Happy Birthday

Michael Rother: Kraftwerk-Legende wird 70

Musik
02.09.2020 06:00

Er hat in drei der international renommiertesten deutschen Bands der Pophistorie gespielt, als Solokünstler Erfolge gefeiert und mit Herbert Grönemeyer einen prominenten Förderer an seiner Seite. Dennoch war Michael Rother in seiner Heimat lange Zeit nur für Musikexperten eine bekannte Größe. Heute, am 2. September, wird die „Krautrock-Legende“ 70 Jahre alt.

(Bild: kmm)

Für das Online-Lexikon Allmusic gehört der Künstler „zu den einflussreichsten überhaupt im Bereich Rock, experimentelle und elektronische Musik“. Nun veröffentlicht der abwechselnd in Niedersachsen oder Italien lebende Gitarrist und Filmkomponist Rother nach langer Pause ein neues Album und wird zum zweiten Mal mit einem Solo-Boxset geehrt. Es hat sich also doch noch ganz gut gefügt für diesen so selbstbewussten wie bescheidenen Poppionier und Klangforscher.

Prophet im eigenen Lande
„Die Wahrheit ist immer noch, dass mein Name im Ausland mehr Zugkraft hat und größere Begeisterung auslöst als hierzulande“, sagt Rother im Interview der Deutschen Presse-Agentur. „Wahrscheinlich könnte ich in Tokio mit meiner Musik mehr Leute anziehen als in Deutschland.“ Er erwähnt diesen seit über 40 Jahren bestehenden Gegensatz in der öffentlichen Wahrnehmung ohne Groll oder Bitterkeit - dafür ist das Naturell des gebürtigen Hamburgers viel zu freundlich und positiv.

Zumal sich in den vergangenen 25 Jahren für ihn ja einiges getan hat. Als Elektropop-Türöffner, der schon in ganz jungen Jahren bei Kraftwerk spielte, wurde ihm etwa von David Bowie, Sonic Youth, John Frusciante (Red Hot Chili Peppers) oder Radiohead gehuldigt. Dann kam die vom Label Grönland angestoßene Wiederentdeckung der Rother-Zeit im Duo NEU! (1971 bis 1975) und beim Trio Harmonia (1973 bis 1976). „Das hier ist für mich eine unheimliche Ehre ­ ich bin gerührt und stolz“, sagte Label-Boss Grönemeyer bei einer Albumpräsentation mit dem damals fast vergessenen Avantgarde-Musiker Rother vor zehn Jahren in Berlin. Der Elektroniksound von NEU! sei Anfang und Mitte der 1970er „undeutsch, chaotisch, wild“ gewesen, lobte der gar nicht mehr so heimliche Krautrock-Verehrer.

Corona änderte alles
Bei Grönland erschien dann voriges Jahr auch die Box „Solo“ mit vier frühen Rother-Alben von 1977 bis 1982, darunter die Charthits „Flammende Herzen“ und „Sterntaler“, sowie einigen Raritäten. Und längst war dieser in Ehren gereifte Musiker wieder mit - vor allem in Großbritannien - viel beachteten Werkschau-Konzerten unterwegs. Rother hatte vor, es mit knapp 70 dabei zu belassen. Neue Aufnahmen seien eigentlich nicht geplant, betonte er Anfang 2019 im dpa-Gespräch. Mit weiteren Live-Gigs wolle er aber „die neue Begeisterung für meine Musik jetzt gern am Leben erhalten“. Doch dann kam Corona: keine Konzerte mehr, stattdessen viel Zeit beim persönlichen Lockdown im Heimstudio in Bevern-Forst an der Weser.

Das Ergebnis, die neue Platte „Dreaming“, ist für den bekannten britischen Musikjournalisten Trevor Pinnock „die eigentliche Sensation“ der Krautrock-Renaissance. „Ich hatte während der Pandemie die Ruhe und die Zeit, mich mit der Produktion eines Albums und einer weiteren Box zu befassen“, sagt Rother. „Das war natürlich ganz in meinem Sinne, mit ‘Solo II‘ die Fortsetzung der Gesamtwerkschau anzugehen, und dann kam die nächste Überlegung: Was packen wir da jetzt noch an zusätzlichem Material rein?“ Aus einer Hamburger Aufnahmesession mit der britischen Sängerin Sophie Joiner vor gut 20 Jahren hatte Rother noch etwa 75 - wie er es nennt - „Skizzen“ übrig. Diesen elektronischen Songentwürfen fügte er kürzlich nun seine typischen, sphärischen oder auch verzerrten Gitarrensounds hinzu - als „entscheidende Klangfarben“.

Pandemie als Kreativitätsschub
Im Gegensatz zu früheren Rother-Alben steht auf „Dreaming“ also weiblicher Gesang im Mittelpunkt. „Ich hatte mich schon 1997 total in diese Stimme verliebt. Und verspürte jetzt eine Verpflichtung, weil ich so entflammt war für diese Stimme: Das Material musste weiter bearbeitet werden“, sagt er. „Wer mich nur als Instrumentalmusiker kennt, wird vielleicht überrascht sein. Aber Sophies Stimme ist ja auch wie ein schöner Klang. Für mich war es eine völlig normale Weiterentwicklung meines Weges.“ Rother hat das konzentrierte Herumwerkeln an „Solo II“ und seinem ersten neuen Album seit „Remember“ (2004) in der Abgeschiedenheit des Weserberglandes sehr genossen. Er bilanziert diese kreative Zeit so: „Für viele Menschen ist Corona ein trauriges Kapitel - für mich dagegen war die Pandemie der Auslöser, diese Arbeiten zu vollenden.“

Ob er mit 70 nun in ein Spätwerk einbiegt, das neben den für 2021 fest eingeplanten Konzerten auch weitere neue Musik umfasst? „Man ist gut beraten, damit zu rechnen, dass Nichtvorhersehbares passiert im Leben. Ich habe aber jetzt nicht plötzlich das Gefühl, ich müsste in drei Monaten das nächste Album anfangen.“ Diese Gelassenheit war es wohl, die Rother - trotz mancher Frustphase - eine lange Karriere mit großem Einfluss auf die internationale Popszene beschert hat.

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