krone.at-Reportage

Abgehängt: Der digitale Goldrausch und seine Opfer

Digital
25.11.2018 15:44

Im Silicon Valley wird die Zukunft gemacht. Google, Facebook, Apple: Die größten IT-Konzerne haben hier ihre Zentralen - mitsamt Zehntausenden hochbezahlten Ingenieuren und Programmierern. Doch der Reichtum der einen wird zum Problem für die anderen. Nirgendwo in den USA ist die Kluft zwischen Arm und Reich größer. Die Mieten haben sich binnen weniger Jahre verdreifacht, in der Valley-Metropole San Francisco können sich fast nur noch IT-Großverdiener Wohnraum leisten. Die Menschen, die ihre Mahlzeiten kochen, ihre Kinder unterrichten oder sie chauffieren, bangen derweil immer öfter um ihre Existenz. Ein krone.at-Lokalaugenschein.

Unweit der Stadt brennt der Wald. Es riecht nach Rauch. Leise surrt ein bärtiger Mann auf einem der angesagten Miet-Elektroroller des Milliarden-Start-ups Bird über die abschüssige Straße ins Zentrum von San Francisco. Einer der vielen Obdachlosen hier räumt sein Nachtlager. In einem auf Karton liegenden Schlafsack hat er an einer Straßenkreuzung die zehn Grad kühle Nacht verbracht. Nun sammelt er wie rund 7500 Leidensgenossen seine Habseligkeiten ein und sucht sich einen Platz für den Tag. Die Nacht wird er wieder im Freien verbringen.

„One Job Should Be Enough“
Ein paar Meter weiter, am Union Square, protestieren Bedienstete eines Luxushotels lautstark gegen ihren Arbeitgeber. Sie fordern höhere Löhne, skandieren Schlachtgesänge, halten Schilder in die Luft. „One Job Should Be Enough!“ steht auf einem. „Honk if you support us!“ auf einem anderen. Der Fahrer eines Autos, das hierzulande wohl kein Pickerl mehr bekäme, stimmt im Vorbeifahren ein Hupkonzert an. Ein Mann im Anzug schleicht verschämt vorbei an den Demonstranten ins Hotel.

Bereits seit einem Monat blockieren frustrierte Bedienstete die Eingänge der großen Luxushotels in der Innenstadt von San Francisco. Bislang ohne Erfolg, doch mit erstaunlicher Vehemenz. Eine Vehemenz, die wohl nur entwickelt, wer angesichts einer zunehmend aussichtslosen Situation um seine Existenz bangt. Die vielen Obdachlosen in ihren Schlafsäcken und Zelten führen jeden Abend als mahnendes Beispiel vor Augen, wie schnell man im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ganz unten ankommt, wenn man auf ökonomischer Ebene den Anschluss verliert.

Arme ziehen weg, Reiche bevölkern die Stadt
Für viele Einwohner stellt sich die Frage, ob sie eine Wohnung in San Francisco überhaupt noch finanzieren können. Und ob sie sich ihr täglich Brot leisten können - schon jetzt sind Hunderttausende auf Lebensmittelspenden angewiesen. Manche bleiben und nehmen das Risiko in Kauf, auf der Straße zu landen oder Hunger zu leiden. Andere ergreifen die Flucht ins Umland und machen Platz für jene, die sich eine Zweizimmerwohnung für aktuell durchschnittlich rund 6000 US-Dollar (rund 5300 Euro) pro Monat leisten können.

Einer, der weggezogen ist, ist Herr Mohamed, der als Chauffeur arbeitet. Noch vor 15 Jahren habe seine Familie im Stadtgebiet gewohnt, erzählt er uns während einer Fahrt. „Damals haben wir 1800 Dollar (knapp 1600 Euro) für eine Dreizimmerwohnung bezahlt“, erinnert er sich. Doch als die IT-Riesen wuchsen, die Mieten zu steigen begannen und sich abzeichnete, dass das Stadtleben zu teuer wird, ergriffen er und seine Familie die Flucht ins Umland. Jetzt muss er nach 15 Stunden Arbeit nachts noch ein ganzes Stück nach Hause fahren. Dafür kann er seine Miete zahlen, was in San Francisco und den Vororten im Silicon Valley keine Selbstverständlichkeit mehr ist.

Jetzt kommt auch noch Rivale Roboter
Unterdessen steht schon die nächste IT-Revolution vor der Tür, die das Leben im „Valley“ fundamental verändern könnte: künstliche Intelligenz und Roboter, die uns Menschen die Jobs streitig machen. Die Vorboten sind schon zu beobachten. Amazon stampft nicht nur in San Francisco Supermärkte aus dem Boden, in denen es keine Kassierer mehr braucht. Auf der Straße kredenzen Industrieroboter Passanten ihren Kaffee, im nahen Mountain View testet die Google-Tochter Waymo fahrerlose Autos auf öffentlichen Straßen.

Klar: Auch im Amazon-Supermarkt braucht es (noch) Menschen, die Produkte in die Regale schlichten - rund drei Dutzend pro Markt. Und zumindest im Moment wird der Robo-Barista noch von einem Menschen überwacht. Doch die Richtung ist klar. Und in Kalifornien dauert es nicht lang, bis sich neue Technologien durchsetzen.

Horror-Mieten großes politisches Thema
Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich ist in San Francisco ein breitenwirksames politisches Thema geworden. Die Frage, ob die reichen IT-Konzerne verstärkt besteuert werden sollen, um Mittel für den Wohnungsbau und die Wohlfahrt zu gewinnen, wurde der Bevölkerung erst kürzlich im Zuge einer Volksabstimmung gestellt - und mit überwiegender Mehrheit mit „Ja“ beantwortet. Selbst unter den IT-Milliardären gibt es prominente Befürworter dieser Idee - etwa Salesforce-Chef Marc Benioff. Aber auch prominente Gegner wie Twitter-Boss Jack Dorsey.

Der Ruf nach höheren Unternehmenssteuern zugunsten des Sozialsystems spaltet die IT-Giganten also wie die Einkommenskluft Ingenieure und Hilfsarbeiter. Doch eines ist fix, das gestehen selbst Kritiker höherer Steuern ein: Die Region braucht eine Veränderung, und zwar auch im Interesse der Firmen.

Am Ende des Tages sind nämlich auch ihre Mitarbeiter auf Geringverdiener angewiesen, die ihre Kinder unterrichten, ihre Pakete liefern, sie im Restaurant bedienen oder Mahlzeiten für sie kochen. Und auf sozialen Frieden: Bei Apple musste man jüngst die Polizei einschalten, weil wütende Einheimische Pendlerbusse angegriffen hatten, die das Personal von San Francisco in die einige Kilometer entfernte Firmenzentrale in Cupertino bringen.

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