Das war ein historischer Abend, als die Welt bei der einstündigen Rede den wirklichen Putin kennengelernt hat: Einen in seinen 22 Amtsjahren erstarrten großrussischen Nationalisten, der wie die alten Zaren als Sammler russischer Erde in die Geschichtsbücher eingehen will.
Da er der Ukraine überhaupt das Existenzrecht absprach („ein historischer Fehler“), war es nur logisch, dass Putin die zwei Separatistengebiete Donezk und Luhansk (drei der 42 Millionen Einwohner der Ukraine) als „unabhängige“ Republiken anerkannte und unter seinen militärischen Schutz stellte. (Früher nannte man das Kolonien.)
Ist Putin nach diesem Handstreich nun satt, oder ist für ihn niemals Schluss? Greift er nach der ganzen Ukraine, die offensichtlich seine slawisch-orthodoxe Besessenheit ist? Wir kennen das Ende seines Drehbuches nicht. Kiew steht vor einer quälenden Entscheidung, von der alles abhängt: Akzeptiert die Ukraine die vollendeten Tatsachen, oder tritt sie zur Rückeroberung an? Dann gäbe es den großen Krieg. Es wäre aber auch gar keine so schlechte Idee, wenn sich Kiew mit der Trennung abfindet, denn eine Rückkehr wird es nicht geben. Ohne dieses Bleigewicht im Osten könnte sich die Ukraine viel besser entwickeln.
Was nun, Westen!? Das Paket der „beispiellosen Sanktionen“ war auf die große Invasion zugeschnitten. Kommt es jetzt doch zum Streit um abgespeckte Sanktionen (die Putin ohnehin nicht wehtun und in seiner Strategie auch schon „eingepreist“ sind)? Putins TV-Auftritt ließ tief in die Psyche eines großrussischen Nationalisten blicken. „Ihr seid gegen uns, nur weil es uns gibt, ihr wollt kein so großes Land wie Russland haben“, trommelten die Vorwürfe an den Westen nieder. Wer so spricht und das mit Gesichtszügen der Besessenheit, entlädt nationale Minderwertigkeitskomplexe. Putin verriet damit, worum es ihm außer der Verstümmelung der Ukraine noch geht: um die Anerkennung als Großmacht, genauer gesagt: heute als die dritte Großmacht.
Diesen Status sah er verletzt, ungeachtet des Umstands der eigenen Unzukömmlichkeiten. Der Kremlchef muss tief getroffen gewesen sein, als US-Präsident Biden bei Amtsantritt erklärte, sich nur auf China konzentrieren zu wollen. Russland kam nicht mehr vor. Um diese Zurücksetzung zu beenden, wiederholt der Kremlchef die alten russischen Fehler: Er bricht alle Brücken ab, er isoliert sich in der Welt. Er führt geradezu herbei, worüber er klagt. So kann man keine Anerkennung gewinnen. Normale Staaten suchen Freunde, Russland sucht sich Gegner und drängt darauf, ihnen Angst einzujagen. Der Kremlchef hat nur noch zwei Freunde: Lukaschenko und Xi Jinping. (Juniorpartner von China zu sein, ist auch nicht gerade erstrebenswert.)
Was heißt das nun für uns? Europa hätte ausreichend Zeit gehabt, sich auf Russlands Machtstreben einzustellen. Es hat geschlafen. Österreich hat so getan, als könne der Kremlchef durch Tanzen ruhiggestellt werden. Nun werden die massiven österreichischen Investitionen in Russland durch Sanktionen besonders hart getroffen. Kein Zweifel mehr: Wäre Putins Russland tatsächlich die echte „dritte Weltmacht“, wäre für Europa Schluss mit lustig.
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