der das Projekt zur Überwachung syrischer sozialer Medien leitet. "Sie setzen die sozialen Medien echt wirkungsvoll ein", fügt er hinzu.

Reinen Übungscharakter hat die Überwachung der sozialen Medien Syriens aber nicht. Auch wenn die Technologie noch erprobt wird, hat sie bereits erste Früchte getragen. So ging es den USA in den ersten Tests vor allem auch darum, mithilfe der sozialen Medien Einrichtungen zu entdecken, die in den falschen Händen eine Gefahr darstellen. Fündig wurden die Aufklärer im Umkreis der schwer umkämpften Stadt Homs, die wegen ihrer Funktion als Autobahndrehscheibe sowohl von Assad-treuen Truppen als auch von den Rebellen als strategisch wichtiger Ort betrachtet wird.

Vier gefährliche Einrichtungen entdeckt
Die Analyse unzähliger Facebook-Posts und YouTube-Videos sowie der Daten der NGO "Nuclear Threat Initiative" brachte dann vier verschiedene Einrichtungen in und um Homs zutage, die im Falle einer Kapitulation des Assad-Regimes die Gefahr bergen, dass Gefahrengut Terroristen in die Hände fällt: eine Chemiefabrik, eine Düngemittelfabrik, eine Ölraffinerie und ein Werk zur Uran-Wiederaufbereitung.

Die sozialen Netzwerke hatten schließlich auch das passende Mittel parat, diese Einrichtungen im Falle eines Falles vor der Plünderung durch Terroristen zu schützen. Über Facebook und YouTube konnte das Team um Seth Lucente eine Reihe syrischer Widerstandsgruppen in der Gegend um Homs ausfindig machen. Die könnten die USA im Falle einer Niederlage der Assad-Truppen darum bitten, die Einrichtungen vor Plünderern zu schützen und so zu verhindern, dass gefährliche Materialien in die falschen Hände geraten.

Auch wenn die Möglichkeiten, die öffentlich zugängliche Daten militärischen Geheimdiensten bieten, auf den ersten Blick hoch interessant wirken, gilt es für Lucente und sein Team zunächst noch, einige Verbesserungen an den verwendeten Überwachungs-Tools vorzunehmen. Derzeit habe das US-Militär nämlich noch Probleme, fremdsprachige Informationen auszuwerten, weshalb man sich nun ganz besonders auf diesen Bereich konzentrieren werde.

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