Fehlende Kassenärzte, lange Wartezeiten auf einen Termin: Andreas Huss, Obmann der österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) will die vielen Probleme im Gesundheitswesen angehen.
Mit erstem Juli hat Andreas Huss turnusmäßig wieder die Obmannschaft in der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) übernommen. Im Rahmen seiner Sommertour durch die Bundesländer weilte er jüngst auch im Ländle. Die „Krone Vorarlberg“ hat die Gelegenheit genutzt und mit ihm über die im Scheitern begriffene Kassenfusion, Sparmaßnahmen, die explodierenden Zahlen von Privatversicherten und die umstrittenen Trinkgeldpläne für die Gastronomie gesprochen.
„Krone“: Tirols Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) hat die Kassenfusion kürzlich als „Fehler“ bezeichnet und neuerlich eine heftige Debatte angestoßen. Sehen sie das auch so?
Andreas Huss: Die strikte Zentralisierung war sicher ein Fehler, den ich schon lange intern kritisiert habe. Landeshauptmann Mattle hat recht, wenn er eine stärkere regionale Anbindung der ÖGK fordert. Ich hoffe, dass jetzt die Zeit dafür kommt und wir das in der ÖGK endlich angehen können. Mir ist ebenfalls wichtig, dass die Selbstverwaltung künftig wieder eine echte Selbstverwaltung der Versicherten wird. Denn derzeit schaffen in der ÖGK nicht die Versicherten, sondern die Wirtschaftskammer an.
Wie könnte eine „Reform der Reform“ aussehen?
Jedenfalls kein Zurück zu neun Gebietskrankenkassen. Das wäre ein Rückschritt, der niemanden etwas bringen würde. Wir brauchen einheitliche Versorgungsstrukturen in ganz Österreich und einen einheitlichen Gesamtvertrag mit den Ärztekammern. Das Geld, welches uns durch die Kassenfusion entzogen wurde, müssen wir zurückbekommen. Es geht hier mittlerweile um fast zwei Milliarden Euro. Es braucht dringend einen Finanzierungsplan mit Bundesmitteln für die nächsten zehn Jahre, da führt kein Weg vorbei.
Als Sparmaßnahme haben Sie Selbstbehalte etwa bei Krankentransporten wiedereingeführt. Könnte das in anderen Bereichen auch noch folgen?
Dazu ein klares Nein. Die Wiedereinführung dieses Selbstbehaltes, welchen es bereits bis 2018 in den jeweiligen Kassen gab, war nötig, weil uns in diesem Bereich die Kosten binnen nur fünf Jahren um 80 Prozent explodiert sind. Da ist mit den Transportverordnungen sehr locker umgegangen worden. Wir haben aber viele Ausnahmen geschaffen, um schwer kranke oder wirtschaftlich sehr schlecht gestellte Menschen weiterhin zu entlasten.
Mittlerweile bezahlen die Menschen rund 24 Prozent – das sind immerhin zwölf Milliarden Euro – der Gesundheitsausgaben aus der privaten Tasche.

ÖGK-Obmann Andreas Huss
Bild: Vondrak
Die privaten Gesundheitsausgaben haben ein neues Rekordniveau erreicht, während der Anteil öffentlicher Finanzierung sinkt. Wie soll eine Zwei-Klassen-Medizin verhindert werden?
Das ist das ganz zentrale Problem in Österreich. Durch das einzigartige Wahlarztsystem und die Verknüpfung zwischen öffentlicher und privater Spitalsversorgung ist ein viel zu großer Privatmarkt entstanden. Mittlerweile bezahlen die Menschen rund 24 Prozent – das sind immerhin zwölf Milliarden Euro – der Gesundheitsausgaben aus der privaten Tasche. Das sind pro Person rund 1200 Euro im Jahr. Das hat mit einem solidarischen Gesundheitssystem nichts mehr zu tun, denn viele Menschen können sich das nicht leisten. Daher ist es dringend nötig, die öffentliche Finanzierung zu verbessern. Wenn wir die Privatausgaben abziehen, sind wir bei den Gesundheitskosten gerade mal im Mittelfeld der Europäischen Union. Das ist für ein so reiches Land wie Österreich unwürdig.
Die Ärztekammer wirft der ÖGK vor, seit Jahren keine attraktiven Kassenverträge anzubieten und so den Wahlarzt-Boom mitverursacht zu haben. Was entgegnen sie dieser Kritik?
Ja, das Wahlarztsystem ist tatsächlich sehr attraktiv. Keine fixen Öffnungszeiten, freie Honorarfestlegung, freie Auswahl der Patientinnen und Patienten, keine Wochenend- und Bereitschaftsdienste. All das können wir im Kassensystem nicht anbieten, denn sonst hätten wir keine gesicherte Versorgung mehr. Ein Ausweg wäre, dass jene zukünftigen Medizinstudenten, die sich verpflichten, für zehn Jahre im öffentlichen System zu arbeiten, bei Bestehen der Aufnahmeprüfung vor jene gereiht werden, die sich nicht verpflichten möchten. Aber auch die schon bestehenden Stipendiensysteme werden gut angenommen.
Was tun sie konkret, um die Kassenordinationen für junge Ärzte wieder attraktiver zu machen?
Zusammenarbeitsformen heißt das Zauberwort – und zwar egal, ob in Primärversorgungseinheiten (PVE), Gruppenpraxen, Ambulatorien, Jobsharingpraxen und so weiter. Junge Mediziner und Angehörige der anderen Gesundheitsberufe möchten zusammenarbeiten. Sie möchten flexiblere Arbeitszeiten und den Erfahrungsaustausch in einem Team. Mit dem immensen Vorteil, dass mehrere Fachgebiete Hand in Hand arbeiten, was die Qualität der medizinischen Versorgung erhöht. Zudem bieten diese Einrichtungen auch längere Öffnungszeiten und mehr Angebote für Patienten. Die Honorare in den Kassenpraxen sind bereits sehr gut und überaus attraktiv – was wir brauchen, ist die Möglichkeit, Arbeitszeiten auf die jeweiligen individuellen Bedürfnisse abzustimmen.
100 Primärversorgungseinheiten sind bereits eröffnet worden, 300 sind bis 2030 geplant. Wie viele sind für Vorarlberg eingeplant und aus welchen Mitteln sollen diese finanziert werden?
Das wird gerade in den Verhandlungen zu den regionalen Strukturplänen mit den Bundesländern besprochen. Darin schreiben wir fest, wie die Versorgung im Jahr 2030 in allen Ländern aussehen soll. Finanziert müssen sie auf jeden Fall werden, denn eine schlechte Versorgung und kranke Menschen kosten uns volkswirtschaftlich viel mehr als gut versorgte und gesunde Menschen. Es geht dabei auch um Psychosoziale Versorgungszentren für Kinder und Jugendliche sowie für Erwachsene, Frauengesundheitszentren, Diabetesambulanzen, Pflege- und Therapiepraxen und den Ausbau der eigenen Gesundheitseinrichtungen der ÖGK, etwa unsere Zahngesundheitszentren und Facharztambulatorien.
Zum Abschluss noch kurz zu einem anderen Thema: Rund um das Trinkgeld in der Gastronomie herrscht ja derzeit große Aufregung. Möchten Sie dazu ein paar Dinge klarstellen?
Dass hier immer von Steuerfreiheit gesprochen wird, ist der erste Unsinn. Steuerfrei war und bleibt das Trinkgeld. Es geht um die SV-Beiträge, die über eine Pauschale eingehoben werden. Die sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich hoch. Die Unternehmen wollen natürlich lieber Lohnnebenkosten sparen. Dem Vernehmen nach haben sich die Sozialpartner nun aber auf eine Pauschale in Höhe von 95 Euro geeinigt. Von diesen 95 Euro wären künftig die SV-Beiträge fällig, die von Arbeitnehmern und Arbeitgebern geleistet werden. Das bringt den Arbeitnehmern höhere Pensionen und ein höheres Arbeitslosen- und Krankengeld.
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