Live im Konzerthaus

Van Morrison: Das innere Kind im alten Grantler

Wien
17.04.2023 23:46

Ein dreiviertel Jahr nach seinem eher bemühten Auftritt im Steinbruch von St. Margarethen kehrt der Nordire Van Morrison dieser Tage für zwei „Krone“-Gigs zu uns zurück. Im Wiener Konzerthaus zelebrierte er gestern Teil eins seines Cover-Albums „Moving On Skiffle“, auf dem er sich in seine eigene Jugend zurückbeamt. Die Freude ob dieser Zeitreise war spürbar - wenn man das bei einem Charakter wie Van Morrison so nennen kann. Heute geht es weiter - die Show ist bereits restlos ausverkauft.

Selbst hinter den bärbeißigsten Grantlern stecken im Endeffekt doch nur unschuldige Kinder, denen das Erwachsenenleben aus unterschiedlichsten Gründen kräftig zugesetzt hat. Man kann sich dieser Tage kaum vorstellen, dass der grummelige George Ivan Morrison einmal selbst eine neugierige Frohnatur war, doch nach einigen Jahren voller grenzwertiger Corona-Ansichten und populistisch-polemischer Rülpser in Interviews und auf Konzertbühnen, wollte sich der Nordire offenbar selbst wieder etwas Frieden ins steife Gemüt zurückholen. Für diesen Fall tauchte er tief in seine eigene Belfast-Nostalgie ein und kreierte das wunderbare Alterswerk „Moving On Skiffle“. Eine Tribute-Platte an längst vergessene Helden, die mit Waschbrettklängen und Kontrabass-Einsätzen noch einmal das innere Kind im gealterten Wüterich hervorholte.

(Bild: Andreas Graf)

Keine Lust auf Laberei
Dass er auf seinem zweitägigen Österreich-Stopp im Wiener Konzerthaus ausschließlich Preziosen aus seinem neuesten Werk zum Besten gab, kam trotz offener Ankündigung nicht bei allen Anwesenden an. Wer sich für den stattlichen Ticketpreis „Gloria“ oder „Brown Eyed Girl“ erhoffte, wurde bitter enttäuscht. Wer „Van The Man“ aber bereits länger begleitet, gut kennt oder zumindest etwas recherchiert hat, wusste bereits im Vorfeld, dass er kein Mann für Spaß und Spielereien ist. Ein kurzes „Thank You“ nach „Greenback Dollar“ etwa zur Setmitte war seine einzige Interaktion mit den rund 1500 Fans, und da war man sich nicht sicher, ob es seinen Mitstreitern galt. Ansonsten stellte er nur seine famose siebenköpfige Band im Schnelldurchlauf vor, sodass man noch nicht einmal die Namen der kundigen Könner richtig sacken lassen konnte.

(Bild: Andreas Graf)

Im gesetzten Alter hat die wie gewohnt im blauen Sakko, mit akkurat sitzendem Hut und Spiegelsonnenbrille auftretende Jazz-Legende offenbar gar keine Zeit mehr zu verlieren. Was Van Morrison an Sympathie und Zwischenmenschlichkeit vermissen lässt, macht er mit seiner Leidenschaft für die Musik wieder wett. In den ehrwürdigen Hallen des Konzerthauses kommt sein immer noch kraftvolles Timbre viel besser zu Geltung als im Sommer letzten Jahres auf der Open-Air-Bühne des Steinbruchs in St. Margarethen, dessen Auftritt man in der Österreich-Gesamtstatistik nicht zwingend weit oben ansiedeln muss. Die Rückbesinnung auf seine Jugendjahre erweckt aber einen anderen Van Morrison. Die Mimik bleibt unverändert starr und erbarmungslos, unter dem steifen Korsett verbirgt sich aber eine fühlbare Leidenschaft für eine Zeit, in der sich der große Zampano womöglich selbst besser leiden konnte.

(Bild: Andreas Graf)

Keine Gnade
Das führt musikalisch zu ungeahnten Höhenflügen, bei denen die Emotionen zumindest stark gefiltert in den Vordergrund rücken. Das Country-lastige „The Streamlined Cannon Ball“, ein Cover von Roy Acruff And His Smoky Mountain Boys, singt Van mit erstaunlicher Inbrunst, beim durchaus flotten „Cold Cold Heart“ spürt man gar einen Anflug an leidenschaftlichen Schmerz durch die edlen Gemäuer wabern. Zwei Minuten vor dem offiziellen Konzertbeginn bringt der überpünktliche Künstler den Gig mit dem flotten Vipers-Cover „Streamline Train“ ins Rollen, da haben einige Anwesende noch das halb angebissene Lachsbrötchen in der Hand oder suchen in der Saaldunkelheit verzweifelt nach ihrem Sitzplatz. Van Morrison kennt keine Gnade und peitscht die Songs kompromisslos runter. Das geht so weit, dass er bei „Take This Hammer“ anfangs fast seinen Gesangseinsatz verpasst, weil er vom eigenen Konzerttempo überholt wird.

(Bild: Andreas Graf)

Wenn sich der Meister das schwitzende Haupt unterm Hut trocknen will oder einen Schluck Wasser nehmen muss, dann finden seine Mitmusiker die Zeit, auf Keyboard, Gitarre, Bongos und Trompete zu solieren. Van selbst nimmt zumeist die Mundharmonika oder eine seiner beiden Gitarren zu Hilfe. Das Saxofon wird nur in den allerseltensten Fällen an das vergoldete Mikrofon gehalten, man will der Fanschar schließlich nicht allzu viel Glück zuteilwerden lassen. Die Lieder auf „Moving On Skiffle“ lassen zumindest genug Raum, um klanglich nicht in einer Ecke festzustecken. Es gibt Blues wie „In The Evening“, funkige Momente wie im Lead-Belly-Klassiker „Cotton Fields“ oder Tom Petty-Vibes im traditionellen und wunderbar zelebrierten „Green Green Rocky Road“. Das abschließende „I’m Movin‘ On“ wird zu einer instrumentalen Jam-Session ausgebaut, während Van sich wieder einmal zehn Minuten vor dem Rest der Band in den Backstagebereich zurückzieht. Es bleibt ein Kampf zwischen dem alten Grantler und dem unbefangenen Kind im Manne.

(Bild: Andreas Graf)

Heute geht es weiter
Van Morrison gibt heute Abend im Wiener Konzerthaus ein da Capo und wird seine „Moving On Skiffle“-Songs noch einmal für das heimische Publikum zum Besten geben. Karten für das Event mit dem 77-jährigen Kultstar gibt es nicht mehr - die Show ist restlos ausverkauft.

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