Mädchen geschändet

Türkisches Gericht rechtfertigt Vergewaltigung

Ausland
04.11.2011 15:17
Schreckliches musste die junge Nailan im Jahr 2002 in der osttürkischen Provinz Mardin ertragen: Mehr als zwei Dutzend scheinbar ehrenwerte Bürger - darunter Beamte, Lehrer, Soldaten und der Chef der örtlichen Landwirtschaftskammer - verschafften sich über zwei Zuhälterinnen Kontakt zu dem 13-jährigen Mädchen und vergewaltigten es regelmäßig. Eines Tages konnte Nailan flüchten und fand Unterschlupf bei Anwälten, die die Täter vor Gericht brachten. Doch diese könnten nun nahezu ungeschoren davonkommen.

Vor wenigen Tagen entschied das höchste Berufungsgericht des EU-Bewerberlandes Türkei, dass die Vergewaltiger nur Mindeststrafen erhalten dürften - weil das Mädchen den Geschlechtsverkehr selbst gewollt habe.

Gut möglich, dass die Männer keinen einzigen Tag hinter Gittern verbringen müssen. "Bisher war noch keiner im Gefängnis", sagte Nailans Anwältin Reyhan Baydemir. "Möglicherweise bleiben alle auf Dauer frei." Denn das Verfahren steht vor der Verjährung.

"Frauen sind untergeordnete Wesen"
Die richterliche Milde für die Peiniger von Nailan rief in der türkischen Öffentlichkeit Empörung hervor. Wie kann es sein, das einige der höchsten Richter des Landes ein solches Skandalurteil fällen? Die Antwort von Frauenrechtlerinnen fällt vernichtend aus: Das Urteil stehe für die Macht eines männlichen Chauvinismus in der türkischen Gesellschaft, der Frauen als untergeordnete Wesen betrachte.

So wie im Fall Nailan, einem Justizskandal von Anfang bis Ende: Gerichtsgutachter erklärten, Nailan hätte zu den Vergewaltigern auch Nein sagen können, habe aber mit dem Sex Geld verdienen wollen. "Das sind die Fantasien dieser Männer", schimpfte die Frauenrechtlerin Hülya Gülbahar: "Die denken, ein 13-jähriges Mädchen wolle unbedingt mit 60-jährigen Männern Gruppensex treiben."

Nailan musste wegen der erlittenen Verletzungen mehrmals operiert werden, verbrachte Jahre in einem Istanbuler Kinderheim und hat noch heute Albträume. Die Anwältin Eren Keskin und die Menschenrechtlerin Levent Yurtsever nahmen sie wie eine Tochter auf, sie konnte die Schule abschließen und will Juristin oder Journalistin werden. Das Urteil des Berufungsgerichts habe ihr nun einen neuen Schock versetzt, sagte Nailans Pflegemutter Yurtsever der Zeitung "Vatan".

"Reformen vor Gericht nichts wert"
Frauenrechtlerin Gülbahar sieht das Nailan-Urteil als Teil eines bedenklichen Trends. Erst kürzlich habe das Verfassungsgericht den Türkinnen unter Verweis auf die Tradition verboten, nach der Heirat ihren eigenen Namen zu behalten. In einer anderen Causa schlug ein Berufungsrichter vor, ein Vergewaltiger solle straffrei bleiben, wenn er sein Opfer heirate. Diese Regel war im Zuge der EU-Reformen abgeschafft worden.

Doch diese Reformen seien vor Gerichten nichts wert, sagte Gülbahar. "Da gibt es eine unausgesprochene Vereinbarung zwischen den Männern: Wie sehr auch die Gesetze reformiert werden, wir wenden sie einfach nicht an." In der Strafkammer, die das Urteil im Fall Nailan sprach, sitzt keine einzige Frau.

Anderswo sieht es nicht viel besser aus: In der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan findet sich genau eine Ministerin, das Frauenministerium ließ er in Familien- und Sozialministerium umbenennen.

Hoffnung auf "Große Kammer" und Europa
In Ankara hagelte es nach dem Nailan-Urteil scharfe Kritik an der Justiz von allen Parteien, auch die Regierung distanzierte sich. Zugleich kam die Hoffnung auf, der Richterspruch könne noch von der Großen Kammer des Berufungsgerichts kassiert werden. Dass der ebenfalls eingeschaltete Europäische Menschenrechtsgerichtshof das Opfer Nailan in den Mittelpunkt stellen und den türkischen Berufungsrichtern eine schallende Ohrfeige verpassen wird, gilt als sicher.

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