Es gibt also sehr wohl schon Leiden, deren Risiko man an der Erbsubstanz abschätzen kann. Allzu große Euphorie ist allerdings noch nicht angebracht. Beim heutigen Stand der Wissenschaft sind diesem relativ jungen medizinischen Feld noch viele Grenzen gesetzt, auch, weil ganz einfach die Erfahrungslage fehlt.
Seit etwa einem Jahr verfügt das Wiener Hanusch-Krankenhaus (Ärztlicher Direktor Prim. Univ.-Prof. Dr. Klaus Klaushofer) über eine genetische Beratungsstelle. Am "Zentrum für Medizinische Genetik" werden Patienten mit Verdacht auf das Vorliegen oder erhöhtem Risiko für das Auftreten einer genetisch bedingten Erkrankung beraten.
"Zu uns kommen zum Beispiel Menschen, in deren Familie häufig bestimmte Krebsarten aufgetaucht oder viele jüngere Mitglieder an plötzlichem Herztod verstorben sind", erklärt Priv. Doz. Dr. Gökhan Uyanik, Facharzt und Leiter des Zentrums für Medizinische Genetik. "Außerdem bieten wir Beratungsgespräche an, wenn in der Schwangerschaft Auffälligkeiten beim Kind festgestellt werden oder die Eltern verwandt sind, etwa Cousin und Cousine."
In diesem Fall treten rezessive Erkrankungen häufiger auf, zum Beispiel kann die zystische Fibrose (Mukoviszidose) zum Problem werden. Bei dieser Krankheit, bei der sich Körperflüssigkeiten verdicken und somit die Organe schädigen, hat sich in der Erbinformation ein bestimmtes Gen verändert. Immerhin trägt jeder 20. bis 25. die Anlage zu diesem Leiden. Sind nun die zwei Elternteile verwandt, ist die Chance größer, dass bei beiden dieselbe genetische Veränderung vorliegt. In diesem Fall würde ein gemeinsames Kind mit 25 Prozent Wahrscheinlichkeit erkranken.
"Ein weiteres Beispiel für das Aufsuchen einer genetischen Beratung ist die Veranlagung zu Brust- und Eierstockkrebs wie etwa bei Angelina Jolie", erklärt Fachärztin für Medizinische Genetik, Dr. Katharina Rötzer, ebenfalls am Hanusch-Krankenhaus Wien. "Bei etwa fünf Prozent aller erkrankten Frauen kann eine Genveränderung in einem der beiden wichtigsten bisher bekannten so genannten Brustkrebsgenen (BRCA 1 oder BRCA 2) nachgewiesen werden. Diese erhöhen das Risiko, an Brust- sowie Eierstockkrebs zu erkranken, und werden in der Regel von einem der beiden Elternteile vererbt – auch vom Vater! Weitere, aber weniger häufige Erkrankungen in betroffenen Familien sind Prostata-, Bauchspeicheldrüsen-, Magenkrebs sowie Melanome."
Die Wahrscheinlichkeit für die Weitergabe der veränderten Erbanlage an Kinder beträgt 50 Prozent. Es muss nicht jeder Mutationsträger auch an Krebs erkranken, das Lebenszeitrisiko für Brustkrebs ist bei Frauen aber mit bis zu 85 Prozent sehr hoch. Für Eierstockkrebs erhöht sich das Risiko auf bis zu 60 Prozent, Männer bekommen zwei- bis dreimal häufiger Prostatatumore.
"Wird nun eine krankheitsverursachende Mutation in einem der beiden Gene festgestellt, ist eine Testung weiterer Angehöriger – nach Aufklärung und Einwilligung – auf diese familiäre Veränderung möglich", erklärt Dr. Rötzer. "Gemeinsam mit einem interdisziplinären Team – auch psychologische Beratung wird angeboten – werden den Ratsuchenden verschiedene Optionen vermittelt. So entscheiden sich manche für intensivere Früherkennungsmaßnahmen (zeitlicherer Beginn und z.B. mit MR statt "normaler" Mammographie), andere für oben erwähnte Brust- oder Eierstockentfernung." Natürlich müssen diese schwerwiegenden Eingriffe genau besprochen sowie Vor- und Nachteile abgewogen werden. Sie ermöglichen allerdings eine Risikoreduktion für Brustkrebs von 85 auf unter fünf Prozent und für Eierstockkrebs von 30 bis 60 auf ein Prozent.
Bei manchen Leiden stellt ein Gentest sogar einen "Blick in die Zukunft" dar, etwa bei Chorea Huntington, einer vererbten schweren Krankheit des Gehirns, die früh zu körperlichen Einschränkungen und psychischen Auffälligkeiten führt. Liegen in einer Familie Fälle vor, kann man sich testen lassen und somit Gewissheit erhalten, ob "Huntington" auch bei einem selbst auftreten wird. Die Entscheidung, diese Untersuchung durchführen zu lassen, fällt naturgemäß schwer. "Manche Angehörige möchten nicht wissen, dass sie erkranken werden", so Dr. Rötzer. "Andere wollen es erfahren, um ihre Lebensplanung dementsprechend anzupassen."
Genetische Untersuchungen können also oft helfen, Diagnosen zu sichern und gezielte Maßnahmen einzuleiten. Wichtig ist aber eine Fachberatung durch Experten, um dem Ratsuchenden die Möglichkeiten, aber auch Grenzen der genetischen Diagnostik aufzuzeigen.
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