Album „Wallflowers“

Jinjer: Metalband bereit für die Staffelübergabe

Musik
31.08.2021 06:00

Mit „Wallflowers“ schicken sich die Ukrainer von Jinjer das vierte Mal an, die Phalanx der alten und bekannten Metalbands von den oberen Festivalbillings zu entfernen. Verdient hätten es Frontfrau Tatiana Shmailyuk und Co. allemal - im Interview macht sie sich Gedanken über ihre Heimat, die Zukunft des Metal und ihren persönlichen Platz in der Gesellschaft.

(Bild: kmm)

Wie schaut es eigentlich aus, mit der Zukunft des Metal? Wenn man sich die gängigen Fachmagazine so ansieht, dann scheint man in einer Zeitschleife festzustecken. Die jüngsten Festivalheadliner sind mit Volbeat ungefähr 20 Jahre alt, die Bestenlisten führen unaufhörlich Dinosaurier wie Iron Maiden, Metallica oder Slayer an und bei den gut verkauften Metal-Konzerten steigt der Anteil der grauen Haare auf der Bühne exponentiell. Freilich gibt es aber auch im härteren Sektor junge Bands, die auf ihre Chance lauern und zur Staffelübergabe bereit sind. Man muss ihnen nur auch einmal die Chance geben, sich auf größerem Gebiet zu beweisen. Sei es in Form eines mutigen Festivalslots oder mit einer Cover-Story in einem Nischenmagazin, das ansonsten eh zum achtundvierzigsten Mal Judas-Priest-Frontmann Rob Halford mit Katzen-T-Shirt ins Rampenlicht rückt. Nothing wrong with that - aber es wird Zeit für Progressivität in einem auf der Stelle tretenden Genre.

Moderne Mischung
„Wir sind auf jeden Fall bereit und es ist ein großes Ziel von uns, die harten Festivals auch einmal anzuführen“, erzählt uns Tatiana Shmailyuk im „Krone“-Gespräch. Die sympathische Powerfrau ist Sängerin der ukrainischen Metalband Jinjer und damit das Aushängeschild einer der zukunftsträchtigsten und auch beliebtesten „Modern-Metal-Bands“. Mit ihrer Mischung aus modernem Metal, Death Metal, Djent, Progressive Metal, Metalcore und sehr viel Groove holt das Quartett Hörer aus mehreren Nischen ab und hat sich somit eine kräftige Fanbase erarbeitet. 2016 unterschrieb man beim Eisenerzer Szeneriesen Napalm Records, mit dem Drittwerk „Macro“ gelang vor zwei Jahren erstmals der Sprung in die Mainstreamcharts und Touren mit Arch Enemy, Cradle Of Filth oder Amorphis würden zum täglichen Brot der motivierten Truppe - bis die Pandemie einschlug.

Davon ließen sich Jinjer aber nicht beeindrucken. Während der Pandemie hielt man die Fans mit dem Livealbum „Alive In Melbourne“ bei Laune und drumherum war ausreichend Zeit, um am Viertwerk „Wallflowers“ zu arbeiten. Darauf zeigen sich Jinjer dunkler und mysteriöser als je zuvor. Songs wie „Copycat“ oder „Vortex“ kehren die untrügliche 90er-Liebe der Osteuropäer hervor, dazwischen gibt es viel Raum für technische Frickelei und rasante Skalenabfahrten. Jinjer in eine Schublade zu stecken ist äußert schwierig. Irgendwo zwischen Gojira, TesseracT, Faith No More, den Guano Apes, Meshuggah oder The Agonist lassen sich Shmailyuk und Co. verorten, allerdings mit viel Raum für eine eigene Note. Das führt mitunter dazu, dass die Alben - inkl. „Wallflowers“ - manchmal gar sperrig klingen, live kann man sich von der Klangwucht aber durchaus in andere Sphären boxen lassen.

Einfluss der Heimat
„Wir sind eine neue Generation und wollen auch andere junge Bands inspirieren. Natürlich verdienen Bands wie Slayer einen Headliner-Slot auf Festivals, aber es ist Zeit, die Line-Ups ein bisschen stärker durchzumischen und jüngeren Acts eine Chance zu geben.“ Mit „Wallflowers“ ist das nächste Kapitel auf diesem Weg geschrieben, doch nach wie vor kämpfen Jinjer nicht nur gegen Marktnormen, sondern auch ihre Herkunft an. Die Band gründete sich 2009 im kriegsgebeutelten Donezk und übersiedelte 2014 zwangsweise nach Kiev und Lemberg. Die politische Situation in ihrer Heimat hat definitiv einen immensen Einfluss auf die Künstler. „Unser Debüt ,Cloud Factory‘ war noch eine Hommage an die Umweltprobleme unserer Heimat. Donezk ist eine Industriestadt und die Mechanismen dort haben mich sehr besorgt. Auf jedem unserer Alben steckt aber mindestens ein Song, der sich um den Krieg und die Auseinandersetzungen daheim dreht. Ich versuche aus allen Dingen des Lebens Inspirationen zu ziehen - egal, ob sie gut oder schlecht sind.“

Shmailyuk sieht sich mit fortschreitendem Alter weiser und in sich ruhender. „Ich bin mittlerweile mitten in meinen 30ern und da hat sich bei mir so einiges verändert. Als ich jünger war, habe ich gerne rebelliert und globale Dinge kommentiert. Heute versuche ich vermehrt, meine Gedanken und mein Wesen in den Songs zu kanalisieren. In den Songs biete ich aber keine Lösungen auf Probleme an, weil ich sie selbst nicht habe. Ich schreibe Texte einerseits für mich, andererseits auch für andere Menschen, um mich mit ihnen zu verknüpfen und um harte Zeiten gemeinsam zu durchleben. Ich suche in meinen Liedern Trost und befreie mich darin von meinen inneren Dämonen. Und wenn mir jemand dabei zuhört, fühle ich mich noch besser.“ Der Prophet im eigenen Land zählt bekanntlich wenig, das ist bei Jinjer nicht anders. „Die ukrainischen Medien ignorieren uns komplett. Wir hatten schon Award-Nominierungen, gute Charts-Platzierungen, große Konzerte - alles egal. Wir sehen uns aber selbst als internationale Band und sind absolut keine Patrioten.“

Veränderungen möglich
So machen sich Jinjer mit jedem Album zunehmend Sorgen um die eigene Geistesbeschaffenheit und immer weniger um politische Umbrüche und unveränderbare Zustände in der Heimat. War ein Umzug in eine andere europäische Metropole angesichts der vorherrschenden Schwierigkeiten noch nie ein Thema? „Doch, darüber reden wir in der Band hier und da und ich denke sehr oft darüber nach. Unser Drummer liebt seine Heimat, meine Zukunft kann ich mir aber durchaus auch woanders vorstellen.“ Für Shmailyuk und ihre Band gibt es keinen Plan B, dafür sind Jinjer mittlerweile zu weit gekommen. „Ich habe einmal zwei Monate lang in einer Partnervermittlungsagentur gearbeitet. Ein furchtbarer Job, den ich nie wieder machen möchte“, lacht sie nostalgisch, „aber das Line-Up ist bei uns seit fünf Jahren stabil, alle ziehen an einem Strang. Wir haben zusammen schon so viele Probleme gelöst und Krisen überstanden. Wir haben uns und sonst niemanden.“

Live beim Nova Rock Encore
Jinjer spielen ihre Hits und das neue Album „Wallflowers“ beim Nova Rock Encore am 11. September im Stadion Wiener Neustadt live. Weiterhin noch nicht als Headliner. Karten und alle Infos gibt es unter www.oeticket.com.

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