Software problematisch

Huawei P50 Pro: Foto-Profi mit großem Handicap

Elektronik
29.01.2022 06:00

In China ist es schon seit einigen Monaten am Markt, nun bringt Huawei sein aktuelles Top-Smartphone P50 Pro auch nach Österreich. Anhaltende US-Sanktionen bereiten den Chinesen dabei arge Probleme: Die Software muss auf jegliche Google-Dreingaben verzichten, die man von anderen Android-Smartphones gewöhnt ist. Und das 1200-Euro-Smartphone hat auch keinen 5G-Mobilfunk. Lohnt es sich dennoch? Wir haben den Test.

Prinzipiell ist das P50 Pro ein modernes Oberklasse-Smartphone mit entsprechender Ausstattung. Es hat ein großes, helles und farb- wie kontraststarkes 6,6-Zoll-OLED-Display mit scharfen 2700 mal 1228 Pixeln Auflösung und - interessant vor allem für Gamer - adaptiver 120-Hertz-Bildwiederholrate. In der getesteten Version verfügt es über den flotten Qualcomm-Prozessor Snapdragon 888, muss aber sanktionsbedingt auf den sonst bei Handys mit diesem Prozessor üblichen 5G-Mobilfunk verzichten. Der acht Gigabyte große RAM gewährleistet ein flüssiges Bedienerlebnis, das System ist auch für komplexere 3D-Spiele mehr als ausreichend schnell.

Auch bei der Kamera, seit Jahren eine Stärke der Chinesen, lässt sich Huawei nicht lumpen: Es gibt eine lichtstarke, optisch stabilisierte 50-Megapixel-Hauptkamera (F/1.8) mit extragroßem Bildsensor, dazu eine 64-Megapixel-Teleoptik mit 3,5-fachem optischem Zoom und eine 13-Megapixel-Weitwinkelkamera. Eine 40-Megapixel-Monochromkamera hilft besonders bei schlechtem Licht, noch brauchbare Bilder zu erzeugen. Die Frontkamera mit 13-Megapixel-Auflösung befriedigt sämtliche Selfie-Bedürfnisse.

Das P50 Pro ist ein erfreulich gutes Foto-Smartphone
In der Praxis hat man mit diesem Setup ein sehr gutes Fotohandy parat: Die Hauptkamera arbeitet schnell und zuverlässig, liefert bei Tageslicht wie künstlichem Licht helle, scharfe und sauber ausgeleuchtete Bilder mit intensiven Farben. Auch bei schlechterem (Kunst-)Licht gelingen noch helle und ansehnliche Schnappschüsse. Videos werden in 4K-Auflösung bei 60 Bildern pro Sekunde aufgenommen und profitieren von der optischen Bildstabilisierung. Ein Nachtmodus mit langer Belichtungszeit liefert, gepaart mit elektronischer Nachbearbeitung, sogar bei widrigsten Bedingungen noch brauchbare Ergebnisse.

Die Zoomkamera arbeitet bei Tageslicht bis Zoomfaktor 20 ebenfalls zuverlässig, ist gut stabilisiert und liefert helle, ausreichend scharfe Ergebnisse. Im Schlechtlicht oder bei noch stärkerem Zoom - das Maximum ist Faktor 100 - werden die elektronisch vergrößerten Bilder aber matschig und verrauscht. Die Weitwinkelkamera tut, was sie soll. Insgesamt liefert Huawei, wenig überraschend, ein sehr starkes Foto-Smartphone ab.

Viel Ausstattung, solide Verarbeitung, maues Handling
Die übrige Ausstattung passt auch: Es gibt modernes WLAN nach .ax-Standard (Wi-Fi 6), Bluetooth 5.2, NFC und sogar einen Infrarot-Blaster, der das Gerät zur Fernbedienung macht. Der 256 Gigabyte große interne Speicher ist großzügig dimensioniert, wer mehr braucht, kann - leider proprietäre und vergleichsweise teure - Huawei-Speicherkarten verwenden.

Der Akku ist mit 4360 mAh Kapazität groß genug für - bei moderater Nutzung - zwei Tage Betrieb und mit dem beiliegenden Schnellladegerät in einer Stunde vollständig aufgeladen. Ein Fingerscanner im Display, kabelloses Laden, Stereo-Speaker, Entsperren per Gesichts-Scan sowie ein wasserdichtes Gehäuse (IP68) komplettieren das Dual-SIM-Smartphone. Eine Audioklinke fehlt allerdings.

Die Verarbeitung ist solide, die Materialwahl fühlt sich wertig an. Das Handling hat uns aufgrund der stark abgerundeten Gerätekanten und der schlüpfrigen und fingerabdruckanfälligen Glasrückseite aber nicht überzeugt. Außerdem steht die Kamera sehr weit aus dem Gehäuse hervor, was eine Hülle unverzichtbar macht, will man das Gerät angemessen vor Kratzern und Stürzen schützen.

Bei der Software gibt es einen Haken
Der große Haken ist neben dem wohl für viele noch nicht zwingend notwendigen, aber bei der Konkurrenz längst üblichen 5G-Modem, die Software. Aufgrund der anhaltenden US-Sanktionen darf Huawei kein „normales“ Android installieren, wie es heimische Konsumenten gewöhnt sind, sondern muss auf eine Google-freie Version setzen. Die wurde aber von Huawei gezwungenermaßen stark modifiziert. Statt dem Google Play Store gibt es die Huawei App Gallery, die naturgemäß nicht das lang gewachsene App-Füllhorn darstellt, das Google zur Verfügung stellt. Statt Chrome gibt es einen Huawei-Browser, statt Gmail eine eigene Mail-App, statt Google Maps das hauseigene Petal Maps.

Nutzung gestaltet sich mühsamer, als man denkt
Google-Skeptiker könnte das durchaus ansprechen, doch der Verzicht auf die breit genutzten Dienste hat bei der täglichen Nutzung seine Nachteile. Musik oder Videos auf ein Chromecast-fähiges Gerät wie einen Android-TV oder einen vernetzten Speaker streamen? Nix da. Netflix in hoher Auflösung schauen? Fehlanzeige, ist der - nicht das erste, woran man bei Google-Anwendungen auf anderen Android-Handys denkt - dort genutzte Kopierschutz doch offenbar mit Google verzahnt.

Auch andere Apps, von denen man es nicht unbedingt erwarten würde, machen - selbst wenn man die Installationsdatei direkt beim Hersteller herunterladen kann - auf dem System teils Faxen, der Microsoft Authenticator zum Beispiel.

Dass Huaweis App Gallery auch außerhalb des eigenen Archivs nach Anwendungen sucht und bei Apps, die sie nicht direkt anbietet, auf die Herstellerwebsite verlinkt, ist lobenswert. Dass zum Öffnen des Links ein Huawei-Konto obligat sein soll, obwohl man ja nur eine Website öffnen will, erschließt sich uns indes nicht. Generell ist die App-Auswahl mau: Es gibt zwar eine wachsende Zahl in Österreich beliebter Apps wie Mediatheken, Banking-Tools oder Nachrichten-Apps. Viele beliebte Anwendungen fehlen aber in Huaweis App Gallery nach wie vor.

Weniger Werbung und Bloatware? Schön wärs …
Wer bei Huaweis Android auf weniger Werbung hofft, wird ebenfalls enttäuscht, es ist eher das Gegenteil der Fall: Die App Gallery begrüßt den Nutzer beim Öffnen mit bildschirmfüllender Reklame. Bei der Ersteinrichtung muss man personalisierte Anzeigen und die Sammlung von Nutzungsdaten durch das - gewollt verwirrende? - Aktivieren eines Schalters deaktivieren.

Am jungfräulichen System begrüßt einen dank Huaweis „AppAdvisor“ gleich eine Menge Reklame für alle möglichen Apps, Bloatware wie Snapchat ist auch vorinstalliert, kann aber immerhin problemlos gelöscht werden. Unser Software-Fazit: Huaweis Android ist nicht unbedingt eine unaufdringliche Alternative zur Google-Variante und hat für die meisten User mehr Nach- als Vorteile, auch wenn uns manch Feature wie die kompakt auf der Startseite platzierbaren App-Gruppen durchaus gefallen hat.

Umgehungskonstruktionen nicht massentauglich
Sicher, es gibt Tricks, mit denen man einzelne Einschränkungen umgehen kann. Es gibt etwa Virtuelle Maschinen in App-Form, die ein klassisches Android samt Google-Anwendungen simulieren, womit man zwar auf Dienste wie Google Drive zugreifen kann, aber nicht auf das Restsystem. Man kann auch alternative App Stores - etwa von Amazon - aufspielen.

Allerdings sind solche Lösungen dem Durchschnittsanwender, der sein Smartphone alltäglich nutzen und sich nicht mit Umgehungskonstruktionen beschäftigen will, kaum zumutbar. Eine nachträgliche Installation von Google-Diensten ist auch nicht drin: Huawei-Geräte werden von Googles Servern aktiv blockiert. Mit den US-Sanktionen ist es für Huawei wie für den Nutzer - zum Mäuse melken.

Fazit: Rein von der Hardware her ist das Huawei P50 Pro, vom fehlenden 5G abgesehen, ein gutes Oberklasse-Smartphone. Vor allem Foto-Füchse können mit der vielseitigen Kamera eine Menge Freude haben. Empfehlen können wir es aufgrund der für viele Anwendungsszenarien untauglichen und mit Reklame und Bloatware gespickten Software trotzdem nicht, zumal Huawei ähnlich hohe Preise ausruft wie die Konkurrenz.

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