Das Antritts-Interview

Van der Bellen über Kanzler: „Schwamm drüber“

Politik
24.05.2022 18:55

Der Tag nach seinem Kandidaten-Auftakt: Bundespräsident Alexander Van der Bellen über Kanzler Karl Nehammer, Wladimir Putin, Teuerungen und die Staatsbürgerschaft.

„Krone“: Herr Bundespräsident, bei der Pressefreiheit ist Österreich auf Platz 31 abgerutscht und liegt hinter Ländern wie Namibia und Argentinien. Beim Demokratieranking wurden wir zu einer Wahldemokratie herabgestuft. Dazu kamen Skandale wie am Fließband, Korruptionsermittlungen, Verfassungsbrüche, Anschläge auf die Justiz. Passiert ist das alles, während Sie Bundespräsident waren. Zu hören waren bestenfalls mahnende Worte. Sind das die richtigen Referenzen für weitere sechs Jahre Alexander Van der Bellen?
Alexander Van der Bellen: Das war jetzt ein bisserl viel auf einmal. Das Ranking bei der Pressefreiheit ist beunruhigend. Ob es berechtigt ist, ist eine zweite Frage. Ich mache mir auch Gedanken über die Zukunft, vor allem der Printmedien, weil ich finde, eine unabhängige Berichterstattung ist essenziell für eine liberale Demokratie. Das betrifft auch den ORF. Dieses Thema ist brandaktuell, und ich weiß nicht, wie Sie darüber denken, aber ich mache mir Sorgen.

Sorgen machen alleine reicht?
Das ist die Rolle des Bundespräsidenten. Es gibt die Reden, es gibt die Gespräche hinter der Tapetentür, die vertraulich sind und vertraulich bleiben, und es gibt die Kontakte außerhalb der Tapetentür. Den einen ist es immer zu viel, den andern ist es noch zu wenig. Also mit dem muss ich leben.

Mit Blick auf die innenpolitische Lage. Haben sich die Österreicher nicht längst Neuwahlen verdient?
Wir haben eine Bundesregierung, die eine Mehrheit hat im Parlament. Sie ist auf demokratische Weise zustande gekommen. Es gibt ein Koalitionsübereinkommen. Solange das so ist, ist es Sache des Parlaments, wann Neuwahlen kommen oder nicht. Es ist nicht meine Aufgabe als Bundespräsident, Neuwahlen auszurufen.

„Ich kann und will nicht glauben, dass wir in einem Land leben, wo dies in dieser Form wirklich notwendig ist“, haben Sie damals über die Kinderabschiebungen unter dem damaligen Innenminister Karl Nehammer gesagt, wovon eine übrigens rechtswidrig war. Nur Monate später meinten Sie dann: „Ich denke, dass Karl Nehammer eine Chance hat, ein guter Bundeskanzler zu werden.“ Wie passt das zusammen?
Die eine Aktion war die Abschiebung von Kindern, noch dazu unter Umständen, die ich für falsch halte. Und da habe ich mich öffentlich geäußert. Es ist ein schönes Beispiel dafür, für „Immer geschwiegen hat er nicht. Er hat sich schon öffentlich geäußert.“ Das ist mir wirklich gegen den Strich gegangen, dass es keine andere Möglichkeit gab in diesem Fall. Ein Jahr später war Karl Nehammer Bundeskanzler. Ich bin, von diesem Fall abgesehen, mit ihm als Innenminister gut ausgekommen, und ich traue ihm zu, ein guter Bundeskanzler zu werden.

Sie trauen ihm zu, ein guter Bundeskanzler zu werden? Aktuell ist er es also nicht?
Lassen Sie mich das präzisieren: Ich habe ein Vertrauensverhältnis zu ihm. Ob er das auch so sieht, kann ich nicht beurteilen. Gestatten Sie mir, dass ich mich so vorsichtig ausdrücke, aber ich glaube, er hat die Chance, ein guter Bundeskanzler zu sein.

Karl Nehammer hat über Corona auch gesagt: „So viele Viren in einem Raum. Aber jetzt kümmert uns das nicht mehr.“ Er hat sich zwar entschuldigt, aber für wie gefährlich halten Sie solche antiwissenschaftlichen Aussagen?
Na ja, Schwamm drüber. Also ich habe seinerzeit auch improvisiert und etwas gesagt, wobei man sich später denkt, das hätte ich lieber nicht sagen sollen.

Sagen Sie Schwamm drüber auch über Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka? Halten Sie ihn weiter für tragbar, und wenn ja, wieso?
Wolfgang Sobotka ist in der offiziellen Hierarchie der zweite Mann im Staat, wenn man so will. Und wenn der Nationalrat oder Mitglieder im Nationalrat einen Wickel mit ihm haben, dann müssen sie das im Nationalrat mit ihm austragen.

Die Ermittlungen wegen Amtsmissbrauch, der Wirbel um seinen Vorsitz beim U-Ausschuss, die geschmacklosen 1933-Vergleiche usw. All das macht Ihnen keine großen Sorgen?
Nein. Das muss in unserer Demokratie das Parlament klären.

Sie waren in Sotschi eng mit Wladimir Putin. Haben Sie sich in ihm getäuscht, und wenn ja, wie konnte es zu dieser Täuschung kommen?
Ich war nicht der Einzige, der diesen Angriff auf die Ukraine nicht vorhergesehen hat. Es ist richtig, dass ich Wladimir Putin einige Male getroffen habe. Der Sotschi-Besuch vor drei Jahren hatte mehrere Gründe. Vielleicht der wichtigste war die Gründung des sogenannten Sotschi-Dialogs. Ein Versuch, jenseits der Sanktionen gegen Russland damals wegen der Krim-Annexion einen Dialog aufrechtzuerhalten. Das halte ich insbesondere für einen neutralen Staat wie Österreich wichtig.

Sie haben Putin sogar zu den Salzburger Festspielen eingeladen.
Bei den Salzburger Festspielen war letzten Sommer Präsident Radew aus Bulgarien zu Gast. Und am Tag zuvor meine Kollegin Caputova aus der Slowakei. Das ist nichts Unübliches. Viele Präsidenten haben genauso wie ich Interesse an den berühmten Salzburger Festspielen.

Das Leben in Österreich wird immer weniger leistbar, die Bevölkerung immer ärmer. Sie selbst waren im Sozialmarkt, natürlich nur zum Lokalaugenschein. Hat die Politik nicht die Verpflichtung, den Menschen im Kampf gegen die Teuerungen mehr zu helfen statt nur zuzusehen.
Die Politik sieht ja nicht zu, sondern es gibt die verschiedensten Unterstützungsmaßnahmen. Aber in einem Punkt gebe ich Ihnen recht: Wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass diejenigen, die jetzt schon Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen, alleine gelassen werden.

Laut Umfragen ist den Österreichern die Neutralität unermesslich wichtig. Aber wieso kann man in einem Land wie Österreich nicht einmal eine gelassene Diskussion darüber zulassen.
Aus meiner Kindheit weiß ich, wie wichtig die Neutralität für Österreich war und ist. Wir waren auf einmal wieder ein freies Land. Ich glaube nur, wir haben zwei Sachen versäumt in der Vergangenheit. Das ist erstens die Frage der Landesverteidigung. Das mahne ich seit fünf Jahren ein, weil der Investitionsstau beim Bundesheer gewaltig ist. So kann das nicht weitergehen. Und zweitens soll man die Rolle der professionellen Diplomatie nicht unterschätzen. Das ist das Budget des Außenministeriums. Auch da finde ich, müssten wir umdenken und mehr investieren.

Ganz allgemein über Krisen. Wenn die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und Vizekanzler Robert Habeck von den Grünen Themen wie Krieg, Gas-Ausstieg und Ukraine-Hilfe erklären, verstehe ich alles, wenn unser Vizekanzler Werner Kogler etwas zu den gleichen Themen sagt, verstehe ich so gut wie nichts. Liegt das nur an mir?
(lacht) Ich stimme Ihnen insofern zu, als namentlich Robert Habeck gut beschreibt, in welchen Krisensituationen wir sind. Da ist Habeck ein sehr guter Kommunikator.

Wer kann das bei uns in Österreich auch so gut erklären?
Wir versuchen alle das Beste.

Wenn Sie als Flüchtlingskind die Entwertungs-Argumente von ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner zur Staatsbürgerschaft hören, was denken Sie sich da?
Ich denke mir dann, da irrt sie sich. Wenige Augenblicke in meinem Leben haben mich so berührt wie der, als der Bürgermeister des Kaunertals vor einigen Jahren bei einem Meeting, noch dazu in der Wallfahrtskirche Kaltenbrunn, vor versammelter Belegschaft erklärte, ich sag es im einheimischen Dialekt: „Bischt als Flichtlingskind kemma, und jetzt bischt oaner von uns.“ Und das ist schon etwas besonders Schönes, und ich finde, die Staatsbürgerschaft ist ja etwas ungemein Wertvolles, aber wir sollten nicht so tun, als wäre das etwas, das man sich 20 Jahre lang verdienen muss.

Was könnten Kriterien für die Staatsbürgerschaft sein?
Dass man sie nach einer bestimmten Anzahl von Jahren erhält. Sechs Jahre, das werfe ich jetzt nur so hin.

Sie haben bei Ihrer Pressekonferenz am Montag gesagt, dass Sie vor fünf Jahren ein „junger Hupfer“ waren. Damals waren Sie 73 Jahre alt. Was ist Ihr Geheimnis ewiger Jugend?
(lacht) Vergleichsweise junger Hupfer, habe ich gesagt. Da gibt es gar kein Geheimnis. Ich habe Freude an meiner Arbeit.

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