Lebenszeichen in Video

Mutter von Geisel: „Will das Lächeln wiedersehen“

Außenpolitik
06.09.2025 19:00

Die islamistischen Terroristen der Hamas veröffentlichten am Freitag ein Video mit zwei noch lebenden israelischen Geiseln. Einer der beiden war Alon Ohel. Die „Krone“ traf dessen Mutter im Mai in ihrem Haus in Lavon. Eine Begegnung mit einer Frau, die keinen Hass empfindet. Nur Liebe und Sehnsucht nach ihrem Sohn.

Im Wohnzimmer von Idit Ohel steht ein schwarzes Klavier. Der Deckel ist geöffnet, die Tasten sind staubfrei, als würde gleich jemand Platz nehmen und spielen. Doch seit jenem Abend, dem 6. Oktober 2023, hat niemand mehr das Instrument berührt. „Alon hat es offen gelassen, bevor er zum Festival fuhr“, sagt seine Mutter. „Er hat es sonst immer geschlossen.“

Es ist ein Detail, das sich tief in die Erinnerung der 52-Jährigen eingebrannt hat. Ihr Sohn, der 24-jährige Alon Ohel, wurde am Morgen des 7. Oktober beim Angriff der Hamas vom Nova-Festival verschleppt. Seitdem sitzt sie in ihrem Haus im Dorf Lavon, hoch im grünen Norden Israels, und wartet.

Neben dem Klavier hängt noch immer Alons Hemd über dem Sessel. „Ich konnte es nicht wegräumen“, sagt sie und streicht mit der Hand über den Stoff. Jeder Gegenstand erzählt von Abwesenheit.

(Bild: privat)

Dann begannen Raketen einzuschlagen
Idit Ohel rekonstruiert diesen Tag immer wieder, wie eine Partitur, die sie zwangsläufig auswendig gelernt hat. Um 5.30 Uhr tanzte ihr Sohn mit Freunden, eine halbe Stunde später begannen Raketen einzuschlagen. Gemeinsam mit Dutzenden floh er in einen kleinen Betonunterstand am Straßenrand. Platz war dort höchstens für sieben Menschen, an jenem Morgen drängten sich 29 hinein. Um kurz vor 8 Uhr morgens hatte sie ein letztes Mal Kontakt zu ihrem Sohn. Dann: Funkstille.

Dann kamen die Terroristen. Sie warfen Granaten in den Bunker, schossen, holten vier junge Männer lebend heraus. 19 blieben tot zurück. Unter den Verschleppten: Alon.

Alon Ohel
Alon Ohel(Bild: AFP/-)

Das rechte Auge wurde zerstört
Idit hält inne, ihre Stimme bricht, als sie sagt: „Es hätte jeden treffen können. Jeden Sohn, jede Tochter.“ Von den freigelassenen Geiseln weiß sie, wie ihr Sohn und andere im Untergrund ausharren: in engen Kammern, ohne Tageslicht, oft mit nur einem Stück Fladenbrot am Tag. „Sie wissen nicht, ob es Tag oder Nacht ist“, erzählt sie. „Nur die Gebetsrufe der Hamas geben ihnen eine Ahnung von der Zeit.“

Alon ist verletzt, ein Splitter hat sein rechtes Auge zerstört. Ohne Behandlung droht auch das linke zu erblinden. 490 Tage nach seiner Entführung, am Geburtstag seiner Schwester Inbar, erhält die Familie das erste Lebenszeichen. Nun das zweite. Hoffnung keimt auf.

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Sie wissen nicht, ob es Tag oder Nacht ist. Nur die Gebetsrufe der Hamas geben ihnen eine Ahnung von der Zeit.

Idit Ohel, Mutter der Hamas-Geisel Alon Ohel

Musik war von Anfang an Teil seines Lebens: Schon in der Schwangerschaft legte die Mutter Kopfhörer auf ihren Bauch. Mit neun bat er um Klavierunterricht. „Wir kauften ihm zuerst ein Keyboard“, erzählt sie. Doch die Lehrerin weigerte sich, weiter zu kommen. „Dieses Kind braucht ein richtiges Klavier“, habe sie gesagt. Heute steht das dritte Instrument im Wohnzimmer, das, auf dem er zuletzt spielte.

Alon bestand seinen Schulabschluss mit einer Musikprüfung, die normalerweise drei Jahre Vorbereitung braucht – er schaffte es in fünf Monaten, übte täglich stundenlang. Seine Spezialität: Debussy, Bach, Jazzimprovisationen. „Er geht, als würde er ständig Musik hören, selbst wenn keine läuft“, sagt seine Mutter.

Das bange Warten
Sie zeigt Videos auf ihrem Handy: Alon beim Jazz, Alon beim Lachen, Alon auf Reisen, wie er seine Mutter am Flughafen umarmt. „Diese Umarmung, dieses Lächeln“, sagt sie leise, „darauf warte ich.“

In Tel Aviv erinnert ein Klavier an ihn, aufgestellt auf dem sogenannten Geisel-Platz. Dort versammeln sich Angehörige, spielen Musikstücke, halten die Erinnerung wach. Auch in anderen Städten – von New York bis Berlin – stellten Menschen gelbe Klaviere auf öffentliche Plätze, als Zeichen der Solidarität.„Es ist, als würde sein Spiel weiterklingen, auch wenn er nicht da ist“, sagt seine Mutter.

Idit Ohel lebt inzwischen in einem Zustand zwischen Aktivismus und Erstarrung. Sie reist zu Konferenzen, spricht mit Politikern, bittet um internationale Hilfe. Und doch bleibt sie gefangen im Warten, in ihrem Haus voller Spuren. „Jeden Tag schaue ich auf das Klavier“, sagt sie. „Ich will, dass er zurückkommt, sich hinsetzt und weiterspielt. Dass ich wieder dieses Lächeln sehe.“

Am Ende des Gesprächs sagt sie: „Alon, wir lieben dich. Du bist stark. Bitte halte durch. Wir tun alles, um dich zurückzuholen.“ Nun hat die Familie die Gewissheit: Alon lebt noch.

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