Van ihr wollt...

BMW Active Tourer: Recodierung des Heiligen Grals

Motor
30.12.2014 00:32
Mit Heiligen Gralen ist das so eine Sache. Man darf sie nicht angreifen, sonst geht mindestens die Welt unter. BMW hat hingegen gewagt, den seinen sogar in dreifacher Hinsicht zu kompromittieren: Die Münchner bauen jetzt einen Van (!) mit Frontantrieb (!) und Dreizylindermotor (!)! Schlimmer geht's nicht? Könnte man meinen. Aber dann hat mich der BMW 218i Active Tourer regelrecht bekehrt.
(Bild: kmm)

Das mit Heckantrieb & Co war sicher bereits in die Rückseite von Moses' Gebotstafeln gemeißelt (wurde in der Bibel aber ignoriert). Zwischen neugierig und widerstrebend nehme ich also das Einstiegsmodell des 2er Active Tourer in Empfang und stelle gleich mal fest, dass er in Echt besser ausschaut als auf Fotos. Ein optisches Highlight ist der Heckscheibenwischer: Der ist praktisch unsichtbar unter dem Dachspoiler versteckt. Wer von einer B-Klasse mit BMW-Niere spricht, der stelle sich selbst die Frage, ob jedes Schrägheckauto ein Golf mit xy-Logo ist.

Der erste Blick in den Innenraum: Sportsitze, die sofort die Phantasie schneller Kurvenfahrten wecken. BMW wird doch wohl nicht? Doch, sie werden! Der Active Tourer ist mit seinem krispen, fast harten Fahrwerk der Sportler unter den Pampers-Bombern. Der 1,3-Tonner wieselt um die Ecke wie ein Haken schlagender Hase, ermöglicht völlig entspannt hohe Kurvengeschwindigkeiten, dabei gibt mir die extrem direkte und verbindliche Lenkung das Gefühl, jede Straße beim Vornamen rufen zu können. Fühlt sich an wie eine geglückte Kreuzung aus MINI und BMW, was es genau genommen auch ist, denn die Frontantriebsarchitektur stammt natürlich vom MINI.

Alles eine Frage der Recodierung
Was im Mini Cooper sowie (leistungs- und soundgestärkt) im BMW i8 für Spaß sorgt, ist hier im BMW Active Tourer auch voll in seinem Element: Der Einstiegsbenziner, der aus seinen drei Töpfen 136 PS holt, begeistert mich mit phänomenalem Durchzug. Sein maximales Drehmoment von 220 Nm liefert er von 1.250 bis 4.300/min. ab, und das spürt man in jeder Lage. Steig aufs Gas und es geht zur Sache. Ich bin ja eigentlich kein Fan von Dreizylindersound in einem Auto (außer bei Kleinwagen, da ist es mir egal), aber die Motorcharakteristik lässt mich den Dreitopf anders wahrnehmen. Wenn man es schafft, für sich den Sound von "nerviger Dreizylinder" auf "sportlich" zu recodieren, kann man richtig Spaß haben.

Abgesehen davon, dass man den Motor die meiste Zeit eh nicht hört, weil man mit niedrigen Drehzahlen auskommt oder sogar einfach nur dahinrollt, im EcoPro-Modus sogar im automatischen Leerlauf, wenn man vom Gas geht. Tolle Einrichtung, dieser "Segel-Modus", den die Automatik bietet - man muss sich nur daran gewöhnen, früher als üblich vom Gas zu gehen, weil ja keine Motorbremswirkung einsetzt.

Besonders auffällig ist, wie fix die Stopp-Start-Automatik arbeitet. Die schalte ich sonst fast immer ab (weil ich dafür zu ungeduldig bin), aber hier stört sie nicht im Mindesten, weil der Motor sofort und ohne Verzögerung voll da ist, sobald ich den Fuß von der Bremse nehme. Komfortabstriche muss man lediglich bei der vom Mini stammenden Sechsgangautomatik machen, die recht ruppig arbeitet. Die bei BMW übliche Achtgang-Automatik gibt es nicht für die Basis-Motorisierungen.

Verbrauchswunder darf man sich von dem Turbo-Aggregat keine erwarten: Der Testverbrauch von 8,5 l/100 km überstieg die Normangabe um mehr als drei Liter.

Van ihr wollt: Die Van-Qualitäten des Active Tourer
Bei allem für einen BMW angemessenen Spaß dürfen natürlich die Qualitäten nicht zu kurz kommen, derentwegen man überhaupt auf diese Fahrzeugkategorie zurückgreift. Und auch da gibt sich BMW bei seinem Erstlings-Van keine Blöße. Die Rückbank ist geteilt verschiebbar, die Rücklehnen lassen sich per Hebelzug vom Kofferraum aus kantenlos flachlegen. Die Heckklappe schwingt serienmäßig elektrisch auf, optional reicht ein Kick unters Heck als "Sesam-öffne-dich". In den Kofferraum lassen sich über die niedrige Ladekante 468 bis 1.510 Liter wuchten. Auch für die Insassen ist genug Platz.

Die Übersichtlichkeit nach hinten geht in Ordnung, nach vorn seitlich, also beim Kurvenfahren, würde ich gern mehr sehen. Trotz des kleinen Extra-Fensters in der A-Säule – hinter das massive Kreuzeck passt einiges.

Innenraum ist BMW, aber anders
Lässt man innen den Blick schweifen, fühlt man sich – wenn man BMW kennt – sofort zu Hause. Und dennoch schaut es hier anders aus als gewohnt. Die ganze Konsole ist relativ hoch an gesetzt und weist eine andere Form auf als üblich. Der Mittelteil kommt relativ weit heraus, was ein wenig an einen Unterbiss erinnert. Darunter ist in der Mitte ein praktischerweise recht hoch platziertes (und mit Gummi ausgelegtes) Ablagefach angebracht. Dessen eleganter Deckel ist allerdings ein Fingernagelmörder. Die Materialien passen gut, für meinen Geschmack könnte es (jedenfalls in der Zusammenstellung des Testwagens) etwas weniger Klavierlack sein.

Auch im Active Tourer geizt BMW nicht mit Möglichkeiten, Fahrerassistenzsysteme dazuzubuchen. Der Testwagen etwa ist mit dem Driving Assistant ausgestattet, der (wie es andere auch machen) etwas zu häufig warnt und ab 70 km/h vibriert, wenn man die Spur verlässt, ohne zu blinken. Auch ein Head-up-Display ist hier an Bord – zwar nur mit einer extra Display-Scheibe, dennoch praktisch. Unnötig ist der Tempolimitassistent, weil er viel zu häufig Unsinn anzeigt: So macht er den Fahrer glauben, dass fast im gesamten Verlauf der Südosttangente (A23) Tempo 60 vorgeschrieben ist (tatsächlich gilt fast durchgehend 80 km/h). Vom Regensensor würde ich mir ein wenig mehr Arbeitseifer erwarten.

Unterm Strich
Der BMW 2er Active Tourer ist für mich eine der Überraschungen des Jahres, denn wider Erwarten mag ich ihn. Ja, das ist subjektiv, aber wer kauft sich ein Auto schon nach rein objektiven Merkmalen? Jedenfalls kann man ihm nicht viel vorwerfen, außer dass ein BMW weder Frontantrieb noch Dreizylinder haben darf und kein Van sein darf. Hat man das abgehakt, kann man ganz entspannt in einem sportlichen, praktischen, familien- und reisetauglichen Auto unterwegs sein. Scheitert die Liebe wirklich am Frontantrieb, gibt es immer noch die Allradversion.

Spannend ist jetzt noch eines: Recodiert der Active Tourer die Marke BMW in Richtung Familie (zulasten des sportlichen Images) oder recodiert die Marke BMW die Fahrzeuggattung Familien-Van in Richtung "eigentlich eh auch cool"? Manchmal müssen Glaubensfragen einfach gestellt werden.

Warum?

  • Bietet viel Fahrspaß UND ist praktisch
  • Der Sportler unter den kompakten Familienvans

Warum nicht?

  • Nur Hardliner wenden sich ab.

Oder vielleicht …

… VW Golf Sportsvan und Mercedes B-Klasse, aber der Charakter ist klar definiert.

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(Bild: kmm)



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