Bahn frei für Opel

Chevrolet zieht sich praktisch aus Europa zurück

Motor
05.12.2013 18:52
Eben noch totgesagt, kickt Opel nun Chevrolet vom europäischen Markt. Eine Traditionsmarke, die wie kaum eine andere für das amerikanische Auto steht. Liebhaber digital animierter Schnellschnecken hätten diese Entwicklung allerdings vorhersehen können.
(Bild: kmm)

Nehmen wir mal an, eine durchschnittliche Gartenschnecke gerät in den Ansaugtrakt eines bis zum Gehtnichtmehr getunten Chevrolet Camaro. Wird sie dann zu einem unappetitlichen Etwas zerquetscht und durch den Auspuff wieder ausgehustet? Wenn es nach den Machern des Animationsfilms "Turbo" geht, ist das Gegenteil der Fall: Sie zapft die DNA des Chevy an und gewinnt Superkräfte, die sie zur Schnellschnecke machen. Künftig wird sie jeden Camaro versägen und sogar auf Rennstrecken siegen.

Das mag eine verrückte Idee sein – und doch nahm der jüngste Film der Dreamworks-Studios im Grunde die aktuelle Entwicklung auf dem europäischen Markt vorweg. Chevrolet kooperierte sogar mit den Filmemachern, brachte ein animiertes Abbild des Camaro in dem Streifen unter und warb mit einer realen Studie des Autos. Die Schnecke mit dem Namen Turbo hätte allerdings auch Opel heißen können. Sie ließ den bärenstarken Chevrolet alt aussehen und siegte ausgerechnet in Indianapolis, dem "Heart of American Racing", in das der Hersteller gerade erst als Motorenlieferant zurückgekehrt ist.

Opel gegen Chevrolet – das war in der Vergangenheit ein ungleicher Kampf. Hier die kleine deutsche General Motors-Tochter, die sich dem Willen der Konzernzentrale zu beugen hatte. Dort die mächtige Marke Chevrolet, die gerade in Europa wie kaum eine andere für den sprichwörtlichen Straßenkreuzer oder Amischlitten schlechthin stand. Bis im Jahr 2005 jemand auf die Idee kam, das Chevrolet-Logo ausgerechnet auf koreanischen Daewoo-Erzeugnissen anzubringen. Das brachte einerseits das Image ins Wanken, war aber andererseits vom Konzept her so erfolgreich, dass es erneut Opel in Bedrängnis brachte.

Chevrolets bewegte Geschichte
Und nun der Rückzug – dorthin, wo alles angefangen hat, nach Amerika. Ausgerechnet ein aus der Schweiz stammender Mann mit französisch klingendem Namen legte dort Anfang des 20. Jahrhunderts den Grundstein für die vielleicht amerikanischste aller amerikanischen Automarken. Der 1878 geborene Louis Chevrolet gründete 1911 seine Firma und baute Autos, mit denen er dem legendären T-Modell von Ford Konkurrenz machen wollte. Mit einigem Erfolg: Vom Erstling Chevrolet Classic Six setzte er zwischen 1912 und 1914 immerhin rund 10 000 Exemplare ab.

Schon 1918 kaufte General Motors die Chevrolet Motor Company und formte sie zur Volksmarke. Bis zum Ende der 1920er-Jahre hatte Chevrolet den ewigen Marktführer Ford vom Spitzenplatz verdrängt. Überraschend daran: Während Chevy heute auch als Synonym für mächtige V8-Motoren aus den USA gilt, stand man zunächst solchen Motoren ablehnend gegenüber. Sogar viele Jahre und Jahrzehnte – erst 1954 wurde der erste Achtzylinder der Marke eingeführt.

Corvette und Bel Air prägten die Marke
Genau zu jener Zeit begann auch der endgültige Aufstieg Chevrolets zu einer amerikanischen Ikone. Ein Jahr zuvor hatte man 1953 die erste Generation des heute legendären Sportwagens Corvette präsentiert. Gleichzeitig gingen die Modelle der Bel Air-Reihe an den Start, die über viele Generationen und nicht zuletzt durch den Einsatz in unzähligen Hollywoodfilmen zum weltweiten Synonym der amerikanischen Familienkutsche werden sollten.

Me too als Erfolgsrezept
Doch ein wirklicher Vorreiter war die Marke Chevrolet im Grunde nie. Ihr Erfolgsrezept bestand darin, dass sie Antworten auf Ideen der Konkurrenz gab – oft richtige, manchmal auch falsche. Nicht wirklich richtig war etwa der Chevrolet Corvair von 1959 als Antwort auf den VW Käfer: Ein Auto in großzügigem US-Format mit luftgekühltem Heckmotor. Berühmt und berüchtigt wurde der Corvair vor allem wegen seines Fahrverhaltens, das sich bestenfalls als gewöhnungsbedürftig bezeichnen ließ.

Die meisten Antworten gab Chevrolet jedoch auf Ford-Aktivitäten: Führte der Konkurrent ein neues Mittelklassemodell ein, zog man nach, feierte Ford mit einem Sportwagen Erfolge, musste ebenfalls einer her. Viele diese Modelle sind heute kaum mehr der Rede wert. Doch Chevrolets Antwort auf den Ford Mustang wurde ebenfalls zu einem Klassiker: Der Camaro.

Dieses Modell wird künftig wie auch die Corvette vermutlich allein das Chevrolet-Banner in Europa hochhalten müssen. Denn ab 2016 will man hier allein jene Fahrzeuge anbieten, die der Europäer als echte US-Ikonen ansieht.

Ein Himmel voller Fragezeichen
Das sind die Fakten – aber warum diese Fakten nun Fakten sind, dazu zucken selbst ausgewiesene Experten auch viele Stunden nach der Bekanntgabe der Pläne immer noch mit den Schultern. "Wir haben das mit Verwunderung zur Kenntnis genommen. Das ist schon ein Kracher", sagt etwa Andreas Bremer vom IfA Institut für Automobilmarktforschung.

Überrascht zeigt sich Bremer vor allem vor dem Hintergrund, dass General Motors in den vergangenen Jahren sehr viel Geld in die Wandlung von Daewoo zu Chevrolet steckte. Es wurde reichlich Werbung gemacht, für teures Geld ein Händlernetz installiert. Andreas Bremer ist gespannt, wie das Unternehmen nun mit den Händlern umgehen wird – schließlich beraubt der Sinneswandel die im Grunde ihrer Existenzgrundlage.

In Rüsselheim dagegen dürfte man sich die Hände reiben, ist vielleicht auch etwas stolz auf eventuell geleistete Lobbyarbeit im Hintergrund. Die Schnellschnecke mit der reichlich aufgesogenen Chevrolet-DNA hat ihren Garten nun wieder ganz für sich allein.

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(Bild: kmm)



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