Das pinke Boot gleitet über die Wellen, die Sportlerinnen paddeln im Takt. Zuschauer ahnen nicht, was hinter dem farbenfrohen Spektakel steckt: Die Frauen im Team haben oder hatten Brustkrebs. Im Drachenboot sitzen sie nun Seite an Seite, finden ihren Rhythmus – und entdecken neue Kraft, Lebensfreude sowie Zusammenhalt. Dieses Paddeln ist mehr als nur Sport!
„Es ist eine Schwesternschaft, eine weltweite Bewegung und anerkannte Maßnahme zur Rehabilitation für Brustkrebsbetroffene“, schwärmt Julia Glocker, Präsidentin der Vienna Pink Dragons, dem ersten „Pink Paddling“ -Team in Österreich (gegründet 2015). „Die Trainingseinheiten auf dem Wasser sind nicht nur wichtig für die körperliche Fitness, sie bedeuten auch psychisch und sozial einfach unglaublich viel.“
Die 50-Jährige hat zum zweiten Mal die Diagnose Brustkrebs erhalten und unterzieht sich einer Behandlung. Doch nur selten lässt sie sich davon abhalten, mit ihren „Dragons“ ins Boot zu steigen. „Frisch nach der Operation hab ich mich einfach nur hineingesetzt und mich herumführen lassen. Das hat mir einfach gutgetan, dabei zu sein, in der frischen Luft, am Wasser, in guter Gesellschaft.“
Jede gibt, was sie kann
Das ist nämlich eine Besonderheit des Drachenboot-Sports: Jedes Teammitglied gibt so viel, wie es kann. Man vermag mit 50 Prozent seiner Kraft zu paddeln, mit mehr oder weniger. Es ist auch möglich, jederzeit das Paddel ins Boot zu holen und zu pausieren. Die anderen 19 Frauen übernehmen den Part. „Wir tragen deine Last mit, bei uns kannst du dich fallen lassen“, zeigen wir einander damit, so Julia Glocker.
„Gemeinsam zu paddeln, nährt meine Seele“, stimmt auch Claudia Schauflinger zu, die 2023 zum Team stieß. „Einfach den Kopf ausschalten können, nicht nur an Krebs denken, sondern im Moment sein, im Takt in dieser so kraftvollen Bewegung und wunderbaren Gruppe.“
Die Pink Dragons arbeiten zusammen und trainieren mit dem Wiener Ruderclub Pirat (Dampfschiffhaufen 65, 1220 Wien). Egal ob frisch diagnostiziert, mitten im Leben oder schon lange in der Nachsorge, Brustkrebs-Betroffene können jederzeit ein Schnuppertraining ausmachen: www.pinkpaddling.at.
Auch in sozialen Medien sind die Vienna Pink Dragons zu finden. Ziel ist es, das Paddling in ganz Österreich zu etablieren.
Es geht bei weitem nicht nur um den Sport an sich. „Wir können über alles offen sprechen, tauschen uns zu allem aus, auch was den Krebs angeht. Wir sitzen ganz plakativ formuliert einfach alle im selben Boot“, lacht die 43-Jährige. Auch sie musste erfahren, dass ihr Krebs wieder aufgeflammt ist. „Es ging mir diesmal jedoch nicht halb so schlimm wie bei der ersten Diagnose, denn ich wusste, wen ich anrufen kann, und kenne jetzt so viele starke Frauen, die ebenfalls ein Rezidiv hatten und gut damit umgehen.“
Ein kanadischer Arzt als Urvater
Die Drachenboot-Bewegung für Brustkrebs-Patientinnen fand ihren Ursprung in Kanada. Sie entstand zu einer Zeit (1990er), als das Mammakarzinom oft noch radikal mit der Entfernung der gesamten Brust und nahe liegenden Lymphknoten behandelt wurde. Außerdem wurden betroffen Frauen dazu angehalten, ihre Arme möglichst nicht zu bewegen, um kein Lymphödem (Flüssigkeitsansammlung im Zwischenzellraum) zu bekommen. Sie sollten sich schonen, und schon gar keinen Sport machen!
Der kanadische Sportmediziner Dr. Don McKenzie hatte eine andere Theorie dazu: Er vermutete, dass wiederkehrende Armbewegung einem Lymphödem sogar vorbeugen würden. Dazu machte der engagierte Arzt entsprechende Studien und gründete 1996 das erste Drachenboot-Team für Brustkrebsüberlebende. Dr. McKenzie fand heraus: Keine einzige der von ihm untersuchten Frauen entwickelte ein Lymphödem und außerdem waren sie insgesamt physisch viel fitter und fühlten sich besser. Sie konnten wieder Vertrauen in ihren Körper aufbauen.
Man weiß heute überdies, dass Sport und Bewegung bei Brustkrebs sehr wichtige Maßnahmen darstellen, da sie das Überleben verbessern, die Lebensqualität steigern und Nebenwirkungen der Behandlung wie Fatigue lindern können. Die Rezidiv-Rate sinkt außerdem massiv!
Weltweit pinke Teams
Aus Don McKenzies Engagement wurde eine Bewegung: Heute paddeln weltweit über 400 Pink Teams auf allen Kontinenten – verbunden durch ein gemeinsames Ziel: Stärke finden nach der Krankheit, sich selbst wieder spüren, gemeinsam unterwegs sein. Eine Schwesternschaft über Grenzen und Sprachen hinweg. Das erlebte sie selbst, also sie sich auf Urlaubsreise spontan und problemlos einer Trainingseinheit in den USA anschloss.
Erstmals wurde heuer bei der Drachenboot-WM in Brandenburg (D) auch eine Brustkrebskategorie ausgerufen und darin gestartet. „Wir nehmen ebenfalls an solchen Wettbewerben teil. Es gibt also auch einen kompetitiven Aspekt, dennoch sind alle Frauen eine große Familie – dabei sein ist alles“, erzählt Präsidentin Julia Glocker. „Nächstes Jahr findet ein Festival in Frankreich statt, bei 4500 Frauen aus aller Welt zusammenkommen.“
Auch der Abschied gehört dazu
Der Zusammenhalt im Team wird gerade auch dann spürbar, wenn es einem der „Drachen“ schlechter geht, vielleicht sogar das Lebensende naht. Die Wiener Paddler haben leider bereits drei Kolleginnen verloren, doch selbst das schweißt sie zusammen. Das Team ist in allen Lebenslagen und Krankheitsphasen füreinander da.
„Mir würde unglaublich viel fehlen, wenn ich meine ,Pinkies´ nicht kennengelernt hätte. Und in dieser Hinsicht möchte ich den Krebs nicht missen, denn ohne ihn hätte ich mein Leben nicht so positiv verändert, wie ich es verändert habe“, ist Julia Glocker trotz allem dankbar.
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