„Es gibt sicher keinen Pflegenotstand“ – mit diesem Satz verlor Wolfgang Schüssel vor fast 20 Jahren die Nationalratswahl an die SPÖ. Zwei Jahrzehnte später hat Österreich neuerlich mit einem Pflegenotstand zu kämpfen. Das zeigen Berichte aus Spitälern und Pflegeheimen sowie die Proteste gegen Gehaltskürzungen in Salzburg, die gerade eskalieren.
Als der damalige Kanzler Schüssel 2006 den Pflegenotstand herunterspielte, ging es in erster Linie um die 24-Stunden-Pflege durch Frauen aus dem benachbarten Osten. Viele davon waren illegal beschäftigt. Auch Schüssel selbst wurde im Wahlkampf damit konfrontiert, dass in seiner Familie eine illegale Pflegekraft beschäftigt sei.
Österreich rekrutiert mittlerweile aus Asien und Südamerika
Das Problem der Schwarzarbeit wurde inzwischen durch Vermittlungsagenturen und Ähnliches gelöst. Der Personalmangel ist geblieben. Geändert haben sich die Herkunftsländer der Pflegerinnen. Österreich holt sich mittlerweile Arbeitskräfte aus Asien und Südamerika. Aktuell ist etwa Außenministerin Beate Meinl-Reisinger in Kolumbien und besucht dort unter anderem ein Pflegekräfte-Rekrutierungsprojekt.
Die Versäumnisse der vergangenen Jahre sind evident. Schon seit Langem wird prognostiziert, dass der Pflegebedarf stark steigt. Dennoch ist eine umfassende Pflegereform bisher ausgeblieben. Es gab stattdessen „Miniverbesserungen“ und Symbolpolitik.
Wichtige Initiativen zur Förderung der Selbstständigkeit im Alter wurden nicht nachhaltig finanziert oder sogar eingestellt. Ein Beispiel ist das Pilotprojekt Community Nursing, das präventive Hausbesuche für Ältere anbot.
Die Pflege- und Sozialpolitik ist in Österreich zersplittert. Welche Leistungen Pflegebedürftige erhalten und wie viel sie dafür zahlen müssen, hängt stark vom Wohnort ab. Es fehlt ein österreichweit einheitliches Pflegesystem – stattdessen besteht ein unübersichtlicher Bundesländer-Fleckerlteppich mit unterschiedlichen Regelungen.
So betragen laut Erhebungen des WIFO aus dem Vorjahr die privaten Zuzahlungen in der mobilen Pflege in Wien und Niederösterreich rund 700 Euro im Monat, in der Steiermark und Kärnten sind es rund 450 Euro. Am wenigsten muss man in Salzburg berappen (330 Euro).
Es braucht mehr statt weniger Investitionen
Die Krise macht sich auch in Heimen bemerkbar. Schon jetzt können viele Einrichtungen nur durch Überstunden und Aufopferung des Personals den Mangel kaschieren. Fallen jedoch noch mehr Fachkräfte weg, lässt sich die Versorgung nicht mehr aufrechterhalten. Es braucht daher dringend mehr statt weniger Investitionen – in Personal, in Unterstützung für pflegende Familien und in Prävention.
„Die Zahl der pflegenden Angehörigen sinkt, während der Pflegebedarf weiter steigt. Diese Schere ist seit Jahren bekannt – doch die Politik hat den notwendigen Systemwechsel verpasst: weg von der Pflege als Privataufgabe von Familien und Frauen, hin zu einer öffentlichen Aufgabe, mit qualifizierten Pflegekräften und fairen Bedingungen. Statt zu investieren, wird weiter gespart und noch stärker auf 24-Stunden-Betreuung und ausländische Pflegekräfte gesetzt. Diese Strategie ist kurzsichtig, verantwortungslos und schadet Betroffenen, Angehörigen und Pflegepersonen – und letztlich uns allen“, sagt Raphael Schönborn, Demenzexperte und Geschäftsführer von KompetenzDemenz.at und PROMENZ.at.
Erst diese Woche hat sogar der Europarat Österreich zu mehr Bemühungen um Pflegepersonal geraten. Auch das Anti-Folter-Komitee (CPT) stellte bei einem kürzlichen Besuch einen Personalmangel fest. In seinem Bericht empfiehlt es den heimischen Behörden, ihre Bemühungen weiter zu verstärken, um sicherzustellen, dass in allen Dienstgraden und Fachbereichen eine ausreichende Anzahl entsprechend ausgebildeter Pflege- und Betreuungskräfte zur Verfügung steht.
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