Quarantäne in Lech

Martin: „In Kriegszeiten zeigt sich das Extreme“

Vorarlberg
28.03.2020 09:20

Autor Hans-Peter Martin hat in seinem Buch „Game Over“ einen Systemkollaps prognostiziert. Ist es nun wirklich so weit? Aus der Quarantäne in Lech beantwortet Martin Fragen zu Menschlichkeit und Spekulanten.

„Krone“: Wie lebt es sich in der Quarantäne in Lech?
Hans-Peter Martin: Vergleichsweise gut. In diesem Dorf haben ja viele Bewohner Erfahrung mit der Abgeschiedenheit, verursacht durch Sperrungen wegen Lawinengefahren, aber auch mit der Ruhe in den Zwischensaisonen. Und so manche, denen zuerst das Verständnis für das abrupte Saisonende gefehlt hat, begreifen nun auch den Ernst der Lage. Die Sorge um Gäste in der Zukunft wächst. Auch die Ereignisse in Ischgl und St. Anton könnten mit Lech in Verbindung gebracht werden. Da stellen sich schon einige Fragen nach der eigenen Verantwortung.

Auf Ihrem Blog auf taz.de schreiben Sie von einem „Corona-Krieg“. Muss das sein?
Leider ja, obwohl ich das bisher fast immer abgelehnt habe. So gab es beispielsweise bislang keinen Handels-„Krieg“, nur einen Handelsstreit zwischen der US-Regierung und anderen Ländern. Doch bei vielen Corona-Maßnahmen, die jetzt getroffen wurden und getroffen werden müssen, hilft es, Kriegsvergleiche anzustellen, weil dadurch manches besser verständlich wird und man sich auch leichter auf die unmittelbare Zukunft einstellen kann. Die Bewegungsfreiheit muss derzeit eingeschränkt werden, das Virus wirkt wie Bomben, vor denen man sich zu Hause wie in einem Bunker schützen kann. Schulabschlüsse etwa werden wie in Kriegszeiten erfolgen, Unternehmen stellen ihre Produktion um und produzieren nun etwa Atemschutzmasken. Das Militär wird überall gebraucht. Alarmiert hat mich schon Mitte Februar, dass Chinas Staatspräsident Xi Jinping von der größten Krise seit der Gründung der Volksrepublik 1949 sprach.

Wie schätzen Sie die Entwicklung in Österreich ein?
Überraschend positiv. Bei der ersten großen Ankündigung der Bundesregierung zu Corona-Maßnahmen am 3. März dachten viele, das sei heillos überzogen, war es aber nicht. Im Vergleich zu anderen Ländern könnte Österreich noch glimpflich davonkommen. Eine Frage, die uns aber beschäftigen wird, sobald die Infektionszahlen zurückgehen, wird lauten: Wie können wir Re-Importe des Virus verhindern? Was wird das für den Tourismus bedeuten, für die Wirtschaft allgemein? Da wird es noch zu großen Verwerfungen kommen.

Die Wirtschaft steckt jetzt schon in der Krise. Was wird der Staat noch springen lassen müssen?
Wir steuern auf eine womöglich beispiellose Weltwirtschaftskrise zu. Viele Staaten reagieren nun mit enormen Unterstützungsprogrammen. Das ist richtig und wichtig, aber: Was wird aus diesen neuen Staatsschulden? Solange die Gläubiger vertrauen, dass gezahlt wird, sind Schulden kein Problem. Aber die Staaten werden reagieren müssen: Neue Steuern, Vermögensabgaben und Erbschaftssteuern werden dann kein Tabu mehr sein. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es zu es zu einer dramatischen Geldentwertung, nach dem Zweiten zu einer Währungsreform. Beides ist auch jetzt vorstellbar. Allerdings haben wir heute einen entscheidenden Vorteil: Wir wissen um die Fehler von damals. Es geht nun also um eines: Das Schlimmste abwenden!

Werden dann erst wieder nur die Großen vor dem Untergang gerettet?
Es wird sicherlich nicht möglich sein, alle überschuldeten Unternehmen zu retten, da wird es eine Triage geben müssen. Die Systemerhalter werden durchkommen, aber bei Automobilherstellern bin ich mir nicht mehr so sicher. In ein, zwei Jahren werden uns die Folgen des Coronavirus noch genauso beschäftigen wie jetzt die Pandemie selbst. Das Positive an der Krise ist, dass man sich wieder auf eine Re-Regionalisierung besinnt, auf Eigenproduktion, auf Nähe zum Kunden. Daseinsfürsorge wird in Zukunft anders definiert werden. Die regionale Absicherung - genügend Spitalsbetten etwa, Pflegekräfte, Lebensmittel, systemrelevante Infrastruktur - rückt wieder ins Bewusstsein.

Welche Fehler darf man nun nicht begehen?
Es kommt auf ein geschicktes Maßnahmenbündel an. Es ist richtig, jetzt zu klotzen und nicht zu kleckern, aber möglichst zielgenau. Und ohne die Bändigung der internationalen Finanzmärkte reiben sich Spekulanten schon wieder die Hände, weil sie bald Unternehmen zu einem Schnäppchenpreisaufkaufen können. Da braucht es eine gemeinsame EU-Abwehr, da die gegenwärtige US-Regierung oft weniger Partner als Gegner ist. Und China sowieso.

Welche Länder reagieren angemessen, welche nicht?
Die Infektionszahlen sind oft nur bedingt vergleichbar. Doch Südkorea ist gut unterwegs, Österreich wird im Vergleich ebenfalls gut dastehen. Die Schweiz muss dringend nachbessern, Deutschland holt nach zu langem Zögern zum Glück auf und verfügt je 100.000 Einwohner über das Fünffache an Betten auf Intensivstationen als Großbritannien, das wie Spanien am anderen Ende der Skala in Europa rangiert. Da wurde das Gesundheitssystem kaputtgespart. Schon jetzt wendet sich der Blick von Italien weg und mit Entsetzen in das Elsass und in die USA. Und wie soll man in Afrika oder in Brasilien die Menschen in den Slums schützen? Ohne wirksame Medikamente wird es zu einem Massensterben kommen.

Die Nachricht von sich selbst überlassenen Menschen in spanischen Altersheimen haben schockiert. Wie viel Menschlichkeit werden wir durch die Krise einbüßen?
Das ist noch offen. Jetzt zeigen sich - wie in allen Kriegen - die Extreme. Die Rücksichtslosen werden noch rücksichtsloser, die Zynischen zynischer, die Empathischen empathischer. Es ist nur eine dünne Schutzschicht, die über menschlichen Abgründen liegt. Das wird nun in Spanien sichtbar, ist aber eine Folge von haltloser Gewinnmaximierung und des Neoliberalismus. Das Einzige, das wirklich helfen kann, wäre ein funktionierender Sozialstaat.

Befeuert die Krise den Generationenkonflikt, der sich schon in der Klimadebatte gezeigt hat?
Zu viele jüngere Menschen denken sich: „Was geht uns eure Coronakrise an? Das Virus kann uns ja nichts anhaben!“ Hier droht eine gefährliche Zuspitzung. Man sieht, dass das Denken in Zusammenhängen in der Vergangenheit nicht gerade gefördert wurde, denn der jüngeren Generation müsste doch bewusst sein, dass sie selbst zum Kanonenfutter werden kann. Je mehr es zu Ansteckungen kommt, desto mehr leidet die Wirtschaft, desto eher wird der bislang gewohnte Wohlstand nur noch eine Wunschvorstellung sein, insbesondere für die Jungen.

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