Die Internetfreiheit in Saudi-Arabien ist massiv eingeschränkt. Regierungskritiker werden für Postings mitunter zu jahrzehntelangen Haftstrafen verurteilt. Umso passender, dass ein Treffen des Internet Governance Forum (IGF), an dem auch Europa- und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) teilnahm, in der saudi-arabischen Hauptstadt stattfand. Auf der Agenda des Treffens des UNO-Gremiums standen unter anderem Menschenrechte im Internet.
Der Anteil der Internetnutzer in Saudi-Arabien ist seit dem Jahr 2010 massiv angestiegen und liegt mittlerweile bei 100 Prozent der Bevölkerung. Die grundsätzliche Verfügbarkeit ist also gegeben, inwieweit die Menschen es aber auch nach ihrem Belieben nutzen können, ist eine andere Frage. Gemäß dem Internet Freedom Score der US-NGO Freedom House hat Saudi-Arabien eine Punktezahl von 25 auf einer Skala von 0 (am wenigsten frei) bis 100 (am meisten frei) und gilt damit als „nicht frei“. Deutschland hat vergleichsweise einen Score von 77. Österreich ist in der Statistik nicht angeführt.
Umfassende Zensur und Überwachung
Nach Angaben von Freedom House sind Internetnutzer in Saudi-Arabien „einer umfassenden Zensur und Überwachung ausgesetzt“. Ihre Möglichkeit, auf unterschiedliche Inhalte zuzugreifen und sich online frei zu äußern, sei eingeschränkt: „Obwohl der Großteil Zugang zum Internet hat und die meisten sozialen Medien und Kommunikationsplattformen abrufbar sind, sperren Behörden regelmäßig Webseiten, entfernen Inhalte und manipulieren bewusst Online-Informationen, um die Regierung und ihre Politik positiv darzustellen.“ Regierungskritik werde nicht geduldet. Die Androhung von Schikanen oder strafrechtlicher Verfolgung zwinge viele saudische Social Media-User zur Selbstzensur, heißt es.
Bis Jänner 2024 dokumentierte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International 69 Fälle, in denen Menschen in Saudi-Arabien „wegen der Ausübung ihrer Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und friedliche Versammlung“ strafrechtlich verfolgt wurden. Unter ihnen seien 32 Personen gewesen, die wegen ihrer „friedlichen Meinungsäußerung in den Sozialen Medien“ verfolgt wurden. Die tatsächliche Zahl derartiger Strafverfolgungen sei laut Amnesty allerdings vermutlich wesentlich höher.
Regierungskritiker werden weggesperrt
Alleine im Jahr 2022 dokumentierte die Menschenrechtsorganisation 15 Fälle von Personen, die zu teilweise jahrzehntelangen Haftstrafen verurteilt worden waren, weil sie sich in den Sozialen Medien regierungskritisch geäußert hatten. Das islamische Königreich habe zudem mindestens ein Social-Media-Unternehmen „unterwandert, um rechtswidrig an Informationen über Regierungskritiker*innen zu gelangen“.
Hervorzuheben sind in dem Zusammenhang die beiden saudi-arabischen Frauen Nura al-Kahtani und Salma al-Shihab, die im August 2022 wegen ihren Aktivitäten auf X (vormals Twitter) zu jeweils 45 und 34 Jahren Gefängnis verurteilt worden waren. Die 29-jährige Manahel al-Otaibi wurde im November 2022 festgenommen, weil sie im Internet Beiträge veröffentlicht hatte, in denen u.a. Gesetze über die männliche Vormundschaft infrage gestellt wurden. Seit November 2023 gibt es keinen Kontakt mehr zu ihr. Auch gegen ihre beiden Schwestern wurde laut Amnesty Anklage erhoben.
Journalist Khashoggi bestialisch ermordet
Für weltweites Entsetzen sorgte auch die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im Oktober 2018. US-Geheimdienste sahen Kronprinz Mohammed bin Salman in der direkten Verantwortung. Nachdem dieser daraufhin für einige Zeit international teils isoliert war, wurde der faktische Herrscher des Königreichs spätestens im Sommer 2022 im Westen wieder salonfähig.
Inwieweit sind also in einem Land, in dem die Internetfreiheit dermaßen eingeschränkt ist, ernsthafte Gespräche unter anderem zu den Themen Menschenrechte im Internet und Desinformation möglich? Nach Angaben von Ministerin Edtstadler ist in Anbetracht der Lage in Saudi-Arabien ein Dialog vor Ort „umso wichtiger“. Kleine Schritte könnten zum Erfolg führen. Wenn Saudi-Arabien ein globaler Standort werden wolle, dann müsse sich etwas bei der Menschenrechtslage tun, so Edtstadler. Grundsätzlich sieht sie die Einbindung des Königreichs in engere Wirtschaftsbeziehungen als Schlüssel zu gesellschaftlichen Reformen.
Edtstadler im IGF-„Leadership Panel“
In den Diskussionen in Riad habe man sich darauf geeinigt, „das IGF weiterhin stark zu positionieren, denn es bringt alle Stakeholder an einen Tisch und die besten Ideen für die Gestaltung des Internets hervor. Es gibt für uns keine Alternative zu einem sicheren, offenen, menschenrechtsbasierten Internet“, so die Ministerin nach den Beratungen. Dem IGF-Arbeitspapier „The Internet We Want“ zufolge sollen neben einem Internet, das Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und einen freien Datenfluss gewährleistet, auch schädliche Verhaltensweisen reduziert und die Internet-Zugänglichkeit erhöht werden.
Edtstadler gehört dem Leadership Panel, das aus insgesamt zehn Mitgliedern besteht, seit 2022 an. Mit dabei in Riad war auch dessen Vorsitzender, der bald 81-jährige US-Informatiker Vinton Cerf. Er gilt als einer der „Väter des Internets“.
Neben dem Thema Menschenrechte im Internet berät das UN-Gremium zu den Themen Cybersecurity, Künstliche Intelligenz (KI) und Desinformation. Das IGF-Leadership Panel wurde von UNO-Generalsekretär António Guterres initiiert. Mit Internet Governance sind globale Regeln für das Internet im 21. Jahrhundert gemeint. Ziel sei es, Interessensgruppen gleichberechtigt für Diskussionen zusammenzubringen, so ein Sprecher Edtstadlers.
Es geht aber auch um die Perspektiven von Ländern des Globalen Südens, wo viele Menschen noch gar keinen oder nur einen eingeschränkten Zugang zum Internet haben. Im Jahr 2023 fand das IGF in Japan statt, das Jahr davor in Äthiopien und heuer ist eben die streng konservative absolute Monarchie Saudi-Arabien das Gastgeberland. Die Konferenz findet im Dezember statt.
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